Abt. Naheliegende Analogien

Der Nachbar: schraubt schwarze Kunststoff-Raben auf das Balkongitter, um die Tauben abzuschrecken, die ihm den Balkon vollkacken.

Die Tauben so: „Hold my beer.“

Mir scheint da eine Analogie vorzuliegen zum Abschreckungspotenzial des kollabierenden Imperiums gegenüber der Globalen Mehrheit.

Geschichten die das Leben schrieb: „Wer kann sich Wohnraum noch leisten?!“

Seit wir über den Flurfunk erfahren haben, dass unser Vermieter beabsichtigt, den Vier-Parteien-Altbau zu verkaufen, in dem wir wohnen, verbringt die Frau jede freie Minute vor dem Bildschirm. Sie stöbert in den einschlägigen Immobilienportalen nach einer neuen Wohnung und fällt von einem Schreck in den nächsten.

„Also, unsere bisherigen Quadratmeter können wir knicken“, erfahre ich den Zwischenstand. „Für das Geld, das wir jetzt zahlen, gibt‘s höchstens noch Zwei-Zimmer-Wohnungen. In Duisburg kann man aber noch günstig wohnen…“ Der letzte Satz ist eher als Scherz gemeint, denn als eingefleischte Düsseldorferin, schon gleich als eine, die seit 37 Jahren im selben Stadtteil wohnt, ist Duisburg das Letzte, was sich eine Oberkasselerin als Wohnort vorstellen möchte. „Eher ziehe ich nach Neuss!“, verkündet sie, und das will etwas heißen, denn Neuss verhält sich zu Düsseldorf-Oberkassel wie Scholz zu Putin bzw. zu Xi Jinping, wie Dacia zu Daimler, wie Wasser zu Wein.

Nach einem Tag der gefaßt-praktischen Reaktion auf die Neuigkeit ist meine Liebste scheinbar in ein tiefes Loch gefallen. „Ich merke, wie mich das mitnimmt. Mich nervt das alles so sehr, besonders die Ohnmacht…“, sagt sie und stoßseufzt „Wer kann sich Wohnraum denn überhaupt noch leisten?!“. Dann wendet sie sich an mich: „Du nimmst das ja scheinbar gelassen…“

Ich erläutere ihr, warum: erstens bin ich seit meiner Kindheit extrem umzugserfahren und zweitens und vor allem mache ich mir nichts vor über die Welt und die Gesellschaft, in der wir leben. Durch Ereignisse wie einen qua Eigentümerwechsel erzwungenen Umzug werden wir bloß mit der Nase auf die ungemütlichen Realitäten des Kapitalismus gestoßen: als Lohnabhängige sind wir mit den elementaren menschlichen Grundbedürfnissen – Nahrung und Obdach – vollständig abhängig von der Kalkulation anderer.

Deren Kalkulation mit den Grundbedürfnissen der Leute erfolgt nicht, um diese Bedürfnisse zu erfüllen, sondern um den Reichtum der Besitzenden zu vermehren. Die Erfüllung aller Bedürfnisse in dieser Gesellschaft, selbst der elementarsten, erfolgt nur und ausschließlich, wenn und sofern eine zahlungsfähige Nachfrage besteht, die diesen Zweck erfüllt.

„Solche Vorkommnisse sind in einer Weise sogar nützlich. Sie könnten einen ja darauf bringen, dass man in dieser Gesellschaft immer nur die abhängige Variable von den Berechnungen Dritter ist“, sage ich. „Und zwar der Klasse der Eigentümer, für die der ganze Laden eingerichtet ist. Das könnte man feststellen und die entsprechenden Schlüsse ziehen…“

„Der einzige Schluss ist doch, selber Wohneigentum zu haben“, entgegnet mir die Gattin – womit sie einerseits recht hat und andererseits die typische Denkweise jedes Marktwirtschaftsinsassen zum Ausdruck bringt, nach der man in der kapitalistischen Suppe lieber das Fettauge ist, das oben schwimmt, als der Brotkrümel, der in die Suppe getunkt und aufgegessen wird.

Die Wohneigentumsfrage ist mangels Ressourcen allerdings ohnehin eine theoretische, so dass wir schnell wieder bei der Diskussion möglicher Wohnorte landen und die ernüchternde Feststellung machen müssen, dass selbst in den im Vergleich zu Oberkassel unattraktiven Gegenden des Umkreises „der Wohnungsmarkt angespannt“ ist, wie wir Fachleute sagen.

Wir drehen uns im Kreise, auch meine Mahnung, dass wir „offiziell“ noch gar nichts wissen und nichts an Verkauf, Kündigung und Umzug spruchreif ist, trägt nicht zur Entspannung meiner Liebsten bei. „Paradies-Wein?“ fragt sie mich unvermittelt, womit sie einen kürzlich im Jacques‘ Weindepot erstandenen Edel-Primitivo aus Puglia meint, und fügt hinzu: „Das ist das einzige, was jetzt noch hilft!“

Ich halte es nicht für nötig, sie an die gestern und heute mehrfach gemachten Ankündigungen zu erinnern, wonach heute auf jeden Fall und wegen des frühen Aufstehens am Montagmorgen „nur Kräutertee“ getrunken werden würde. In Zeiten wie diesen muss man flexibel bleiben und stets die geeigneten Drogen zur Hand haben, um sich eine kleine Auszeit von der Tatsache zu verschaffen, dass Kapitalismus einfach schon als Kind scheiße war.

Geschichten, die das Leben schrieb: „Wir wollen doch nur in Ruhe leben“

Beim Treppenhaustratsch erfährt man manchmal höchst interessante und aktuelle Nachrichten, was die Wohnungssituation betrifft. Die Nachbarin aus dem ersten Stock spricht mich an und fragt: „Na, hat er schon mit euch geredet?“. 

Ich weiß von nichts, noch nicht einmal, wen sie mit „Er“ meinen könnte. 

Wie sich sich im weiteren Verlauf des Gespräches herausstellt, meint sie damit unseren Vermieter und Hauseigentümer. Dieser ist ein pensionierter Mitarbeiter einer bundesweit tätigen Immobilienmaklerkette und hat es in dieser Eigenschaft zu einigem Wohlstand und etlichen Immobilien und Liegenschaften gebracht . Die Nachbarin berichtet mir, dass er nun das Haus, in dem wir wohnen, einen etwa 120 Jahre alten Altbau in bester Oberkasseler Lage mit vier Wohnungen, zu verkaufen gedenkt und zu diesem Zwecke ihr bereits zweimal Interessenten beziehungsweise „Investoren“ durch die Bude geschickt hat.

Mir fällt es wie Schuppen aus den Haaren: ja klar, der Mann hat das Haus 2004 erworben. Nach zehn Jahren läuft irgendeine gesetzliche Veräußerungseinschränkung ab und er kann seine Immobilie auf dem Wohnungsmarkt zum Höchstpreis absetzen. Oder dies zumindest versuchen, denn auch der Wohnungsmarkt – jedenfalls, was den Kaufmarkt betrifft – liegt ziemlich danieder: Wohneigentumserwerb wird durch Inflation, hohe Material- und Baukosten, lange Lieferzeiten, Wirtschaftskrise und schlechte Kreditbedingungen immer schwieriger und die potentiellen Immobilienbesitzer drängen auf den Mietmarkt, der dadurch noch enger und härter umkämpft wird.

Ich erfahre von der Nachbarin, dass der Eigentümer alleine für ihre Vierzimmerwohnung eine Million Euro haben möchte. Es ist denkbar, dass der geschickte Reichtumsvermehrer aus der Klasse der Bezieher leistungsloser  Einkommen seinen Besitz scheibchenweise, sprich stockwerkweise, verscherbeln möchte. Die Nachbarin ist besorgt, einigermaßen gestresst und macht sich jetzt schon Gedanken, wie sie für ihre Familie – sie, ihr Mann und zwei Teenagertöchter – unter diesen Umständen und in diesem Viertel eine neue Bleibe finden kann. Sie und ihre Familie sind erst vor drei Jahren – nach einer Eigenbedarfskündigung ihrer vorigen Wohnung in einem Haus um die Ecke – in das Gebäude eingezogen und haben bei Einzug die gesamte Wohnung für viel Geld komplett renoviert. Aufgrund ihrer kurzen Mietdauer sind sie diejenigen Mieter, denen man am leichtesten kündigen kann.

„Immer dieser Stress! jetzt waren wir so froh, dass wir diese Wohnung gefunden hatten und jetzt das schon wieder. Wir wollen doch nur in Ruhe leben können.“ seufzt sie. Ich tröste sie halbherzig mit der Bemerkung, dass bei der derzeitigen Marktlage noch lange nicht gesagt ist, dass der Eigentümer Käufer oder Investoren findet, die seine Preise bezahlen, und dass, selbst wenn er welche findet, die Angelegenheit sich gut und gerne über das gesamte nächste Jahr hinziehen kann. 

Oben in unserer Dachbude angekommen, berichte ich der Liebsten von diesen neuen Entwicklungen. Meine praktische und bodenständige Gattin verkündet sofort, dass sie ab jetzt nicht nur gelegentlich, sondern täglich den Immobilienmarkt sondieren wird, schon um dem Vermieterspekulanten ein Schnippen zu schlagen: „Wenn wir hier ausziehen und der das verkaufen will, findet er keine Mieter mehr für die Wohnung hier. Das gönn’ ich dem!“ 

Des Weiteren kündigt sie an, bei ImmoScout die „Miete+“-Option zu aktivieren, einen Bezahlservice, der mindestens 12,99 € im Monat kostet und einem minimale Konkurrenzvorteile bei dem Hauen und Stechen um vermieteten Wohnraum bringen soll. Meine marktwirtschaftserprobte Gattin ist bereit, alle Register zu ziehen, um uns am Mietmarkt einen Startvorteil zu verschaffen, da sie uns in einem strategischen Nachteil sieht: „Wir haben einen Hund – das macht es schon mal schwieriger. Wir müssen uns JETZT kümmern und nicht erst, wenn wir die Pistole auf die Brust gesetzt kriegen!“

Ebenfalls wird strenge finanzielle Disziplin angekündigt, um die Kosten eines Umzuges stemmen zu können: „Das ist erst recht ein Grund, die Moppen zusammen zu halten und schön das Sparkonto aufzufüllen!“. Ich nicke verständig und grunze Zustimmung, während sich vor meinem inneren Auge die zunehmende Begrenzung meines Spielraums für allerlei Internetbestellungen entfaltet.

Ich selber bin aufgrund von Lebenserfahrung und dank meiner Einsicht in die Mechanismen einer kapitalistischen Konkurrenzgesellschaft wenig beeindruckt und erschüttert, zumal ich in einer fast zwei Jahrzehnte währenden Phase meines Lebens etwa alle zwei Jahre umgezogen bin. Tatsächlich sind die sieben Jahre hier in diesem Haus in Düsseldorf die längste Periode sesshafter Verwurzelung, die ich seit Jahrzehnten genießen konnte. Einen Umzug würde ich zwar lieber vermeiden, erschrecken kann er mich aber nicht.

Am nächsten Morgen steht die Liebste im Badezimmer, wo uns in der Vorwoche angebrachte neue Grohe-Armaturen (Kosten, mit Handwerker-Lohn, knapp fünfhundert Euro) aufs erfreulichste anstrahlen und sagt „Jetzt ärgere ich mich, dass wir die Armaturen gekauft haben. Hätte ich gewusst, dass wir hier bald ausziehen müssen, hätte ich das gelassen..“ 

Besagte Armaturen mussten ausgetauscht werden, da die alten komplett verkalkt waren und keinen normalen Wasserdurchlauf mehr zuließen. Ich selber hätte die Rechnungen umstandslos an den Hausbesitzer weitergereicht, aber die Frau, besorgt um das gute Verhältnis zum Vermieter, bestand darauf, die Rechnung selber zu übernehmen. Ich erspare mir ein „Hättest ja gleich auf mich hören können“, und denke über den Satz der Nachbarin nach, der mich am meisten beeindruckt hat und der mir typisch scheint für Stimmung und Lebensgefühl der lohnarbeitenden Bevölkerung: „Wir wollen doch nur in Ruhe leben!“

Dass ein solches ruhiges Leben im Kapitalismus nicht zu haben ist, das verstehen sie alle nicht. Stattdessen nehmen Sie die Unruhe, die ihr Dienst an fremdem Reichtum unweigerlich und zwangsläufig in ihr Leben bringt, als den natürlichen Lebensumstand hin, dem sie nun einmal ausgesetzt sind und an dem niemand etwas ändern kann. Und das ist die Lüge, in der diese politische Ökonomie die abhängig Beschäftigten hält

Erbarmungslose Jagd nach Spaß und Vergnügen ist angesagt am linken Rheinufer, denn es ist RHEINKIRMES!!

Eine ununterbrochene Kakophonie von hammerschlagartigen Klangkaskaden, die bei unter Zwanzigjährigen als Musik gelten, quillt einem schon entgegen, bevor man auch nur der Kirmes ansichtig wird.

Durch die Seiten- und Nebenstraßen Oberkassels, in denen sonst gut betuchte, dezente Menschen zu sehen sind, die ihre SUVs parken und mit ihren Hunden flanieren, strömen Heerscharen von Feierwilligen dem Ort der erhofften Vergnügungen entgegen. Gelegentlich Familien mit ein bis mehreren Kindern, die hier sicher viel Geld loswerden(eine Bratwurst kostet 5,00 Euro), in der Regel aber Gruppen von Jugendlichen mit erkennbaren Migrationshintergründen.

Die Invasion des Neusser, Duisburger, Krefelder und Mönchengladbacher Prekariats spiegelt sich wieder in der endlosen Schlange von KfZs, die auch um 21:00 noch die Luegallee in Richtung Rheinufer rollt. Kurz vor der Rheinkirmes hatte die Stadt Düsseldorf die lobenswerte Idee, die zweite Fahrspur der Luegallee zur Fahrradspur zu machen – verkehrstechnisch das einzig richtige, für die Pkw-Benutzer aber ein Nadelöhr, das den Weg vom Belsen-Platz bis zur Oberkasseler Brücke im Berufsverkehr und jetzt zur Kirmes zu einem Stop-and-Go-Abenteuer macht.

Wenn man sich das Spektakel nur von außen anschaut und sich die nervtötende adoleszente Umpf-Dumpf-Musik wegdenkt, ist die Kirmes ein schöner, glitzernder, flimmernder Anblick. Das findet auch der Hund, der sich neugierig und erstaunt alles anschaut und weder vom Lärm noch von den gleitenden, blinkenden, sich bewegenden Geräten gestört wirkt.

Seine Menschen allerdings sind froh, wenn sie der Vergnügungszone entronnen und wieder im ruhigen, schattigen Park sind.

Schadenfreudiger Fun Fact der ganzen Angelegenheit: während der neun oder zehn Tage Rheinkirmes leiden ausgerechnet die Anwohner in der absolut edelsten und teuersten Wohnlage Düsseldorfs, nämlich die Bewohner der Häuser am noblen Kaiser-Wilhelm-Ring, am meisten unter dem lärmenden Treiben. Es sei ihnen von Herzen gegönnt. Aber wahrscheinlich haben sich etliche von ihnen ohnehin in Fünfsterne-Hotels in der rechtsrheinischen Innenstadt untergebracht oder sind gleich zu einem Kurzurlaub nach Bali oder Hawaii aufgebrochen, um die Kirmeszeit zu umgehen.

Die Rheinkirmes naht!

Am Freitag beginnt das größte Volksfest in NRW, ausgerechnet quasi vor meiner Haustür. Der lokale Einzelhandel greift das Thema ebenfalls gerne auf; dieser Optiker hat den Vogel abgeschossen und eine ganze Playmobil-Kirmeslandschaft aufgebaut.

Das beste: die eine Figur im Klohäuschen ist in kotzender Haltung dargestellt – eine ziemlich realistische Anspielung auf den zehn Tage währenden Ausnahmezustand, in dem unsere beschauliche linksrheinischen Idylle von den asozialen Horden aus den Unterschichtsstadtteilen oder gar den Prekariatstrollen aus Mönchengladbach, Duisburg und Krefeld heimgesucht wird.

Endgeräte-Kühlung in der Dachwohnung

Es ist wieder soweit: das Endgerät muß im Kühlschrank runtergekühlt werden. Leider gibt’s keinen Kühlschrank, in den ICH reinpasse. Und zu irgendeiner Form von Klimaanlage (und sei es ein Ventilator) habe ich es auch noch nicht gebracht. Obwohl ich mir seit ungelogen VIER JAHREN jedesmal sage, dass für den nächsten Sommer aber auf jeden Fall irgendeine Maßnahme ergriffen werden muss, um die Dachwohnung bei plus 30 Grad Außentemperaturen irgendwie zu einem bewohnbaren Obdach zu machen.