Anthropologische Feldstudie in Mitteleuropa: rituelle Sexualpraktiken niederheinischer Eingeborener

Der Frohsinn geht weiter und nimmt kein Ende mehr (bis Aschermittwoch). Nach dem ersten Höhepunkt an Altweiber ist Freitags immer eine Art Zwischenphase, in der in überschaubaren Mengen gesoffen wird und man Anlauf nimmt für das Mega-Delirium, das sich über die folgenden drei Tage bis zum Rosenmontag ins Komatöse steigert.

Junge männliche Pflegekollegen, die rituell an Altweiber die Düsseldorfer Altstadt aufsuchen, berichten von brutalstmöglich betrunkenen, intensiv nach Schnaps riechenden Mittvierzigerinnen, die Schwäche- oder Ohnmachtsanfälle vortäuschen, um sich jedem halbwegs ansehnlichen Penisträger in die Arme und perspektivisch in irgendein improvisiertes Liebeslager zu werfen.

Je nach Persönlichkeitsstruktur, Alkoholpegel und Triebstau gehen die Jungmänner damit abwehrend oder die Gelegenheit ergreifend um. Umgekehrt umgekehrt. Die Düsseldorfer Polizei meldet einen ruhigen Verlauf des Altweiber-Abends, mit nur achtzehn trunkenheitsbedingten Festnahmen, allerdings mit einer hohen Zahl sexueller Übergriffe.

Altweiber

„Altweiber!“

Mehr braucht man im Rheinland nicht zu sagen, um zu wissen, dass für einen Großteil der Bevölkerung ab jetzt fünf Tage Dauerkoma begonnen haben.

Die Frau, Düsseldorferin durch und durch, heute Morgen zu dem Hund: „Um 11 Uhr 11 machen wir die Glotze an und hören den ganzen Tag Karnevalsmusik! Und Frauchen singt mit, und zwar so schräg, dass du weinst!“

Geschichten die das Leben schrieb: sechs Tage Delirium, offiziell genehmigt

Die schlecht bezahlte Lohnarbeitskraft im REWE setzt sich im Matrosenkostüm ihre ganze Schicht über an die Kasse, „weil Karneval ist“. Eine ihrer Hauptaufgaben als Kassiererin in diesen Tagen: die Identitätsnachweise (die echten diesmal, nicht irgendwelche eingebildeten sexuellen Vorlieben oder Abwege der Persönlichkeitsfindung) der Jugendlichen prüfen, die in Horden in die Supermärkte strömen. Ihr Ziel: soviel Alkohol wie möglich zu kaufen, um sich so voll wie möglich zu saufen.

Das scheint tatsächlich der eigentliche Inhalt der „tollen Tage“ für die erbittert feiernde Jugend zu sein: in allen möglichen Verkleidungen – die Jungs bevorzugt im Ganzkörper-Tierkostüm, die Mädchen meist in lustigen Röckchen und mit auf Katze, Zombie oder Teufelchen geschminkten Gesichtern – im öffentlichen Raum soviel Alkohol wie irgend geht zu trinken. Während und nach diesem Vorgang ist es oberste Pflicht, im Pulk so lautstark wie möglich auf das eigene adoleszente Vorhandensein aufmerksam zu machen.

Dankbar, im Zeitraum von Altweiber bis Faschingsdienstag für dieses Vorhaben generelle soziale Genehmigung und Absolution erhalten zu haben, versuchen sich hunderte oder tausende von Jugendlichen in ernsthaftem Komasaufen – der Erfolg sind die von morgens um zehn bis spät in die Nacht heulenden Sirenen der Rettungswagen, die die Schnapsleichen einsammeln müssen.

Anschließend machen die massenhaft herumliegenden Müllhaufen und Scherben von zerschmissenen Bier- und Weinflaschen die Hundespaziergänge zu einem Slalomlauf und den Anblick der Straßen und Bürgersteige des Viertels zu einem der traurigeren Art.

Ja, der Karneval gehört zum Rheinland wie die Pickel zur Teenager-Haut.