Geschichten die das Leben schrieb: der SUV der Adventskränze

Seit Tagen ist der jahreszeitliche Adventskranz Thema in unserer heimischen Volkskommune. Das heißt, bei meiner Herzdame, die von Amts wegen für die häusliche Ordnung und heimische Deko verantwortlich zeichnet (ein Stück weit Amtsanmaßung, die ich aber in meiner Altersweisheit und meiner angeborenen Unlust zu irgendwelcher Hausarbeit gütig durchgehen lasse). Ich selber habe mit dem jahreszeitlichen christlichen Hokuspokus nichts zu tun, aber auch nichts gegen Kerzenlichtgemütlichkeit und lecker Gebäck.

Heute nun, den 1.Advent in greifbarer Nähe, konnte sie es nicht mehr aushalten und beantragte einen Ausflug nach Flingern – neben Oberkassel das zweite mondäne In-Viertel der Landeshauptstadt, allerdings mit eindeutig jüngerer Bevölkerungsstruktur und deutlich mehr schicken Einzelhandelsgeschäften, in denen die betuchte obere Mittelschicht Geld für nutzlosen, teuren, aber nachhaltig, ökologisch und edel gefertigtem Kram loswerden kann.

Dort nämlich, so hatte die Gattin im Internet herausgefunden, gab es scheinbar den einzigen Blumenhändler Düsseldorfs, der künstlerisch anspruchsvolle und dekorative Adventskränze herstellte. Wie es der Zufall wollte, war heute auch der Tag ihres Gehaltseinganges, der sich jedes Jahr im November um das Weihnachtsgeld verdoppelt.

Von daher gab es also kein Halten mehr und wir betraten nach kurzer Parkplatzsuche den Blumenladen. Das kleine Geschäft war einer jener Läden, die nur in wohlhabenden Stadtvierteln funktionieren, wo es genügend Kundschaft mit dicken Portemonnaes gibt: elegant, aber gemütlich eingerichtet, schöne Deko, Wohnzimmeratmosphäre, große klassische Gemälde an der Wand, deren Sujets aber mitnichten spießig, sondern „augenzwinkernd ironisch“ wirken sollen.
Inhaber und Florist war der klischeemäßig übliche Schwule, zuvorkommend, sympathisch und erkennbar ganz der Ästhet.

Meine Liebste fühlte sich sofort wie zuhause und untersuchte die diversen Adventskränze. Diese wirkten auf mich zugegebenermaßen edel und schick, vor allem aber teuer; sie waren irgendwie aufgebockt bzw. doppelt so hoch wie „normale“ Adventskränze, wie ich sie von früher kannte. Es waren gewissermaßen die SUVs unter den Adventskränzen. Die Frau fragte pro forma nach dem Preis, aber ich konnte ihrer Aura entnehmen, dass die Kaufentscheidung bereits gefallen war.

So verlassen wir den kleinen Blumenladen mit einem wuchtigen, äußerst geschmackvoll dekorierten und höchst beeindruckenden Adventskranz, der ca. ein Drittel meines Monatsnettos gekostet hatte. „Und das Beste.“, flötet sie fröhlich, „den können wir nächstes Jahr wieder hinbringen und der dekoriert ihn uns neu! Das macht doch den Preis wieder ganz ok, oder?“

Auf solche Fragen sage ich in der Regel gar nichts, außer dass ich gelegentlich ein zustimmendes grunzen vernehmen lasse. Was soll ich mich auch einmischen, es ist nicht mein Geld und schöne Dinge sind eben auch Lebensqualität.

Zuhause ziert der Adventskranz nun den Wohnzimmertisch und es erging die Ansage, dass „immer nur eine Kerze“ anzuzünden sein pro Adventssonntag. Fair enough, finde ich – wenn schon, denn schon.
Abschlußbemerkung der Frau, als sie vom Sofa aus sowohl Fernsehnachrichten wie Adventskranz im Blick hat: „Wenn jetzt die Welt untergeht, haben wir wenigstens einen schönen Adventskranz!“

Geschichten die das Leben schrieb: wie ich mal mitten im woken Wespennest landete


Die vergangenen anderthalb Tage verbrachte ich auf der Fachtagung Kunst- und Kulturgeragogik in Münster und konnte dort, neben allerlei fachlichen Diskussionen und Workshops zum Thema „Kooperativ! Qualitäten von multiprofessioneller Zusammenarbeit in der Kunst- und Kulturgeragogik“ Zeuge von einem Phänomen werden, das allgemein als Wokismus bezeichnet wird.

Die Referenten und Teilnehmer, zu etwa 80% Frauen; sprachen allesamt in jener merkwürdig gespreizten und artifiziellen Gendersprache, die Kunstpausen zwischen Wortstamm und -Endung macht, wenn der Plural beide Geschlechter „inkludieren“ sollte. Viele sprachen aber so schnell (bzw. verschluckten die Kunstpause), dass man nur die weibliche Endung raushörte.

Die eigenartigste Begebenheit war für mich die Begegnung mit einem sehr dicken Mann mit schütteren Haaren und Bartschatten, der von den anderen stürmisch begrüßt und umarmt wurde und sich mir als „Roswitha“ vorstellte (Namen hab ich geändert, jedenfalls ein eindeutiger Frauenname).

„Wieso nennst du dich Roswitha?“ wollte ich von ihm wissen.
„Weil ich eine Frau bin!“ verkündete er stolz, und, um einem naiven Cis-Hetero wie mir die Sachlage zu verdeutlichen: „Ich bin eine Trans-Person!“

„Aha.“ war alles, was mir dazu einfiel, weil ich damit beschäftigt war, ein breites Grinsen zu unterdrücken – zu offensichtlich als Mann erkennbar war mein Gesprächspartner, der von den umstehenden Frauen massive Bestätigung erhielt („Also ich führe dich auch in all meinen Kontakten als ‚sie‘!“, sagte eine).

Ich wollte es nun genauer wissen: „Hast du dich behandeln oder umoperieren lassen, oder wie?“ fragte ich ihn, worauf ich eine ausführliche, detaillierte und ausschweifende Geschichte zu hören bekam, die zunächst sein spezifisches akutes Krankheitsbild zum Thema hatte, um anschließend abzuschweifen zu seiner Tätigkeit für die Kirche und deren großes Verständnis für Trans-Menschen. Kern des halben Romans, den er mir erzählte, war der Umstand, dass die hormonelle und operative Umwandlung derzeit nicht möglich wäre, weil er zunächst eine schwere Prostataerkrankung behandeln lassen müsse.

Selbst an dieser Stelle fiel weder ihm noch den mitfühlend-zustimmend zuhörenden und kopfnickenden Frauem um uns herum die Absurdität auf, dass jemand, der behauptet, eine Frau zu sein, an der Prostata erkrankt ist. Ich saß also vor diesem durchaus sympathischen und liebenswerten Kerl und hörte mir seine Geschichte an. Dabei fiel mir seine Redseligkeit auf, sein enormer Drang nach Sich-Erklären, Bestätigung – vielleicht aufgrund einer Furcht, verurteilt und ausgegrenzt zu werden.

Vor mir hatte ich einen den Eindruck nach herzlichen, gutmütigen Mann mit ausgeprägtem Redebedürfnis. Seine spürbarer Unsicherheit in Bezug auf die eigene sogenannte Identität, auf sein Selbstbild, manifestierte sich in der kontraindikatorischen, auffällig starken Betonung der selbstgewählten Identität als „Frau“. Das wirkte wie ein mentales Pfeifen im Wald: je lauter einer pfeift, umso mehr will er dasjenige fern halten, verdrängen, abblocken, vor dem er Angst hat bzw. mit dem er nicht zurechtkommt.

In „normalen“ Zeiten, so dachte ich mir, in einer besseren Welt, würden Menschen wie er wohl den Rat erhalten, sich in Therapie zu begeben um zu lernen, ihr biologisches Geschlecht zu akzeptieren statt zu versuchen, eine psychologische Identitätsstörung durch chemische und operative Maßnahmen zum Dauerzustand zu machen. Nicht so in einer Zeit, in der das Narrativ über die Realität gestellt wird. Eine Zeit, in der nicht die Wirklichkeit zählt, sondern die BESCHREIBUNG der Wirklichkeit – bis hin zu dem Irrwitz, dass, wenn die Realität von der Erzählung über sie abweicht, die Erzählung das Kriterium für Wahrheit sein soll.

Mein Gegenüber allerdings fühlte sich spürbar ermächtigt, SEINE Erzählung über sich selbst – „Ich bin eine Frau, und der Beweis dafür ist, dass ich eine sein will!“ – dadurch zu erhärten und als bestätigt anzusehen, dass Zeitgeist, offizielle Ideologie und sogar Gesetzgebung, außerdem (in diesem Fall) die unmittelbare Umgebung, alle seine Art der Realitätsverweigerung gutheißen und fördern – als das gute Recht des freien Individuums auf Selbstbestimmung.

Ich war jedenfalls mitten in ein wokes Wespennest geraten und enthielt mich in weiser Konfliktscheu weiterer Nachfragen. Ich verabschiedete mich höflich und überlegte, während ich die Treppenstufen zu meiner Unterkunft erklomm, wie gut es ist, dass wenigstens im amerikanischen Mutterland von LBGTQ+, Trans- und Genderideologie der Zug des Wokismus gestoppt und aufs Abstellgleis befördert wurde.

Geschichten die das Leben schrieb: Halloween und die Brutglucken

Am Abend vor Allerheiligen wird seit zwanzig oder fünfundzwanzig Jahren auch hierzulande ein Brauch gepflegt, der, aus Irland kommend, auf dem Umweg über die USA in Deutschland Fuß gefasst und allen möglichen Gewerbetreibenden willkommene Zusatzumsätze zwischen der Schützenfest- und der Adventssaison beschert: 

An Halloween verkleiden sich Kinder und Jugendliche möglichst gruselig, die Kleineren ziehen von Tür zu Tür und fordern „Süßes oder Saures“, die Größeren ergreifen die Gelegenheit, abends und nachts umherzuziehen, teenagergemäß „Spaß zu haben“ und potentielle Sexpartner zu beeindrucken, die Erwachsenen passen sich dem vergleichsweise neuen Brauch an, indem sie ausgehöhlte, beleuchtete Kürbisse und allerlei geisterhafte Deko vor ihre Häuser stellen.

Soweit, so lästig, vor allem für Hundehalter, deren Vierbeiner derlei lauten Spuk als Aufforderung sieht, die merkwürdig gewandete, umher rennende und zappelnde Beute zu verbellen und nach Möglichkeit zu zwicken. In Oberkassel, dem Düsseldorfer Oberschichtsstadtteil mit der höchsten SUV-Dichte und den gefühlt schnöseligsten neureichen Besserverdienenden Deutschlands, liegt die Sache anwohnerbedingt nochmal anders, nämlich übler:

Scharen von Helikoptereltern bringen ihren kostümierten Nachwuchs in ihren übermotorisierten Protzkarossen oder mit dem Lasten-E-Bike (also das grüne Kern-Klientel) zu offenbar vorab vereinbarten Treffpunkten, von wo aus die lieben Kleinen dann lautstark und gruppenweise ihre Betteltour starten und die Anwohner nerven. 

Die Frau und ich, zusammen mit dem Zottelkumpel auf der abendlichen Hunderunde, navigieren so gut es geht zwischen den Pulks von Miniatur-Hexen, -Dämonen, -Geistern und -Zombies, indem wir jeweils die Straßenseite wechseln, wenn uns wieder ein Grüppchen entgegenkommt. Auf einer Freifläche zwischen den edlen Apartmentblocks des Oberkasseler Neubaugebietes (Wohnungspreise ab 1 Mio Euro aufwärts) können wir auf einem der breiten Gehwege zwischen den Rasenflächen etwas aufatmen, auch der Hund beruhigt sich wieder.

Doch nun kommt uns mit einem spukmäßig beleuchteten Lasten-E-Bike eine der reproduktionsfreudigen Jungmütter entgegen, die sich schon deshalb für progressiv, nachhaltig und anti-faschistisch halten, weil sie die Kinder mit dem Fahrrad statt mit dem Porsche-SUV zum Kinderhort an der Ecke bringen und einen „FCK AFD“ Aufkleber auf ihrem Gefährt haben. Mein Hund nimmt die Erscheinung als Bedrohung wahr und wirft sich in die Leine, um die beleuchtete Zumutung ordentlich anzukläffen.

Das erschreckt die Radfahrerin so, dass sie kurz schwankt – wir sind etwa drei gefahrlose Meter von ihr entfernt – und uns wütend ankeift: „Geht‘s noch?! Passt mal auf euren Hund auf!!“. Schon ist sie, elektrisch verstärkt, weitergefahren und um die nächste Ecke verschwunden. 

Während ich noch bedaure, ihr kein geistesgegenwärtiges „Halloween, Alte!“ zugerufen zu haben, lässt sich die Frau vernehmen: „Nimm mal den Hund kürzer. Diese Weiber sind nicht zurechnungsfähig. Statt dass die einfach weiterfahren, müssen diese Brutglucken losschimpfen…“

Meine Freude über den schönen Begriff „Brutglucken“ für das grün-liberale urbane Deppenpack vertreibt sofort jedes Bedauern über verpasste Gelegenheiten zu einem fiesen verbalen Gegenschlag und wir beenden die Runde in der Gewißheit, ganz bestimmt keiner dieser Nervensägen die Tür zu öffnen, falls die bei uns klingeln sollten.

Geschichten die das Leben schrieb: Die wichtigen Dinge

Auf der sonntagmorgendlichen Hunderunde sagt die Frau unvermittelt: „Ich weiß gar nicht, ob es heute Abend einen neuen ‚Tatort‘ gibt… Guck doch mal nach, du hast doch immer das Telefon dabei!“

Folgsam fingiere ich das mobile Endgerät aus der Hosentasche und konsultiere die einschlägige App. „Nee, heute gibt’s ‚Polizeiruf‘“, informiere ich die Liebste und stecke das Handy wieder weg.

„Ja, und? Welcher denn? Mit wem? Wo spielt der?“, werde ich gefragt, als ob mich derlei Einzelheiten eines Fernsehkrimis – den ich sowieso nicht gucke – interessieren würden. Ich muss also das Prozedere von soeben wiederholen und die Details der heutigen ‚Polizeiruf‘-Folge kommunizieren.

Ich sinniere über das Phänomen dieser Retortenkrimis des Zwangsgebührenfernsehens, die im (seltenen) besten Fall eine ziemlich akkurate Bestandsaufnahme der sozialen und ökonomischen Verwerfungen des krisenhaften Kapitalstandortes BRD sein können, in der Regel aber krimi- und drehbuchmäßige Dutzendware darstellen, gedacht für den Massenkonsum eines ablenkungsbedürftigen TV-Publikums.

Irgendwo hatte ich mal das Bonmot aufgeschnappt, dass, wenn jährlich tatsächlich so viele Tote anfallen wie in den unzähligen Fernsehkrimis, Deutschland schon halb entvölkert sein müsste.

„Diese Krimis von der Stange sorgen auf ihre Weise ja ganz elegant für die Einbettung und Einbindung der Leute in eine geregelte, überschaubare Normalität; einer Normalität, die es gar nicht gibt, oder nicht mehr gibt“, rede ich mehr vor mich hin als zu meiner neben mir trabenden Liebsten. „Durch die erfolgreiche Ermittlungsarbeit und der dadurch garantierten Bestrafung der Kriminellen – die Fälle werden ja IMMER aufgeklärt – wird der Eindruck erzeugt, dass wir uns in einer prinzipiell gut aufgestellten, sicheren Welt befinden, in der Übertretungen und Verstöße auf jeden Fall geahndet werden.

Die Normalität ist die Regel, und die ist gut und richtig. Alles kann und soll so bleiben, wie es immer war, Ausreißer aus dieser geordneten Wirklichkeit werden bestraft. Das ist jedenfalls das, was die unterschwellige Botschaft dieser Fernsehkrimis ist, das ist auch das, was Politiker ihren Wählern erzählen. Und die Wähler WOLLEN das hören, sie wollen, dass ihr anständiges, geordnetes, ökonomisch bewältigbares Leben weitergeht wie seit den Nachkriegs- und Wirtschaftswunderjahren gewohnt….“

Meine Begleiterin ist wenig beeindruckt. „Das ist mir alles egal“, erklärt sie. „Ich guck das eben gerne.“ Damit ist im Grunde alles Nötige gesagt, jedenfalls aus ihrer Sicht. Ich fühle mich veranlasst, meine ungebetenen Ausführungen zu rechtfertigen: „Ich weiß, dass das Themen sind, die dich nicht interessieren, aber manchmal muss ich einfach laut daherreden, was mir so durch den Sinn geht…“

„Nee, ist schon ok, finde ich ja auch nicht schlecht“, erhalte ich zur Antwort. „Du kannst dir ja solche Gedanken machen. Ich kümmere mich halt um das WESENTLICHE, nämlich um den Tafelspitz. Oder soll ich mal einen richtigen Rinderbraten mit Klößen und Rotkraut machen?“

Wenigstens MEINE Welt ist nämlich auch ohne Krimis eine wohl geordnete, in der dank der Kochkünste der Liebsten für die solide Basis allen irdischen Daseins gesorgt und Leib und Seele zusammengehalten wird. Auf dem weiteren Weg dringt aus den umliegenden Gebäuden schon gelegentlicher Essengeruch an unsere Nasen, und hungrig marschieren wir nach Hause.

Geschichten die das Leben schrieb: Herbstlicher Nachmittagstraum

Mir träumte, ich wäre aus Versehen in eine parallele Zeitebene geraten, hätte darin aber die Zeitachse in umgekehrter Richtung betreten, nämlich in ein neo-viktorianisches Prag oder ein Steampunk-Wien.

Natürlich steuerte ich unverzüglich eines der zahlreichen Caféhäuser an und traf dort zahlreiche Freunde und Gleichgesinnte, Künstler, Poeten und allerlei Feingeister bei Kaffee und Käsebroten, Zigaretten und Wein und angeregter Stimmung an.

Man diskutierte, debattierte, besprach die fundamentalsten Dinge und die alltäglichsten Angelegenheiten und unterbrach diesen anregenden Zeitvertreib nur, um sich in der bescheidenen Dachstube – jeder einzelne der Caféhausbesucher bewohnte eine solche – eine warme Mahlzeit zu richten und etwas zu schlafen.

Am nächsten Tag ging es wieder ins Caféhaus, wo aufs Neue diskutiert und philosophiert wurde, bis die Ohren glühten und die müden Gemüter nach einer Runde Absynth oder Whisky riefen, die sogleich von freundlichen Kellnern serviert wurde.

So ging es tagein, tagaus, und niemand wurde dieser Gesellschaft überdrüssig. Ich beschloß, mich ganz dort niederzulassen und beantragte ein Visum bei der Temporalen Regulierungsbehörde. Man beschied mich abschlägig; angeblich würde ich nicht die Voraussetzungen erfüllen, diese aber wurden nirgends spezifiziert. Ein Gast am Nachbartisch raunte mir zu, dass in solchen Fällen meist die Ehepartner der Antragsteller – die die Ausreise aus der Normzeit durch ihr Veto verhindern dürfen – ihre Finger im Spiel hätten.

Schon vermischten sich die Zeitebenen wieder und aus einem gleichzeitigem Raumzeit-Kontinuum erklang eine mir gut bekannte Stimme: „Du wolltest doch noch mal einkaufen gehen, wir brauchen noch Klopapier und Senf!“

So scheint es also wieder mal zu früh zu sein für den Abschied aus dieser Welt, und wie das nun zu bewerten ist, überlasse ich dem Urteil der Nachwelt.

Geschichten die das Leben schrieb: Immer diese Internetbestellungen!

Vor einiger Zeit hatte ich bei einem chinesischen Versandhandel für Gesundheitsprodukte namens “Limitless Light of Harmonious Happiness” aus Xizang (Tibet) einen Kräutertee bestellt: das laut Firmen-Website als Spitzenprodukt gepriesene “Himalaya Heights” versprach eine einzigartige Wirksamkeit gegen Bronchitis, Melancholie, Schlafstörungen und Fußpilz. Diese seltsame Kombination kam mir zwar merkwürdig vor, letztlich überzeugte mich aber der niedrige Preis. Ich dachte „Was soll der Geiz, im schlimmsten Fall schmeckt‘s nicht und hilft wenig, was kann man bei 7,98 Euro schon falsch machen…“

Nach etwa 15 Tagen erhielt ich die Sendung, ein unscheinbares Beutelchen aus dünnem Leinen, geruchsdicht in Plastik verschweißt. Kaum geöffnet, verstand ich die Maßnahme: ein intensiver Geruch von Yak-Dung und ranzigem Buttertee entströmte dem Inhalt. Der Begleitzettel enthielt folgende offenkundig maschinell übersetzte Instruktion:

  1. Auspacken und herzlicher Glück Wunsch Ihr freudiger Kauf liebe Herr und Frau Dame
  2. Dieser Tee wunder gemütlich wie Bergspitzen-Gehirn und Ozeantiefe, große Weite unendlich, bequeme Position
  3. In Pfeifenkopf, stopfe Geschicklichkeit unter 1 Gramm Teeprodukt
  4. Gemütlicher Rauch, bedächtige Handling; Herr und Frau Dame äußerst Zufriedenheit

Jetzt war ich so weit gekommen, jetzt wollte ich es wissen. Ich folgte den Anweisungen des Begleitzettels und rollte mir – in Ermangelung einer Pfeife – eine kleine Menge des Tees, gemischt mit etwas Tabak, zu einer Zigarette zusammen und rauchte es schnurstracks weg.

Kaum drückte ich die Reste des „Joints“ (so nennt man wohl diese selbstgedrehten Zigaretten mit Beimischungen) aus, fand ich mich in einer Parallelrealität wieder, die entfernt an das erinnerte, was ich über Tibet, Bhutan, Ladakh und die Himalaya-Region gesehen und gelesen hatte, wenn auch auf eine verzerrte, etwas schräge Art und Weise, so als ob alles in einem Wachtraum geschehen würde. Rituelle Schalmeien und Gebetsglocken waren zu hören, das Grunzen riesiger, zotteliger Yaks und der Geruch schwerer Räucherstäbchen drangen in meine geschärfte Sinneswahrnehmung ein und machten es mir unmöglich, zwischen Geruch, Klang und visuellen Eindrücken zu unterscheiden.

Meine Stimmung war gelöst, fast unbeschwert, alle Fährnisse dieser Welt schienen verschwunden. Ein Einheimischer (wer aber mochte „einheimisch“ in dieser Zwischenwelt sein??) ohne erkennbare Züge machte ein Polaroidfoto von mir und händigte es mir lächelnd aus.

Alles schien von allseitig beseligender Harmonie durchströmt, gleichzeitig aber wie auf Sand gebaut. Ich schaute genauer hin und bemerkte, dass jedes einzelne Korn dieses Sandes bis ins kleinste Detail seiner unglaublich farbenreichen molekularen Struktur sichtbar war, so dass jedes Sandkorn zu einem gewaltigen Felsen anwuchs, der mich zu erschlagen drohte.

Der Schreck drüber ließ mich „aufwachen“, wenn man es so nennen kann. Ich saß immer noch in meiner Küche, wo ich das Päckchen mit dem chinesischen Tee geöffnet hat. Mein treuer Hund blickte mich forschend an, fand aber nichts, was ihm interessant erschien und rollte sich wieder ein. Als ich die Firmen-Website aufrufen wollte, um Näheres über Herstellung und Eigenschaften des Tees in Erfahrung zu bringen, war nichts mehr zu finden. Hatte die Firma sich umbenannt? Hatten die Behörden den Server abgeschaltet? Hatte ich gar alles nur geträumt?

Ob ich ein weiteres Mal von dem Tee kosten werde, weiß ich jedenfalls noch nicht.

Geschichten die das Leben schrieb: Alles muss raus

Nach dem Subbotnik, der unsere kommunistische Volksrepublik Oberkassel von überzähligen Büchern befreit hat, ist als Nächstes die Garderobe dran. Die Frau schlägt erbarmungslos zu und sortiert Zeug aus, das sie seit mindestens einem Jahr nicht mehr getragen hat. Schon lichten sich Kleiderschrank und Schuhregale, auch wenn eine stilsichere Frau von Welt wie meine Liebste natürlich immer noch Lichtjahre vom weibliche. Klassiker-Ausruf „Ich hab nichts anzuziehen!!“ entfernt ist.

Ich selber trenne mich von beinahe allen kurzärmeligen Hemden, nachdem mir der Inhaber des Herrenausstatters an der Ecke mit dem Ausdruck ernster Besorgnis über mein Erscheinungsbild versichert hat, dass kurzärmelige Hemden bei Männern ein absolutes No-Go sind und man sich stattdessen lieber die Ärmel von „richtigen Hemden“ hochkrempeln solle.

Jedenfalls macht sich in unserem Arbeiter- und Bürgerstaat ein Gefühl von gelebtem Zen-Minimalismus breit und veranlasst die Liebste zu folgendem Ausruf: „Ist das nicht herrlich, dass wir das ganze Zeug jetzt quitt sind? Ich entsorge jetzt alles, was wir nicht mehr brauchen, alles was nichts mehr taugt. Kommt alles in den Sperrmüll!“

Dabei fällt ihr Blick auf mich, der ich mal wieder im Sessel sitzend und am iPad daddelnd meinen Kaffee trinke. „Ich muss mir echt mal überlegen, ob ich dich nicht auch an den Straßenrand stelle“.

Schnell beginne ich, den Geschirrspüler auszuräumen, um ihren Überlegungen keine weitere Nahrung zu geben.

Geschichten, die das Leben schrieb: Was kommt da auf mich zu?

Bekanntlich ist die Große Vaterländische Buchaufräumaktion so ausgegangen, dass die Sachbuch- und Belletristik-Bestandteile meiner erlesenen Bibliothek ins Dachbodenexil flüchten mussten.

Die Frau hingegen konnte nach zähen, oft vor dem Abbruch stehenden Verhandlungen vier der zehn vorhandenen quadratischen IKEA-Regalplätze okkupieren – für die zweifelhaften Romane, die sie nun mal so liest.

Bemerkenswerter jedoch ist die Tatsache, dass sie zwei dieser obskuren Krimis auffällig sichtbar vor die anderen Bücher platziert hat, wie einen Hinweis: „Der goldene Tod“ und „Wintersterben“.

Will sie mir damit etwas sagen?

Hat sie etwa vor, mich in diesem Winter noch durch eine Überdosis Opium oder Sex ums Leben zu bringen?

Oder ist alles ein reiner „Zufall“, in Wahrheit aber ein Hinweis des Schicksals, dass meine Zeit gekommen ist?

Fragen über Fragen, die mal wieder keiner beantwortet.

Geschichten die das Leben schrieb: Bücher und Menschen, alle wollen ihren Platz finden

Aufräumarbeiten in den diversen Schränken und Regalen. Die Bücher müssen gesichtet werden. Gegebenenfalls muss man sich von einigen trennen, so fordert es jedenfalls die Mitbewohnerin, deren Buchbestand (zum Großteil flott wegzulesende 08/15-Krimiunterhaltung) solche Maßnahme locker wegsteckt und, unter uns, auch verdient.

Ich dagegen nenne in jedem literarischen Bereich eine exzellente, mitunter erlesene Auswahl an Werken mein eigen; ein bibliophiler Schatz an gewichtigen, lesenswerten, ausgesprochen GUTEN Büchern, die ich natürlich nie im Leben wegschmeißen würde.

Nun stehen harte Verhandlungen an. Der begrenzte Platz in dem IKEA-Regal, dessen schlichte Häßlichkeit zu meinem Leidwesen ein echtes Bücherregal ersetzen muss, bis mal wieder Geld für irgendwelches Mobiliar vorhanden ist, erfordert scharfe Selektion.

Aus meiner Sicht betrifft das zu 95% die Bücher der Liebsten, die als „Literatur“ zu bezeichnen angesichts der Tatsache, dass diese literarische Dutzendware so etwas wie die geschriebene Analogie zu Serienkrimis im Zwangsgebührenfernsehen darstellt, ein Euphemismus wäre. Aus IHRER Sicht hingegen ist alles, was zwischen zwei Buchdeckeln steht, gleichwertig und kann daher gleichermaßen Platz beanspruchen.

„Kannst du von deinen ganzen Büchern nicht auch mal was wegschmeißen?“, werde ich gefragt. Ich sortiere drei oder vier wirklich überflüssige Regalhüter („Dalai Lama: Mitgefühl leben“ oder sowas) aus und schlage ihr großzügig vor, die zehn verfügbaren quadratischen Regalelemente „drei zu sieben“ aufzuteilen, was rein inhaltsmäßig schon ein enormes Zugeständnis meinerseits ist. Finde ich jedenfalls.

Das kommt aber nicht gut an bei meiner Krimienthusiastin. „Dann bring doch wenigstens welche davon auf den Dachboden!“, kriege ich zu hören. Das wäre eine Notfallmaßnahme, die ich mir jedoch als letzten Auweg aufsparen will. Zum Glück kommt die Liebste von selber auf den naheliegenden Gedanken, die Bücher, die sie mit hundertprozentiger Garantie nie wieder lesen wird, weiterzuverschenken: „Habt ihr nicht so eine Bücherei im Heim?“, fragt sie.

Haben wir, aber es handelt sich dabei um ein einziges 1,25m breites und 2m hohes IKEA-Regal, das schon ziemlich befüllt ist. Zwanzig bis dreißig weitere Bücher wird es aber verkraften. Weitere etwa vierzig Bücher wandern in den „Literaturschrank“ vor der Sparkasse, so dass ich meiner Einschätzung nach meine „Drei-zu-Sieben“-Ausgangsverhandlungsposition halten kann.

Noch ist die (Buch-)Messe nicht gesungen, aber mit diesem Zwischenergebnis begeben wir uns beide erstmal in die Mittagspause, jeder zufrieden, dass demnächst wieder übersichtliche Ordnung herrscht.

Geschichten die das Leben schrieb: Männer sind eine Last, und im Alter erst recht

Die Frau und ich unterhalten uns über außereheliche Reiseabenteuer zu nicht-gemeinsamen Freunden und Bekannten. Das Problem der Abstimmung steht im Raum, denn im Gegensatz zu meinem Drei-Halbtage-Job arbeitet sie Vollzeit und muss sich jedesmal freinehmen, wenn ich irgendwo unterwegs bin und nicht gerade Feiertage sind. Der Hund muss ja betreut und versorgt werden.

Zur Erläuterung meiner Position bringe ich ein Argument vor, dass mir tatsächlich immer mehr zum Anliegen wird: „Weißt du, ich hab vielleicht noch 10 oder 20 Jahre zu leben, wenn überhaupt, jedenfalls bei einigermaßen akzeptabler Gesundheit. Ich habe das Gefühl, wenn ich jetzt die paar Freunde und Verwandten treffe, an denen mir gelegen ist, dann könnte das das letzte Mal in diesem Leben sein. Ich will nicht auf dem Sterbebett liegen und mich grämen, dass ich meine Freunde nie mehr gesehen habe…“

Die Liebste ist wenig beeindruckt. „Du wirst jetzt siebenundsechzig. Du tust ja gerade so, als ob du morgen sterben müsstest!“

Ich: „Wer weiß? Kann ja sein, oder? Vielleicht solltest du dir doch einen Jüngeren suchen…“

Sie lacht auf: „Ich klink‘ mir keinen Mann mehr ans Bein! Einen Hund vielleicht, aber doch keinen MANN!“ – wobei sie das Wort „Mann“ ausspricht wie eine ansteckende Krankheit.

Sie sinniert eine Weile und lässt nochmal ein höhnisches Lachen vernehmen: „In DEM Alter! Die wollen doch nur gepflegt werden! Oder bekocht! Nee, ohne mich…“

Ich glaube, ich muss mich beizeiten schon mal um einen Platz im Pflegeheim bemühen.