Geschichten die das Leben schrieb: Talkrunden im Staatsfernsehen sind nicht gut für die geistige Gesundheit

Ich sitze in der Wohnzimmerecke, höre Musik über Kopfhörer und zeichne. Irgendwann kriege ich Durst, setze die Kopfhörer ab und stehe auf, um mir etwas zu trinken zu holen.

Das hätte ich nicht tun sollen, denn nun dringen an meine unschuldigen Ohren Gesprächsfetzen einer Diskussionsrunde bei Maybritt Illgner, einer bekannten und hochbezahlten Mietpropagandistin des Staatsfernsehens. Zu Gast diesmal erstaunlicherweise der AfD-Chef Chrupalla und ein aalglatter FDP-Funktionär, ersterer vermutlich aufgrund des Umfragehochs seiner Partei, das die etablierten bürgerlichen Parteien in helle Panik versetzt.

Was ich in den etwa fünf Minuten mitbekomme, die ich fassungslos der „Debatte“ – in Wirklichkeit eine Art medialer Pranger, an den Moderatorin und Establishment-Politiker das „rechte“ Schmuddelkind der DEMOKRATIE stellen wollen – lausche, ist folgendes:

Alle sprechen sehr schnell, scheinen also zu denken, dass sie lieber eine gewaltige Menge an Behauptungen, Sprechblasen und Sprachregelungen unter- oder „rüber“bringen müssen statt ein paar vernünftige Argumente. Ausnahme der AfD-Mann. Er redet zwar auch vergleichsweise schnell, scheint aber noch der Coolste der Drei zu sein. Er wird immer wieder unterbrochen, man läßt ihn so gut wie nie ausreden und seine Sätze zuende bringen.

Chrupalla ist der einzige in der Runde, der auf ein paar Fakten hinweist: der Sanktionskrieg gegen Russland schadet vor allem dem Westen, Deutschland solle wieder russisches Gas beziehen, die Ampelregierung ruiniert und deindustrialisiert den Standort Deutschland, der Ukraine-Krieg ist nicht ausschließlich Schuld Russlands etc.

Damit ist er – was zu beweisen war – entlarvt als Demokratiefeind und Putinfreund. Überhaupt scheinen alle – besonders der FDP-Mann – zu wissen, was Demokratie ist: sie tragen den Begriff wie einen Fetisch vor sich her, erläutern ihn nie und setzen voraus, dass alle sich einig sind, dass DEMOKRATIE natürlich nur erstens und allgemein die wertewestliche Lebensart und Staatsform sein kann, zweitens und im Besonderen aber die wunderbaren Verhältnisse, die dank ihr in dem wunderbaren und gewissermaßen erz- und urdemokratischen Deutschland herrschen.

Die Ausgrenzung der AfD aus dieser gedachten Idealform bürgerlicher Herrschaft erfolgt heute vor allem durch den Nachweis mangelnder Russophobie und Kriegsbereitschaft seitens der Partei und ihrer Vertreter. Chrupalla weist auf den verlogenen Selbstbetrug der Sanktionskrieger hin, die mit dem Verzicht auf russisches Erdgas eine „Abhängigkeit“ von Russland beenden wollen und sich dafür in die viel drastischere Abhängigkeit von amerikanischem LNG begeben. Er hat kaum „Russland“ und „Gas“ in einem Atemzug gesagt, als die FDP-Charaktermaske ihm triumphierend in die Parade fährt und die ganz dicke Moralkeule auspackt: „Wollen Sie etwa diesen schrecklichen Angriffskrieg Putins relativieren? Da sterben FRAUEN und KINDER!“ Jetzt hat er ihn!

Das scheinbar handverlesene Publikum scheint zu 90% aus Gläubigen der Staatsmedien zu bestehen, denn es applaudiert dem liberalen Moralprediger und seiner höchst verlogenen Nummer. Der AfD-Chef kontert ziemlich abgebrüht mit dem Hinweis bzw der Frage, was denn sein Gegenüber zu den Kriegen der USA im Irak („Fünfhunderttausend tote Kinder!“) sagen würde, gibt also die Moralheuchelei des Regierungsheinis in gleicher Münze zurück.

So geht es in den paar Minuten, die ich auf den Fernseher starre, hin und her. Die Liebste, die sich diese Art Sendungen öfters antut, zieht die richtigen Schlüsse und bemerkt: „Die haben den AfD-Typen doch nur eingeladen, um ihn fertigzumachen. Dabei ist der der einzige, der die Wahrheit sagt. Stimmt doch alles, was der sagt!“

Wenn es die Absicht des Staatsfernsehen sein sollte, die AfD durch zähneknirschend eingeräumte Sendezeit in Kreuzverhören und lächerlichen Moralanwürfen wie in dieser Talkrunde bloßzustellen und die Zuschauer als Wähler wieder auf die regierungsamtliche Linie der Kriegs- und Verarmungsbefürwortung zu bringen, dann ist dieser Plan gründlich schief gegangen.

Wieder meine ansonsten streng unpolitische Gattin: „Mit jedem solcher Auftritte sorgen die doch bloß für noch mehr Stimmen für die AfD…“

Es ist leider so: die AfD ist momentan die einzige wahrnehmbare politische Gruppierung, die Kritik am Regierungskurs, an der Russophobie, an Krieg und Verarmung, an Deindustrialisierung und der rotgrüngelben Klima- und Wokeness-Ideologie überhaupt noch artikuliert.

Was Aufgabe einer sozialistischen Opposition sein müsste, wird im Deutschland des Jahres 2023 wahrgenommen von einer Partei, die nach herkömmlichen Maßstäben „ganz rechts“ im politischen Spektrum angesiedelt ist und – soweit ich es verstehe – einen völkischen statt eines neoliberalen „grünen“ Kapitalismus (mit ganz bestimmt nicht weniger Ungemütlichkeiten für die Arbeiterklasse als der der Regierung) anstrebt.

Man möchte dran irre werden.