Geschichten die das Leben schrieb: Betriebsrente finanziert Nobelfriseur

Die Frau hat zu meiner Freude beschlossen, „die Haare wieder wachsen zu lassen“, ist aber der Meinung, dass ab und zu die Spitzen geschnitten werden müssen. Sie kommt von ihrem Termin bei ihrem Leibfriseur zurück, dem sie diese verantwortungsvolle Aufgabe anvertraut hat.

Der Friseur, der zwei äußerst erfolgreiche Salons in Düsseldorf betreibt, ist ein furchtbar sympathischer Kerl, der nebenbei jedes Klischee über Friseure erfüllt: schwul, modisch extrem bewandert, kommunikativ bis zum Exzeß und scheinbar auch ein recht guter Geschäftsmann. Jedenfalls drängelt sich die wohlhabendere Oberkasseler Damenwelt, um bei ihm einen Termin zu bekommen.

Die Gattin betritt also mit frisch geschnittenen Spitzen die Küche und sieht mich erwartungsvoll an. Ich sage das Richtige, nämlich: „Sieht klasse aus!“ und frage: „Und? Quanto costa?“, wobei ich die Geldzählgeste mit Daumen und Zeigefinger mache.

„Hundertzwanzig“, antwortet meine sowieso gutaussehende, jetzt aber dank längerer Haare noch attraktivere Liebste beiläufig.

Ich bohre mir mit den Zeigefingern in den Ohren, als müsste ich dort Ohrstöpsel oder irgendwelche Ablagerungen von Ohrenschmalz entfernen und entgegne: „Ich hab eben tatsächlich ‚Hundertzwanzig‘ verstanden, irgendwas ist wohl mit meinen Ohren nicht in Ordnung…“

Die Frau bleibt unbeeindruckt und antwortet charmant: „Ja, ganz schön teuer, oder? Die Preise sind halt so…“

Damit lasse ich mich noch nicht abspeisen und hake nach: „Hat der dir jede Spitze einzeln berechnet oder wie?“.

„Schatzi, ich gehe einmal im Quartal zum Friseur, das sind vierzig Euro im Monat. Das ist doch nicht viel!“, kriege ich zu hören.

Ich geb‘s auf, da ich die Einstellung meiner Liebsten bezüglich die Lebensqualität steigernder Annehmlichkeiten genau kenne und weiß, dass sie – als archetypische Vertreterin der bürgerlichen Mittelschicht mit dem sehr soliden Mittelschichtseinkommen einer Controllerin bei einem großen internationalen Finanzdienstleister – ohne weiteres auch die Mittel hat, um sich den Genuss dieser Annehmlichkeiten zu gönnen.

Etwas später sitzt sie in ihrem Home Office Arbeitszimmer und ruft: „Komm mal gucken!“

Ich folge der Aufforderung und sie zeigt mir ein Dokument ihres Arbeitgebers auf dem Bildschirm. „Guck mal, alleine meine Betriebsrente ist höher deine gesetzliche Rente!“. Tatsächlich ist die Betriebsrente, die sie in wenigen Jahren aus der über vierzigjährigen Beschäftigung bei ihrem Arbeitgeber erhalten wird, um ca 50% höher als die Armutsrente, die ich beziehe. 

Die Frau, sicherheitsorientiert, vorsorgebewußt und finanzkapitalistisch mit allen Wassern ihres erlernten Berufes gewaschen, hat natürlich schon vor Jahrzehnten die drei soliden Säulen ihrer Altersvorsorge (gesetzliche Rente, Betriebsrente und Direktversicherung)  eingetütet – zu einer Zeit, als ich die Welt bereiste, zu Füßen des Gurus saß und mich nebenbei als Lohnarbeiter oder selbstausbeutender kleiner Selbständiger durchschlug.

Dabei liegt ihr jede Herablassung oder Arroganz fern; sie freut sich nur, dass wir dem Anschein nach auch im Alter ausreichende Einkommensquellen haben werden, um uns ein erträgliches Leben leisten zu können. Zwar machen wir im Grunde keine Trennung zwischen „dein Geld“ und „mein Geld“. Meine Erfahrung als Lohnarbeiter am unteren Ende der Einkommensskala hat mir aber eine gewisse Zurückhaltung bei „unnötigen“ Ausgaben beigebracht, die ich nach wie vor einhalte. Der Liebsten gönne ich ihre kleinen Ausflüge ins Luxusleben von Herzen, sie kann es sich leisten und braucht es wohl auch für ihr seelisches Gleichgewicht.