Geschichten, die das Leben schrieb: alles wie immer auf der Hunderunde 

Hund und ich wollten nur zum Rhein gehen, gerieten aber in eine Art Dimensionenportal oder Wurmloch, dass uns unvermittelt in eine parallele Realität beförderte. 

Unterhalb des Kaiser-Wilhelm-Ringes, dort, wo normalerweise die Rheinwiesen sind, öffnete sich jetzt ein klaftertiefer Abgrund. Aus den Tiefen sah man Flammen und Rauch emporsteigen, in denen in endloser Abfolge allerlei dämonische Fabelwesen um- und durcheinander schwebten, tanzten, flatterten und zuckten, nur um wieder zu verschwinden, ehe sich das Spektakel wiederholte. 

Ein Hinweisschild warnte vor dem Sprung in diesen Abgrund, als ob man nicht von selbst darauf kommen würde, keinesfalls in diesen Höllenschlund zu springen. Entgegen unserer Annahme gab es aber keinerlei Hitzeentwicklung, keine Geräusche oder Gerüche und ähnliche Auswirkungen der sichtbaren Phänomene. Dies deutete darauf hin, dass es sich hier tatsächlich um einen Zwischenzustand in der Grenzzone von dieser und einer anderen Realität handeln musste.

Neugierig näherten Hund und ich uns dem Abgrund, um hineinzuschauen, konnten aber nichts ausmachen als die schon bekannten Erscheinungrn. Auf einmal jedoch stieg von unten ein seltsames Dampfschiff von der Größe eines Toasters empor. Aus einem pilzförmigen Aufbau an Deck dieses merkwürdigen schwebenden Gefährts schallte eine scheppernde Lautsprecherdurchsage, die wieder und wieder – und mit erkennbaren Pathos in der trotz der blechernen Verzerrung gut hörbaren Stimme – das Ende aller Tage ausrief und zu Einkehr und Läuterung aufforderte.

Da nun vor kurzem ein neues Oberhaupt der katholischen Kirche den Stuhl Petri bestiegen hatte, hielt ich es zunächst für möglich, dass es sich hier um eine ganz ausgeklügelte und elaborierte Marketingmaßnahme handeln könnte, mittels derer glaubensmäßig ungefestigte und schwankende Zeitgenossen zurück auf den Pfad christlicher Tugend gelockt werden sollten.  Dann jedoch bemerkte ich die zahlreichen kommunistischen Banner und roten Fahnen, mit denen das viktorianisch anmutende Dampfschiff dekoriert war.

Ehe ich noch diesem Widerspruch auf den Grund gehen konnte, zerrann die Vision und vor uns lagen die Rheinwiesen, wie wir sie kannten. Die ersten Wagen der Rheinkirmes-Schausteller waren eingetroffen und die Spaziergänger und Hundehalter flanierten mitsamt ihren Vierbeinern durch die Landschaft. Alles war wie immer, und doch war nichts wie vorher – was aber dazwischen lag, erzog sich jeglicher begrifflichen Definition und, wenn ich ehrlich bin, auch der Wahrnehmbarkeit.

Ich führte die gesamthafte Begebenheit auf zu wenig Kaffee am Morgen zurück und begab mich zusammen mit dem Hund umgehend auf den Rückweg, um diesem Mangel abzuhelfen.

Vorteile des Alter(n)s? Einen gibt‘s.

Einer der ganz wenigen Vorteile des Alter(n)s ist der Abstand zum weltlichen Treiben. 

Die erleichternde Gewissheit, dass die Zeit der Einbettung in die spezies-übliche Beschäftigung mit Selbstfindung und -behauptung, mit Beruf und Karriere, mit Nistbau und Brutpflege vorüber ist, entschädigt für die Zipperlein und Beschwernisse, denen das alternde körperlich-geistige Vehikel unterworfen ist. 

Insbesondere entschädigt dieser stets sich vergrößernde Abstand für die zahlreichen und unablässigen Beleidigungen menschlicher Intelligenz, die man permanent ertragen muss, sobald man den unvermeidlichen Begegnungen im Außen ausgesetzt ist. 

Man sitzt in dem lecken Kahn des Alterungsprozesses und wird weiter und weiter abgetrieben vom Kontinent des Machen und Tuns, von der geschäftigen Sinnlosigkeit der menschlichen Ameisen, die in ihrem Treiben unbedingt einen Sinn entdecken und irgendwelche Ziele erreichen wollen – und wenn es die Versorgung und optimale Ausstattung des Nachwuchses ist.

„The party’s over and there’s less and less to say
I got new eyes, everything looks far away“
(Bob Dylan: Highlands)

Hier in Mitteleuropa, auf dem Abstellgleis der Geschichte, auf dem die verrostete Diesellok und die geplünderten Güterwaggons des europäischen Imperialismus zu stehen gekommen sind, scheinen sich die Zumutungen an Vernunft und Verständigkeit durch die öffentliche und politische Sphäre, derzeit täglich zu potenzieren. Immerhin potenziert sich aber auch der eigene innere Anstand zu dem geballten Irrsinn, der ringsum über einen hereinbricht.

Geschichten die das Leben schrieb: lustiger Alltagsrassismus der Mittelschicht

Auf der morgendlichen Hunderunde, hinter der Ladenzeile im Oberkasseler Neubaugebiet, tritt ein junger Mann südländischer Ethnizität aus einem der Hauseingänge, frisch geduscht und geföhnt, mental erkennbar gerüstet, den vielfältigen Herausforderungen des Lebens entschlossen und siegreich entgegenzutreten.

Er zündet sich umständlich eine Zigarette an und überprüft im Seitenfenster eines parkenden Autos noch einmal sein Erscheinungsbild. Das scheint auch nötig, denn sein Outfit besteht aus einer Lederjacke über einem T-Shirt und einer hellgrauen Jogginghose.

Die Frau und ich betrachten uns im Näherkommen das Schauspiel. Ich muss an das bekannte Zitat von Karl Lagerfeld denken und bemerke, mehr zu mir als zu meiner Begleiterin: „Noch einer, der die Kontrolle über sein Leben verloren hat…“

„Hab ich auch grad gedacht“, entgegnet die Liebste. „Du glaubst gar nicht, was für ein asoziales Volk morgens in die U-Bahn einsteigt, wenn ich zur Arbeit fahre… Ich nehme manchmal absichtlich die U 77, weil da nicht so viele von denen mitfahren…“

Jetzt wird mir die Konversation aber doch etwas zu heikel bzw. zu gruppenbezogen vorurteilsbelastet und ich wende ein „Naja, was heißt hier asozial? Wenn die so früh unterwegs sind, fahren die ja anscheinend alle zur Arbeit…“

„Oder zum Arbeitsamt!“ kommt die sofortige Antwort meiner Herzdame.

Von Oberkassel in die Neusser Furth

Wenn man aus Düsseldorf, zumal einem noblen Stadtteil wie Oberkassel, nach Neuss fährt, in die „Fuhrt“, die zentrale Straße vom Neusser Hbf nach Westen, kommt man in eine andere Welt. Hier ist nicht der Wohlstand zuhause, sondern die Armut.

Alles wirkt heruntergekommen, auf den Straßen reichlich Mitbürger mit „Migrationshintergrund“, die Ladengeschäfte in der Hand von türkischen, arabischen, afrikanischen und sonstigen geschäftstüchtigen Überlebenskünstlern, eine Menge Leerstand usw.

Als Bewohner einer städtebaulichen und haushaltseinkommensmäßigen Mittel- und Oberschichtsblase ist man diese Anblicke nicht gewohnt. Sie scheinen mir aber eher die wirkliche Lage im Land zu widerspiegeln als das gehobene Bürgertum der Viertel, in denen – neben der richtigen Investment- und Anlagestrategie – das einzige Problem der Stellplatz für den Zweit- oder Dritt-SUV ist.

Mein Geheimnis

Viele fragen mich, woher ich all die tollen Ideen für irgendwelche Bilder her habe und wieso meine Texte so brilliant sind. Ich verrate jetzt mal mein Geheimnis: auf meiner Schulter sitzt ein kleiner kommunistischer Elf, der mir all die Sachen einflüstert. Oft höre ich ihn aber nicht richtig, weil ich meistens Kopfhörer in oder auf den Ohren habe.

Grundsätzliche Erkenntnis am Sonntagabend

Wenn ich‘s recht bedenke, bin ich ziemlich einfach gestrickt und schätze in diesem kurzen Dasein unter all den Phänomenen, mit denen man im Laufe eines Lebens konfrontiert wird, vor allem drei Aspekte ganz besonders.

Und das sind erstens die Frauen und zweitens die Substanzen, die einem das Leben erträglich machen. Und drittens die Kunst, egal ob passiv als Musikhörer oder aktiv als Zeichner.

Oder, wie man früher sagte: Sex* and Drugs and Rock’n’Roll

*Love, too