Geschichten, die das Leben schrieb: alles wie immer auf der Hunderunde 

Hund und ich wollten nur zum Rhein gehen, gerieten aber in eine Art Dimensionenportal oder Wurmloch, dass uns unvermittelt in eine parallele Realität beförderte. 

Unterhalb des Kaiser-Wilhelm-Ringes, dort, wo normalerweise die Rheinwiesen sind, öffnete sich jetzt ein klaftertiefer Abgrund. Aus den Tiefen sah man Flammen und Rauch emporsteigen, in denen in endloser Abfolge allerlei dämonische Fabelwesen um- und durcheinander schwebten, tanzten, flatterten und zuckten, nur um wieder zu verschwinden, ehe sich das Spektakel wiederholte. 

Ein Hinweisschild warnte vor dem Sprung in diesen Abgrund, als ob man nicht von selbst darauf kommen würde, keinesfalls in diesen Höllenschlund zu springen. Entgegen unserer Annahme gab es aber keinerlei Hitzeentwicklung, keine Geräusche oder Gerüche und ähnliche Auswirkungen der sichtbaren Phänomene. Dies deutete darauf hin, dass es sich hier tatsächlich um einen Zwischenzustand in der Grenzzone von dieser und einer anderen Realität handeln musste.

Neugierig näherten Hund und ich uns dem Abgrund, um hineinzuschauen, konnten aber nichts ausmachen als die schon bekannten Erscheinungrn. Auf einmal jedoch stieg von unten ein seltsames Dampfschiff von der Größe eines Toasters empor. Aus einem pilzförmigen Aufbau an Deck dieses merkwürdigen schwebenden Gefährts schallte eine scheppernde Lautsprecherdurchsage, die wieder und wieder – und mit erkennbaren Pathos in der trotz der blechernen Verzerrung gut hörbaren Stimme – das Ende aller Tage ausrief und zu Einkehr und Läuterung aufforderte.

Da nun vor kurzem ein neues Oberhaupt der katholischen Kirche den Stuhl Petri bestiegen hatte, hielt ich es zunächst für möglich, dass es sich hier um eine ganz ausgeklügelte und elaborierte Marketingmaßnahme handeln könnte, mittels derer glaubensmäßig ungefestigte und schwankende Zeitgenossen zurück auf den Pfad christlicher Tugend gelockt werden sollten.  Dann jedoch bemerkte ich die zahlreichen kommunistischen Banner und roten Fahnen, mit denen das viktorianisch anmutende Dampfschiff dekoriert war.

Ehe ich noch diesem Widerspruch auf den Grund gehen konnte, zerrann die Vision und vor uns lagen die Rheinwiesen, wie wir sie kannten. Die ersten Wagen der Rheinkirmes-Schausteller waren eingetroffen und die Spaziergänger und Hundehalter flanierten mitsamt ihren Vierbeinern durch die Landschaft. Alles war wie immer, und doch war nichts wie vorher – was aber dazwischen lag, erzog sich jeglicher begrifflichen Definition und, wenn ich ehrlich bin, auch der Wahrnehmbarkeit.

Ich führte die gesamthafte Begebenheit auf zu wenig Kaffee am Morgen zurück und begab mich zusammen mit dem Hund umgehend auf den Rückweg, um diesem Mangel abzuhelfen.

Geschichten die das Leben schrieb: lustiger Alltagsrassismus der Mittelschicht

Auf der morgendlichen Hunderunde, hinter der Ladenzeile im Oberkasseler Neubaugebiet, tritt ein junger Mann südländischer Ethnizität aus einem der Hauseingänge, frisch geduscht und geföhnt, mental erkennbar gerüstet, den vielfältigen Herausforderungen des Lebens entschlossen und siegreich entgegenzutreten.

Er zündet sich umständlich eine Zigarette an und überprüft im Seitenfenster eines parkenden Autos noch einmal sein Erscheinungsbild. Das scheint auch nötig, denn sein Outfit besteht aus einer Lederjacke über einem T-Shirt und einer hellgrauen Jogginghose.

Die Frau und ich betrachten uns im Näherkommen das Schauspiel. Ich muss an das bekannte Zitat von Karl Lagerfeld denken und bemerke, mehr zu mir als zu meiner Begleiterin: „Noch einer, der die Kontrolle über sein Leben verloren hat…“

„Hab ich auch grad gedacht“, entgegnet die Liebste. „Du glaubst gar nicht, was für ein asoziales Volk morgens in die U-Bahn einsteigt, wenn ich zur Arbeit fahre… Ich nehme manchmal absichtlich die U 77, weil da nicht so viele von denen mitfahren…“

Jetzt wird mir die Konversation aber doch etwas zu heikel bzw. zu gruppenbezogen vorurteilsbelastet und ich wende ein „Naja, was heißt hier asozial? Wenn die so früh unterwegs sind, fahren die ja anscheinend alle zur Arbeit…“

„Oder zum Arbeitsamt!“ kommt die sofortige Antwort meiner Herzdame.

Geschichten, die das Leben schrieb: Strohwitwer-Wochenende!

Die Frau, die einen Wochenendbesuch in Nordostdeutschland vorbereitet, kommt in die Küche, in der ich gerade Brote belege.

Sie entdeckt ein paar Krümel auf dem Küchenboden und setzt zu einem ausführlichen Vortrag an über häusliche Hygiene, Achtsamkeit beim Umgang besonders mit krümeligen Vollkornbroten, speziell aber der grundsätzlichen männlichen Inkompetenz zu auch nur minimaler Rücksichtnahme auf die ehernen Gesetze elementarer Ordnung und Sauberkeit.

„Das sind die Mitnehmebrote für deine Reise morgen!“ mache ich sie mit dem Zweck der Brotschmieraktion bekannt.

Das besänftigt sie auf der Stelle. Sie sammelt trotzdem die drei oder vier Brotkrümel einzeln vom Boden auf und gibt mir vorsorglich einen Ratschlag mit ins Wochenende:

„Aber ich sag‘ dir: wenn ich nach Hause komme und die Wohnung sieht aus wie Hulle, dann gibt’s Nudelholzalarm!!“

Ich weiß zwar nicht, wie’s bei Hulle aussieht, aber jedenfalls bin ich gewarnt. Am besten ich nehme mir für die drei Tage ein Hotelzimmer, dann können der Hund und ich zuhause nichts dreckig machen.

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Zwei Begegnungen mit Durchschnittsbürgern, die sich Gedanken über die anstehenden Bundestagswahlen machen

1) Unterwegs

Auf der Hunderunde begegne ich der Lieblingspostbotin des Hundes, die in ihrem gelben Wagen stets Leckerchen für die zahlreichen Hunde des Viertels mit sich führt. Ich hatte sie schon eine Weile nicht gesehen und erfahre nun von ihr, dass die neue Dienstleitung sie und alle ihre Kollegen alle 12 Monate  auf eine andere Strecke versetzt, damit sie jede Straße des Viertels kennen und somit überall einsetzbar sind. Unsere Straße, die sie letztes Jahr mit Post versorgt hatte, ist nun wieder an ihre Kollegin Rosi gegangen: „Die D***********erstrasse gehört der Rosi, muss ich ehrlich sagen – die hat die schon zwanzig Jahre abgelaufen.“

Schnell kommen wir auf das Thema Wahlen. Ich hatte nämlich gefragt, wie lange sie noch bis zur Rente hat. Sie antwortet: „Vier Jahre noch, außer Merz kommt dran, dann muss ich ja bis 70 arbeiten.“ Ein Wort gibt das andere und ich frage sie, wie sie es mit dem Wählen hält.. Sie berichtet mir, dass sie sich dieses Mal die Mühe gemacht hat, jede der verschiedenen Wahl- und Debattenrunden anzuschauen, um sich ein Bild zu machen. Und dieses Bild ist eindeutig: „Also ich will keinen von denen haben, außer vielleicht die Alice Weidel. Die redet jedenfalls so, dass man versteht, was sie meint und dass sie die Sorgen der Leute ernst nimmt. Die anderen sind doch nach zwei Sätzen sofort bei Krieg und all das… ich bin Oma und als Oma interessiert mich, was mit meinen Enkeln ist, mit ihrer Schule, was mal aus ihnen wird…“

Ungefragt vertraut sie mir an, dass sie jedenfalls ihre Stimme der AfD geben wird. Sie hat sich nämlich, wie sie mir einigermaßen stolz berichtet, mit dem Wahlzettel vertraut gemacht:  auf der linken Seite will sie bei der AfD ihr Kreuz machen und auf der rechten Seite hat sie ganz unten auf der Liste „eine Tierpartei oder sowas“ gefunden das ist ihr sympathisch und das scheint ihr diesmal das richtige zu sein, da sie „den Parteien“ sowieso nichts Gutes zutraut. 

Mir ist nicht ganz klar, ob sie das mit der Erst- und ZweitStimme wirklich auf der Reihe hat, aber ich will auch nicht in sie drängen, denn der Hund drängt bereits, und zwar in die andere Richtung. So verabschiede ich mich freundlich und wünsche ihr viel Glück in den verbleibenden Jahren bis zur Rente.

2) Auf Arbeit

Meine russische Kollegin – die einzige an meinem Arbeitsplatz, die von meinem grundsätzlichen Einstellungen weiß und auch darüber im Bilde ist, dass ich deswegen schon einmal staatsanwaltschaftlich belangt wurde – fragt mich, als wir uns im Büro treffen, „Na, was wählst du am Sonntag“. Ich antworte wahrheitsgemäß, dass ich noch nicht weiß, ob ich überhaupt wählen gehe, dass ich aber für den Fall, dass ich es tue, wohl mein Kreuz beim BSW machen würde.

Sie scheint einigermaßen mit der BRD-Politszene vertraut zu sein und sagt, „Was ich an der Wagenknecht nicht gut finde ist, dass die die Grenzen nicht dicht machen will“. Dann folgen längere Ausführungen über Flüchtlinge, Asylanten und Migranten, die alle hierher herkommen, „die wir alle finanzieren müssen“ und die sich hier „nicht einfügen“ wollen. Sie und Ihre Familie, die in den 1990er Jahren als Russlanddeutsche aus Kasachstan in die BRD kamen, wären dagegen vier Jahre lang vom Staat drangsaliert, überprüft immer wieder nach irgendwelchen Papiere und Nachweisen – polizeiliche Führungszeugnisse zum Beispiel – gefragt worden usw.

Deswegen jedenfalls würde sie AfD wählen, obwohl sie nichts gegen Wagenknecht und BSW hätte, aber die wären ihr zu lasch in Bezug auf die Flüchtlingsfrage.  Ich mache einen zaghaften Versuch, ihr auf den Zahn zu fühlen: „Meinst du denn, wenn die alle weg wären aus Deutschland, dass du einen Euro mehr Lohn kriegst oder dass deine Miete günstiger wird oder dass es plötzlich mehr oder besser bezahlte Arbeit gibt? Was denkst du denn was passiert, wenn hier keine Flüchtlinge mehr sind? Was für konkrete Auswirkungen hat das auf dein Leben?“ 

Erneut bekomme ich die Geschichte zu hören, dass „wir alle“ ja dafür aufkommen müssten, dass diese Leute, die völlig ungeprüft und ungeregelt ins Land kämen, durchgefüttert werden. Der Glaube, dass „wir“ der Staat sind und der Staatshaushalt eine Art großer Kuchen, von dem für „uns“ weniger übrig bleibt, wenn „die“ davon was abkriegen, ist unausrottbar. Dass den Kalkulationen der Führer eines modernen, imperialistischen Staatswesens eine ganz andere Rechnungslegung zu Grunde liegt als dem Privathaushalt, der mit seinem Arbeitslohn über die Runden kommen muss, ist Menschen wie meiner Kollegin unbekannt. Dass Fluchtbewegungen und Migration ein Resultat von imperialistischer Einmischung, von Kriegen und Ausbeutung anderswo sind, ist ein Faktum, dass sie vielleicht zur Kenntnis nehmen, wenn man sie direkt darauf hinweist, aber genauso schnell wieder zu vergessen scheinen.

Ich bin weder in der Stimmung, mit der Kollegin eine vertiefende politische Diskussion anzufangen noch hab ich Zeit dafür, denn ich muss das Nachmittagsangebot vorbereiten. Wir wünschen uns gegenseitig einen ruhigen Dienst und ein schönes Wochenende und widmen uns wieder unseren Wohnbereichen und den Bewohnern, die wir dort zu betreuen haben. 

Zwei Begegnungen, zwei Frauen, zwei AfD Wählerinnen – natürlich Zufall, aber irgendwie auch eine Momentaufnahme der Stimmung in der lohnarbeitenden Bevölkerung und vielleicht ein Hinweis auf eine Überraschung bei der Wahl am Sonntag. Ich muss an meine komplett unpolitische Liebste denken, die vor einiger Zeit (und seitdem öfters mal wieder) sagte, dass diese Wahl am Ende so ausgehen könnte wie die in den USA: nämlich mit einem Wahlsieg derjenigen politischen Kraft, die in der Bevölkerung den stärksten Eindruck vermittelt, GEGEN die Lügen und die unerträgliche Zumutungen seitens der etablierten Parteipolitik zu sein. „Das erzählt doch keiner in den Umfragen, dass er AfD wählt, aber warte mal den Sonntag ab!“. Ja, dann warte ich wohl mal den Sonntag ab.

Geschichten die das Leben schrieb: die Ausländer und der Winterwein

Die Frau kommt etwas verstört aus dem Wohnzimmer, wo sie wohl irgendwelche Fernseh-Nachrichten geguckt hat. „Das mit dem Ausländerhass wird aber immer schlimmer, oder?“, sagt sie. „Die Leute sind richtig aufgehetzt, die wollen die alle loswerden. Als ob alle Ausländer so wären..“ 

Mit „so“ meint sie die durchgedrehten, traumatisierten Figuren, die hierzulande mit dem Leben und ihrem Platz darin nicht klar kommen und zu Gewalttätern werden. 

„Da sind die Medien aber auch selber dran schuld“, fügt sie noch hinzu.

So viele eindeutige gesellschaftspolitisch gemünzte Sätze aus dem Munde meiner Liebsten sind eine solche Seltenheit, dass ich erstaunt aufhorche. 

„‚Selber dran schuld‘ ist gut!“, entgegne ich. „Die heizen das ja mit an, die Medien und die Politiker. Damit lässt sich super Wahlkampf machen und vor allem lassen sich die Leute damit nicht nur von den wirklichen Ursachen von Migration und Flucht ablenken, sondern eigentlich von allem anderen auch, was hierzulande schief läuft. Die Wut, das Entsetzen über solche irren Mordtaten brauchen ein Ventil und einen Schuldigen….“

Ich frage sie, ob sie weiß, dass die BRD jahrzehntelang in Afghanistan Krieg geführt hat. Hat sie , aber mehr so wie die meisten: da war irgendwas, man hat schon mal irgendwie gehört, dass es da hinten Ärger gab mit so Steinzeit-Talibanesen und dass unsere Bundeswehr deswegen dem Ami beim Brunnen bohren, Frauen befreien und Demokratie verbreiten helfen musste. 

Dass der „robuste Militäreinsatz“ in Afghanistan unmittelbar mit dem Zustrom von Flüchtlingen von dort zu tun hat – dieser logische gedankliche Schritt ist den meisten schon zu kompliziert. Das empörte Bürgergemüt will Rache und Vorbeugung, es will Taten sehen und kriminelle Ausländer abschieben, und es möchte nicht mit Hintergründen, Ursachen und Gründen belästigt werden.

Das Klima, das erzeugt wird – einerseits von den anscheinend immer häufiger vorkommenden Gewalttaten hierher Geflüchteter, andererseits von den emotionalen und politischen Reaktionen darauf – ist eines der Feindseligkeit. Schon jetzt gibt es überall in Europa (und sogar außerhalb) Lager für Flüchtlinge und Asylbewerber. Für die BRD ist die Rede von Abschiebelagern, in denen Nicht-Aufenthaltsberechtigte untergebracht werden sollen, bis man sie loswerden kann. Durch die kriminellen Elemente unter ihnen gelten Asykanten und Flüchtlinge mittlerweile per se als unerwünschte Menschengruppe, derer man sich – so die Forderung an „die Politik“ erwehren muss. Sie werden nur noch als anonyme Masse gesehen, als Flut, die „uns“ überrollt – und damit entmenschlicht und zum Abschuss freigegeben.

Es bedarf keiner großen Imagination, um die zahlreichen Abschiebelager auch mit anderen Personengruppen als unerwünschten Ausländern gefüllt zu sehen. Was ist, wenn der Staatsmacht einfällt, auch unerwünschte Inländer in Lager zu sperren? Die einschlägigen Gesetze sind bei der richtigen Parteienkoalition und Stimmungslage schnell beschlossen, die Lager existieren schon,  die Neigung, Kritiker mit dem Strafrecht zu verfolgen, ebenfalls. 

Da ist noch viel Luft nach oben für eine aggressive Staatsmacht im Krisenmodus, die Ruhe an der Heimatfront braucht, um beim Volk die geforderte Kriegstüchtigkeit herzustellen.

Während ich so meinen Gedanken nachhänge, lässt sich die Gattin wieder vernehmen: „Der Winterwein, den du von Jacques‘ mitgebracht hat, der war nichts! Den trinkt man weg wie Limonade. Ich mach morgen den Pak Choi, da kommt der dann dran…“. Sie entschwebt in die Küche und fügt grinsend an: „Bei uns wird nichts verschwendet! Was nicht getrunken wird, kommt in die Suppe!“.

So schließt sich der Kreis vom Allgemeinen zum Konkreten, womit sich die Dialektik des häuslichen Lebens mal wieder aufs Schönste entfaltet hat.

Geschichten die das Leben schrieb: die Fahrzeugreinigung

Das etwas in die Jahre gekommene und dementsprechend unansehnliche Auto, das meine Liebste mit in die Ehe gebracht hatte, befindet sich gerade bei dem verdienstvollen Unternehmen https://www.carglanzwerk.de/ zur optischen Rundumerneuerung.

Der sympathische Osteuropäer, der das Fahrzeug abholte, schaute zwar etwas mitleidig auf den 15 Jahre alten 1er BMW (er hat es sonst überwiegend mit den Luxuskarossen der Oberkasseler Durchschnittsbürger zu tun), versprach mir aber nicht nur ein Auto „wie neu“, sondern sagte auch, wenn er es zurück brächte, hätte er ein Geschenk für mich.

Nachdem er eigentlich von der Rückgabe am Sonntagmittag geredet hatte, bin ich inzwischen froh, wenn ich das Fahrzeug überhaupt zurück kriege 🙂

Nein, Ernst beiseite. Tatsächlich überlege ich jetzt, ob so eine PERSÖNLICHE Innenraumintensivpflege bei mir nicht auch mal angebracht wäre. „Von innen wie neu“ – wer wäre das nicht gerne? Damit könnte man im esoterischen Bereich garantiert landen.

Ich glaub, ich frag ihn nachher mal (falls er nochmal hier auftaucht).

Geschichten, die das Leben schrieb: das vergessene Buch

Gestern erhielt ich einen Anruf der lokalen Buchhandlung, bei der die Frau und ich den Großteil unserer Literatur bestellen. Man ließ mir ausrichten, dass ich vergessen hätte, das bestellte Buch abzuholen. Ich konnte mich nicht erinnern, ein Buch bestellt zu haben und ging später neugierig zur Buchhandlung, um herauszufinden, was ich da geordert hatte. 

Im Laden händigte mir die Verkäuferin ein Exemplar der „Red Side Story“ von Jasper Fforde aus und sagte mir, dass ich es schon bezahlt hätte. Auch daran konnte ich mich nicht erinnern. Am größten aber war mein Erstaunen über die Tatsache, dass sich dieses Buch bereits in meinem Besitz befindet, und zwar seit mindestens einem halben Jahr. Ich habe es in derselben Buchhandlung vor einiger Zeit gekauft – daran immerhin kann ich mich erinnern.

Nun hatte ich also zwei Exemplare des selben Buches. Und nach wie vor fehlt in meinem Gedächtnis jegliche Erinnerung an den Bestellvorgang, der zum zweiten Buch führte und daran, dass ich dieses Buch bereits mein eigen nannte, denn offensichtlich war mir das beim erneuten Bestellen ebenfalls aus dem Gedächtnis verschwunden. Wie sehr ich mich auch bemühe, den Dingen auf den Grund zu kommen und meine Erinnerungen zu durchforsten – an der Stelle „Das Buch habe ich schon“ und Buchbestellung im Laden ist ein einziges schwarzes Loch.

Das innere Gefühl dabei ist ein merkwürdiges, denn es ist keines des Schreckens oder der Panik. Es einfach ein Nichtvorhandensein, ein völliges Ausgelöschtsein – aber so, als ob es die entsprechenden Vorgänge nie gegeben hätte. So ähnlich müssen sich meine dementen Schützlinge fühlen, die ich ja oft in vergleichbaren Situationen erlebe.

Dass sich dieses Gefühl, dieser Zustand auf die meisten oder alle Gedächtnisinhalte erstreckt, ist ein faszinierendes Gedankenexperiment.  Für mich jedenfalls, für Menschen mit Demenz wohl eher nicht. Wer weiß, woran ich in einigen Jahren sein werde, wenn das so weitergeht.

Versöhnlicher Ausgang der Geschichte: die Buchhandlung nahm das Buch gerne zurück und tauschte es gegen einen Gutschein, für den sich die Liebste einen weiteren ihrer obskuren Nordsee-Ostsee-Mord-und-Totschlag-Krimis mit Leuchttürmen auf dem Cover kaufen kann.

Geschichten, die das Leben schrieb: wie ich abends mal ins Wohnzimmer stolperte und vor dem Fernseher stehen blieb

Entgegen meiner Gewohnheit blieb ich, als ich Drogennachschub aus dem Wohnzimmer holte, eine Weile – so etwa 20 Minuten – vor dem Fernseher stehen.

Die Liebste verfolgte dort eine Propagandasendung des staatlich kontrollierten Fernsehsenders ARD. Darin nahm eine ziemlich bösartige klimaktierende Schrappnelle namens Miosga (so hieß wohl auch die Sendung) die AfD Kanzlerkandidatin ins Verhör.

Sie unterbrach sie ständig und konnte ihre Feindseligkeit und Abneigung gegenüber der Interviewten bzw. deren Partei in keiner Weise verbergen. Die Moderatorin zeigte sich in jeder Hinsicht als unsouveräne, parteiische und einseitige Pseudo-Journalistin.

Frau Weidel blieb souverän. Unabhängig davon, was man von dem politischen Programm ihrer Partei hält, muss man sagen, dass sie sachlich und einigermaßen faktisch ihre Positionen vortrug. Sie hatte aber wenig Chancen gegen die geballten Vorurteile und die entschiedene Verurteilungsabsicht seitens der Moderatoren und irgendeiner rosa bejackten Lobbyistin (eine Art Klon der SPD-Schrapnelle Saskia Esken) – vor allem aber auch gegen die Parteilichkeit des offensichtlich gezielt selektierten Studienpublikums – etwas auszurichten.

Trotz oder wohl aufgrund dieses einseitigen, unterschwellig feindseligen Umgangs mit der Imterviewpartnerin war das Ganze im Grunde eine Sympathiewerbung für Frau Weidel und die AfD.

Fazit der Liebsten die sich diese unsägliche Propagandasendung von vorne bis hinten angetan hat: „Die Quittung kriegen die alle am Wahltag.“

Geschichten die das Leben schrieb: der SUV der Adventskränze

Seit Tagen ist der jahreszeitliche Adventskranz Thema in unserer heimischen Volkskommune. Das heißt, bei meiner Herzdame, die von Amts wegen für die häusliche Ordnung und heimische Deko verantwortlich zeichnet (ein Stück weit Amtsanmaßung, die ich aber in meiner Altersweisheit und meiner angeborenen Unlust zu irgendwelcher Hausarbeit gütig durchgehen lasse). Ich selber habe mit dem jahreszeitlichen christlichen Hokuspokus nichts zu tun, aber auch nichts gegen Kerzenlichtgemütlichkeit und lecker Gebäck.

Heute nun, den 1.Advent in greifbarer Nähe, konnte sie es nicht mehr aushalten und beantragte einen Ausflug nach Flingern – neben Oberkassel das zweite mondäne In-Viertel der Landeshauptstadt, allerdings mit eindeutig jüngerer Bevölkerungsstruktur und deutlich mehr schicken Einzelhandelsgeschäften, in denen die betuchte obere Mittelschicht Geld für nutzlosen, teuren, aber nachhaltig, ökologisch und edel gefertigtem Kram loswerden kann.

Dort nämlich, so hatte die Gattin im Internet herausgefunden, gab es scheinbar den einzigen Blumenhändler Düsseldorfs, der künstlerisch anspruchsvolle und dekorative Adventskränze herstellte. Wie es der Zufall wollte, war heute auch der Tag ihres Gehaltseinganges, der sich jedes Jahr im November um das Weihnachtsgeld verdoppelt.

Von daher gab es also kein Halten mehr und wir betraten nach kurzer Parkplatzsuche den Blumenladen. Das kleine Geschäft war einer jener Läden, die nur in wohlhabenden Stadtvierteln funktionieren, wo es genügend Kundschaft mit dicken Portemonnaes gibt: elegant, aber gemütlich eingerichtet, schöne Deko, Wohnzimmeratmosphäre, große klassische Gemälde an der Wand, deren Sujets aber mitnichten spießig, sondern „augenzwinkernd ironisch“ wirken sollen.
Inhaber und Florist war der klischeemäßig übliche Schwule, zuvorkommend, sympathisch und erkennbar ganz der Ästhet.

Meine Liebste fühlte sich sofort wie zuhause und untersuchte die diversen Adventskränze. Diese wirkten auf mich zugegebenermaßen edel und schick, vor allem aber teuer; sie waren irgendwie aufgebockt bzw. doppelt so hoch wie „normale“ Adventskränze, wie ich sie von früher kannte. Es waren gewissermaßen die SUVs unter den Adventskränzen. Die Frau fragte pro forma nach dem Preis, aber ich konnte ihrer Aura entnehmen, dass die Kaufentscheidung bereits gefallen war.

So verlassen wir den kleinen Blumenladen mit einem wuchtigen, äußerst geschmackvoll dekorierten und höchst beeindruckenden Adventskranz, der ca. ein Drittel meines Monatsnettos gekostet hatte. „Und das Beste.“, flötet sie fröhlich, „den können wir nächstes Jahr wieder hinbringen und der dekoriert ihn uns neu! Das macht doch den Preis wieder ganz ok, oder?“

Auf solche Fragen sage ich in der Regel gar nichts, außer dass ich gelegentlich ein zustimmendes grunzen vernehmen lasse. Was soll ich mich auch einmischen, es ist nicht mein Geld und schöne Dinge sind eben auch Lebensqualität.

Zuhause ziert der Adventskranz nun den Wohnzimmertisch und es erging die Ansage, dass „immer nur eine Kerze“ anzuzünden sein pro Adventssonntag. Fair enough, finde ich – wenn schon, denn schon.
Abschlußbemerkung der Frau, als sie vom Sofa aus sowohl Fernsehnachrichten wie Adventskranz im Blick hat: „Wenn jetzt die Welt untergeht, haben wir wenigstens einen schönen Adventskranz!“

Geschichten die das Leben schrieb: wie ich mal mitten im woken Wespennest landete


Die vergangenen anderthalb Tage verbrachte ich auf der Fachtagung Kunst- und Kulturgeragogik in Münster und konnte dort, neben allerlei fachlichen Diskussionen und Workshops zum Thema „Kooperativ! Qualitäten von multiprofessioneller Zusammenarbeit in der Kunst- und Kulturgeragogik“ Zeuge von einem Phänomen werden, das allgemein als Wokismus bezeichnet wird.

Die Referenten und Teilnehmer, zu etwa 80% Frauen; sprachen allesamt in jener merkwürdig gespreizten und artifiziellen Gendersprache, die Kunstpausen zwischen Wortstamm und -Endung macht, wenn der Plural beide Geschlechter „inkludieren“ sollte. Viele sprachen aber so schnell (bzw. verschluckten die Kunstpause), dass man nur die weibliche Endung raushörte.

Die eigenartigste Begebenheit war für mich die Begegnung mit einem sehr dicken Mann mit schütteren Haaren und Bartschatten, der von den anderen stürmisch begrüßt und umarmt wurde und sich mir als „Roswitha“ vorstellte (Namen hab ich geändert, jedenfalls ein eindeutiger Frauenname).

„Wieso nennst du dich Roswitha?“ wollte ich von ihm wissen.
„Weil ich eine Frau bin!“ verkündete er stolz, und, um einem naiven Cis-Hetero wie mir die Sachlage zu verdeutlichen: „Ich bin eine Trans-Person!“

„Aha.“ war alles, was mir dazu einfiel, weil ich damit beschäftigt war, ein breites Grinsen zu unterdrücken – zu offensichtlich als Mann erkennbar war mein Gesprächspartner, der von den umstehenden Frauen massive Bestätigung erhielt („Also ich führe dich auch in all meinen Kontakten als ‚sie‘!“, sagte eine).

Ich wollte es nun genauer wissen: „Hast du dich behandeln oder umoperieren lassen, oder wie?“ fragte ich ihn, worauf ich eine ausführliche, detaillierte und ausschweifende Geschichte zu hören bekam, die zunächst sein spezifisches akutes Krankheitsbild zum Thema hatte, um anschließend abzuschweifen zu seiner Tätigkeit für die Kirche und deren großes Verständnis für Trans-Menschen. Kern des halben Romans, den er mir erzählte, war der Umstand, dass die hormonelle und operative Umwandlung derzeit nicht möglich wäre, weil er zunächst eine schwere Prostataerkrankung behandeln lassen müsse.

Selbst an dieser Stelle fiel weder ihm noch den mitfühlend-zustimmend zuhörenden und kopfnickenden Frauem um uns herum die Absurdität auf, dass jemand, der behauptet, eine Frau zu sein, an der Prostata erkrankt ist. Ich saß also vor diesem durchaus sympathischen und liebenswerten Kerl und hörte mir seine Geschichte an. Dabei fiel mir seine Redseligkeit auf, sein enormer Drang nach Sich-Erklären, Bestätigung – vielleicht aufgrund einer Furcht, verurteilt und ausgegrenzt zu werden.

Vor mir hatte ich einen den Eindruck nach herzlichen, gutmütigen Mann mit ausgeprägtem Redebedürfnis. Seine spürbarer Unsicherheit in Bezug auf die eigene sogenannte Identität, auf sein Selbstbild, manifestierte sich in der kontraindikatorischen, auffällig starken Betonung der selbstgewählten Identität als „Frau“. Das wirkte wie ein mentales Pfeifen im Wald: je lauter einer pfeift, umso mehr will er dasjenige fern halten, verdrängen, abblocken, vor dem er Angst hat bzw. mit dem er nicht zurechtkommt.

In „normalen“ Zeiten, so dachte ich mir, in einer besseren Welt, würden Menschen wie er wohl den Rat erhalten, sich in Therapie zu begeben um zu lernen, ihr biologisches Geschlecht zu akzeptieren statt zu versuchen, eine psychologische Identitätsstörung durch chemische und operative Maßnahmen zum Dauerzustand zu machen. Nicht so in einer Zeit, in der das Narrativ über die Realität gestellt wird. Eine Zeit, in der nicht die Wirklichkeit zählt, sondern die BESCHREIBUNG der Wirklichkeit – bis hin zu dem Irrwitz, dass, wenn die Realität von der Erzählung über sie abweicht, die Erzählung das Kriterium für Wahrheit sein soll.

Mein Gegenüber allerdings fühlte sich spürbar ermächtigt, SEINE Erzählung über sich selbst – „Ich bin eine Frau, und der Beweis dafür ist, dass ich eine sein will!“ – dadurch zu erhärten und als bestätigt anzusehen, dass Zeitgeist, offizielle Ideologie und sogar Gesetzgebung, außerdem (in diesem Fall) die unmittelbare Umgebung, alle seine Art der Realitätsverweigerung gutheißen und fördern – als das gute Recht des freien Individuums auf Selbstbestimmung.

Ich war jedenfalls mitten in ein wokes Wespennest geraten und enthielt mich in weiser Konfliktscheu weiterer Nachfragen. Ich verabschiedete mich höflich und überlegte, während ich die Treppenstufen zu meiner Unterkunft erklomm, wie gut es ist, dass wenigstens im amerikanischen Mutterland von LBGTQ+, Trans- und Genderideologie der Zug des Wokismus gestoppt und aufs Abstellgleis befördert wurde.