
1) Unterwegs
Auf der Hunderunde begegne ich der Lieblingspostbotin des Hundes, die in ihrem gelben Wagen stets Leckerchen für die zahlreichen Hunde des Viertels mit sich führt. Ich hatte sie schon eine Weile nicht gesehen und erfahre nun von ihr, dass die neue Dienstleitung sie und alle ihre Kollegen alle 12 Monate auf eine andere Strecke versetzt, damit sie jede Straße des Viertels kennen und somit überall einsetzbar sind. Unsere Straße, die sie letztes Jahr mit Post versorgt hatte, ist nun wieder an ihre Kollegin Rosi gegangen: „Die D***********erstrasse gehört der Rosi, muss ich ehrlich sagen – die hat die schon zwanzig Jahre abgelaufen.“
Schnell kommen wir auf das Thema Wahlen. Ich hatte nämlich gefragt, wie lange sie noch bis zur Rente hat. Sie antwortet: „Vier Jahre noch, außer Merz kommt dran, dann muss ich ja bis 70 arbeiten.“ Ein Wort gibt das andere und ich frage sie, wie sie es mit dem Wählen hält.. Sie berichtet mir, dass sie sich dieses Mal die Mühe gemacht hat, jede der verschiedenen Wahl- und Debattenrunden anzuschauen, um sich ein Bild zu machen. Und dieses Bild ist eindeutig: „Also ich will keinen von denen haben, außer vielleicht die Alice Weidel. Die redet jedenfalls so, dass man versteht, was sie meint und dass sie die Sorgen der Leute ernst nimmt. Die anderen sind doch nach zwei Sätzen sofort bei Krieg und all das… ich bin Oma und als Oma interessiert mich, was mit meinen Enkeln ist, mit ihrer Schule, was mal aus ihnen wird…“
Ungefragt vertraut sie mir an, dass sie jedenfalls ihre Stimme der AfD geben wird. Sie hat sich nämlich, wie sie mir einigermaßen stolz berichtet, mit dem Wahlzettel vertraut gemacht: auf der linken Seite will sie bei der AfD ihr Kreuz machen und auf der rechten Seite hat sie ganz unten auf der Liste „eine Tierpartei oder sowas“ gefunden das ist ihr sympathisch und das scheint ihr diesmal das richtige zu sein, da sie „den Parteien“ sowieso nichts Gutes zutraut.
Mir ist nicht ganz klar, ob sie das mit der Erst- und ZweitStimme wirklich auf der Reihe hat, aber ich will auch nicht in sie drängen, denn der Hund drängt bereits, und zwar in die andere Richtung. So verabschiede ich mich freundlich und wünsche ihr viel Glück in den verbleibenden Jahren bis zur Rente.
2) Auf Arbeit
Meine russische Kollegin – die einzige an meinem Arbeitsplatz, die von meinem grundsätzlichen Einstellungen weiß und auch darüber im Bilde ist, dass ich deswegen schon einmal staatsanwaltschaftlich belangt wurde – fragt mich, als wir uns im Büro treffen, „Na, was wählst du am Sonntag“. Ich antworte wahrheitsgemäß, dass ich noch nicht weiß, ob ich überhaupt wählen gehe, dass ich aber für den Fall, dass ich es tue, wohl mein Kreuz beim BSW machen würde.
Sie scheint einigermaßen mit der BRD-Politszene vertraut zu sein und sagt, „Was ich an der Wagenknecht nicht gut finde ist, dass die die Grenzen nicht dicht machen will“. Dann folgen längere Ausführungen über Flüchtlinge, Asylanten und Migranten, die alle hierher herkommen, „die wir alle finanzieren müssen“ und die sich hier „nicht einfügen“ wollen. Sie und Ihre Familie, die in den 1990er Jahren als Russlanddeutsche aus Kasachstan in die BRD kamen, wären dagegen vier Jahre lang vom Staat drangsaliert, überprüft immer wieder nach irgendwelchen Papiere und Nachweisen – polizeiliche Führungszeugnisse zum Beispiel – gefragt worden usw.
Deswegen jedenfalls würde sie AfD wählen, obwohl sie nichts gegen Wagenknecht und BSW hätte, aber die wären ihr zu lasch in Bezug auf die Flüchtlingsfrage. Ich mache einen zaghaften Versuch, ihr auf den Zahn zu fühlen: „Meinst du denn, wenn die alle weg wären aus Deutschland, dass du einen Euro mehr Lohn kriegst oder dass deine Miete günstiger wird oder dass es plötzlich mehr oder besser bezahlte Arbeit gibt? Was denkst du denn was passiert, wenn hier keine Flüchtlinge mehr sind? Was für konkrete Auswirkungen hat das auf dein Leben?“
Erneut bekomme ich die Geschichte zu hören, dass „wir alle“ ja dafür aufkommen müssten, dass diese Leute, die völlig ungeprüft und ungeregelt ins Land kämen, durchgefüttert werden. Der Glaube, dass „wir“ der Staat sind und der Staatshaushalt eine Art großer Kuchen, von dem für „uns“ weniger übrig bleibt, wenn „die“ davon was abkriegen, ist unausrottbar. Dass den Kalkulationen der Führer eines modernen, imperialistischen Staatswesens eine ganz andere Rechnungslegung zu Grunde liegt als dem Privathaushalt, der mit seinem Arbeitslohn über die Runden kommen muss, ist Menschen wie meiner Kollegin unbekannt. Dass Fluchtbewegungen und Migration ein Resultat von imperialistischer Einmischung, von Kriegen und Ausbeutung anderswo sind, ist ein Faktum, dass sie vielleicht zur Kenntnis nehmen, wenn man sie direkt darauf hinweist, aber genauso schnell wieder zu vergessen scheinen.
Ich bin weder in der Stimmung, mit der Kollegin eine vertiefende politische Diskussion anzufangen noch hab ich Zeit dafür, denn ich muss das Nachmittagsangebot vorbereiten. Wir wünschen uns gegenseitig einen ruhigen Dienst und ein schönes Wochenende und widmen uns wieder unseren Wohnbereichen und den Bewohnern, die wir dort zu betreuen haben.
Zwei Begegnungen, zwei Frauen, zwei AfD Wählerinnen – natürlich Zufall, aber irgendwie auch eine Momentaufnahme der Stimmung in der lohnarbeitenden Bevölkerung und vielleicht ein Hinweis auf eine Überraschung bei der Wahl am Sonntag. Ich muss an meine komplett unpolitische Liebste denken, die vor einiger Zeit (und seitdem öfters mal wieder) sagte, dass diese Wahl am Ende so ausgehen könnte wie die in den USA: nämlich mit einem Wahlsieg derjenigen politischen Kraft, die in der Bevölkerung den stärksten Eindruck vermittelt, GEGEN die Lügen und die unerträgliche Zumutungen seitens der etablierten Parteipolitik zu sein. „Das erzählt doch keiner in den Umfragen, dass er AfD wählt, aber warte mal den Sonntag ab!“. Ja, dann warte ich wohl mal den Sonntag ab.