Geschichten aus dem Pflegeheim: Unvernunft und Verständnis

Unschwer zu sehen, was heute Thema in der „Tagesgruppe Demenz“ war:

Das nie Gesehene, aber jedem bekannte Fabeltier, das der Pflichterfüllung so oft einen Strich durch die Rechnung macht;

Und die Fabel vom Fuchs und dem Skorpion, der nicht anders kann als bei Strafe seines eigenen Unterganges dem Fuchs bei der Flussüberquerung einen tödlichen Stich zu versetzen.

Meine demente Truppe nimmt es interessiert zur Kenntnis und schüttelt mehrheitlich den Kopf über so viel Unvernunft des Skorpions.

Andrerseits versteht auch jeder gut, dass es Situationen gibt, wo man „einfach nicht anders kann“!

Geschichten aus dem Pflegeheim: Die Erfindung der Musik

Zwischen Frühstück und Mittagessen sind 5 – 7 Bewohner zu betreuen und zu beschäftigen, die im Speisesaal des Wohnbereiches sitzen bleiben – teils weil sie zu dement oder zu müde sind, um woanders hinzugehen, teils weil sie es alleine in ihren Zimmern nicht aushalten.

Die Mehrzahl von ihnen ist normalerweise in der wochentäglichen „Tagesgruppe Demenz“, aber in Pandemiezeiten ist gerade im Pflegeheim nichts normal und die Tagesgruppe findet nun schon seit 7 Monaten nicht mehr statt.

Meine Aufgabe besteht darin, die Leute zu beschäftigen bzw. zu UNTER- und der ohnehin überlasteten Pflege VOM Hals zu halten. Unbeschäftigte, sich selbst überlassene Bewohner, speziell Demente, neigen nämlich dazu, entweder Unsinn anzustellen oder den überforderten Pflegekräften durch ständiges Auf- und Ab- und Hin- und Herlaufen oder durch häufigen Betreuungsbedarf den letzten Nerv zu rauben.

Selbst wenn sie mal nichts brauchen oder wollen ist es ein überaus trauriger Anblick, eine Gruppe alter Menschen stundenlang alleine in einem Raum sitzen zu sehen, meistens stumm, viele vor sich hin dämmernd und mehr oder weniger sediert in die Gegend starrend. Außerdem verstößt es gegen die Fürsorgepflicht der Einrichtung, die Leute einfach sich selbst zu überlassen.

Heute bringe ich zusätzlich zu Flipchart, Malstiften und Audio-Equipment einen Eimer mit ausgedienten, sehr stabilen Röhren aus Hartpappe mit, von ungefähr doppelter Länge der Innenröhre einer Küchenrolle und vom selben Durchmesser. Den Eimer habe ich irgendwo im Haus rumstehen sehen und sogleich für den Einsatz in meiner Runde für gut befunden.

Kaum habe ich den Raum betreten, in dem bereits sieben erwartungsfrohe Bewohner sitzen, ergibt sich auch schon die Möglichkeit des Einsatzes meiner Pappröhren: ich sehe, wie Frau S. – eine freundliche 90-Jährige mit mittelschwerer Demenz – fröhlich im Takt zu einem Strauß-Walzer mit den Füßen wippt und erkennbar von der Musik angeregt ist und begleite den Rhythmus mit einer der Röhren.

Das ruft sofort die Aufmerksamkeit der Runde hervor, und damit ergibt sich der weitere Ablauf wie von selbst: Jeder der Anwesenden erhält zwei Röhren und nach kurzer Einübung veranstalten wir ein regelrechtes Trommelkonzert. Zur Inspiration meiner Truppe spreche ich über die Erfindung der Musik – ein hervorragendes Thema, um gleich eine Runde Gedächtnistraining zu machen.

Mit ein bißchen Nachhilfe kommt Frau S. darauf, dass sicherlich der Rhythmus, also das Trommeln, der Ausgangspunkt aller menschlichen Musik war. An dieser Stelle rege ich die Fantasie meiner Schützlinge mit einer weiteren Story direkt aus der ungeschriebenen „Geschichte der grauen Vorzeit“ an und erzähle von Uga-Uga, dem Affenkönig, der in der Steppe ein paar Mammutknochen entdeckte.

Erst wusste er nicht, was er damit fangen sollte, aber nach einer Weile Rumspielen mit den Knochen entdeckte er, dass sich damit ganz hervorragende Rhythmen hervorbringen ließen- die Geburtsstunde der Musik! (Die kleine Anleihe bei Kubricks „2001 – A Space Odyssey“ verschweige ich der Runde, weil das den Rahmen gesprengt hätte).

Jedenfalls sind die Trommler glücklich und erfreut über die eigene musikalische Darbietung und wir beschließen spontan, nächste Woche an Karneval ein Gratiskonzert im Wohnbereich zu geben. Ich selber bin etwas erhitzt und außer Atem, denn um die Geschichte von Uga-Uga dem Affenkönig möglichst plastisch wiederzugeben, konnte ich natürlich nicht darauf verzichten, auch seine affenmäßigen Trommeltänze und -gesänge vorzuführen – zur Erheiterung meiner Leute und der vom Getrommel herbeigelockten Pflegekräfte und sonstigen Mitarbeiter des Wohnbereiches, die sich das Spektakel entweder kopfschüttelnd oder amüsiert eine Weile mit anschauen.

Damit ist der Vormittag auch schon wieder überstanden und das Mittagessen naht. Wir beenden die Runde mit dem Klassiker „Wir haben Hunger Hunger Hunger, haben Hunger Hunger Hunger, haben Hunger Hunger Hunger, haben Durst…“ zu Trommelbegleitung.

Geschichten aus dem Pflegeheim: Seemannsgarn

Noch mehr Flipchart-Illustrationen:

Das wogende Meer bei strahlender Sommerhitze wird natürlich von Walter dem Wal hervorgerufen, der – neugierig wie er ist – mal kurz auftaucht um sich das Fischerboot anzugucken.

Kann er ja nicht wissen, dass seine gewaltige Wasserverdrängung den beschaulichen Fischfang von Käptn Kuno zu einer abenteuerlichen Berg- und Talfahrt werden lässt!

Meine dementen Zuschauer sind fasziniert und fiebern mit. Begleitet wird das Multimedia Event von der bewährten Spotify Playlist „Seemannslieder und Meeresrauschen“.

Die Nachricht, dass „Walfische“ gar keine Fische sind, wird von der Runde mit Erstaunen aufgenommen. Man nimmt es aber wohlwollend zur Kenntnis und irgendwie ist es auch egal, denn hauptsächlich führt es uns zum nächsten Lied, das tatsächlich einige mitsingen können: der „Ballade von Mackie Messer“ aus der Dreigroschenoper – wohl das einzige Bisschen proletarische Kultur, das hier im tiefen Westen in den Köpfen hängengeblieben ist.

Geschichten aus dem Pflegeheim: Corona-Alarm III

Der dritte Corona-Tote ist im Wohnbereich 3 zu beklagen. Von den Pflegern ist noch ein einziger übrig geblieben, der jetzt die betriebsfremden Zeitarbeiter anleiten muß, welche natürlich noch nicht mit den Abläufen des Hauses und der Wohnbereiche vertraut sind und die vor allem die Bewohner nicht kennen.

Ich unterhalte mich kurz mit ihm über die Situation in seinem Wohnbereich und erfahre so, dass die rasante Verbreitung des Virus auf ausgerechnet diesem Wohnbereich vermutlich auf eine Nachtschichtkollegin zurückzuführen ist. Diese hat wochenlang dort gearbeitet, sich aber – obwohl sie die Möglichkeit hatte – nicht testen lassen. Erst als es nicht anders ging und im Heim zur Vorschrift wurde, kam heraus, dass sie positiv ist. Vermutlich hat sie es geahnt, wollte es aber gar nicht so genau wissen, denn sie ist dringend auf das Geld angewiesen, das ihr die Nachtschichten bringen.

Und da die Nachtschichtkollegen definitiv mit ALLEN Bewohnern eines Wohnbereiches in Kontakt kommen (im Gegensatz zur Tagschicht, bei der sich die 2 – 4 Pflegekräfte die Zimmer bzw. die Bewohner aufteilen können), hat die betreffende Kollegin dann wohl als „Superspreader“ die gesamte Bewohnerschaft bis auf drei angesteckt. Soweit die Vermutung des komplett überarbeiteten Pflegekollegen von WB3.

Plausibel ist es jedenfalls: besagte Kollegin war früher in der Pflege, hat sich mit der schweren Arbeit aber den Rücken kaputt gemacht. Sie ist dann als Betreuungskraft in den Sozialen Dienst gewechselt, was mit einem Einkommensverlust von ca. 30% für sie verbunden war. Die – was die körperliche Arbeit betrifft – weniger anstrengenden Nachtschichten sind ein Mittel für sie, mit einem Zusatzeinkommen über die Runden zu kommen.

Ich denke über all diese Zusammenhänge nach, während ich Herrn K., unseren sehr wackeligen und sehr dementen Neuzugang, auf seinen Toilettenstuhl helfe, nachdem er eine Weile aus seinem Zimmer gerufen hat und kein Pfleger gekommen ist…

Zusammenhänge und Umstände, die im Grunde gar nichts mit dem Virus und der Pandemie zu tun haben, sondern mit der Lohnarbeit: ein Erwerbsmittel, das niemals für ein anständiges Leben ausreicht, das die Arbeiter ein Arbeitsleben lang in Unsicherheit und Ungewissheit über die geldmäßige Überlebensbasis versetzt, und das sehr oft dazu führt, dass die von Lohnarbeit Abhängigen unverantwortliche Risiken für sich selbst sowieso, aber auch für andere eingehen.

Herr K. weist mich unterdessen darauf hin, dass er „groß gemacht“ hat (was ich allerdings schon gerochen habe) und wirkt dabei stolz wie ein Huhn, das ein Ei gelegt hat.

Ich muß ihn jetzt vom Toilettenstuhl hochziehen, mit einem Arm halten und mit der freien Hand säubern und anschließend Vorlage, Unterhose und Hose hochziehen.

Pflegerische Tätigkeiten sind dem Sozialen Dienst im Grunde untersagt, zumal wenn der Mitarbeiter nicht wenigstens den Schein als Pflegehilfskraft erworben hat. Da aber weit und breit keiner der Pflegekollegen in Sicht ist (es gibt schließlich noch 27 weitere Bewohner zu versorgen), weil ich Herrn K. ersparen will, in die Hose machen zu müssen und weil mir ohnehin nichts Menschliches fremd ist, sorge ich eben an dieser Stelle für Ordnung bzw. Sauberkeit.

Herr K., der erfreulich schamfrei und natürlich mit seinen Ausscheidungsvorgängen umgeht, ist anscheinend zufrieden mit meiner Handreichung; möglicherweise auch, weil er lieber von einem Mann versorgt wird als von der resoluten Wuchtbrumme, die heute auf seinem Flur Dienst hat und eher burschikoser Natur ist („Stecken Sie aber Ihren Helmut auch mit rein!“, heißt es bei ihr, wenn sie dem Bewohner bedeutet, dass auch und vor allem sein edelstes Teil in die Öffnung des Toilettenstuhls hineinzuhängen ist).

Jedenfalls ergreift Herr K., der eine ausnehmend gute und rege Verdauung hat, nun jedesmal, wenn er meiner ansichtig wird, die Gelegenheit, mich um Hilfe bei der Verrichtung seiner natürlichen Bedürfnisse zu bitten – und so komme ich an diesem Vormittag noch ein zweites Mal zu der Ehre, Herrn K. in dieser Hinsicht behilflich zu sein. Ein drittes Mal blocke ich ab mit dem noch nicht mal gelogenen Hinweis, dass ich das Mittagessen vorbereiten müsse und benachrichtige eine Pflegekraft.

Nach dem Mittagessen ist zum Glück Dienstschluss für mich, und für heute bin ich froh, diesen derzeit so traurigen Ort hinter mir lassen zu können.

Foto: Antigen-Schnelltest bei Bewohnerin

Geschichten aus dem Pflegeheim: Corona-Alarm II

Das Virus breitet sich im Heim aus wie die böse Krätze. Im Wohnbereich 3 sind mittlerweile bis auf drei Bewohner alle positiv getestet. Auch die Pflegekräfte sind massiv infiziert; immer mehr fallen aus, weil sie in Quarantäne müssen, der laufende Betrieb wird mit Zeitarbeitskräften aufrechterhalten. Die bisherigen beiden Corona-Toten der Einrichtung kommen aus diesem Wohnbereich.

Die anderen Wohnbereiche sind jetzt noch mehr abgeschottet, um eine Ausbreitung der Infektion zu vermeiden. Die Bewohner sind auf ihre Zimmer verwiesen und drehen alle am Rad. Die Isolierung, der Wegfall der Gruppenangebote, das Alleinsein auf dem Zimmer macht allen schwer zu schaffen.

Ich bin der einzige Mitarbeiter der Einrichtung, der per Ausnahmegenehmigung überhaupt noch Gruppenangebote machen darf. Heute ist wieder die Mal- und Kreativrunde dran. Die Wohnbereichsleiterin bittet mich, die Gruppe diesmal im Speisesaal statt im gewohnten Gruppenraum zu machen. Letzterer ist ihr „zu nahe an Wohnbereich 3 dran“.

Ich mache mich also ans Aufbauen, Material heranschaffen, Musikanlage einrichten (gehört in meinen Kursen wesentlich zur kreativen Atmosphäre) usw. und verwandle gut anderthalb Stunden vor Angebotsstart den Raum in ein Künstler-Atelier. Ich achte darauf, dass die einzelnen Arbeitsplätze den vorgeschrieben Abstand haben und lege die Mappen der fünf Teilnehmer (mehr dürfen zur Zeit nicht mitmachen) auf die Plätze.

Womit ich nicht gerechnet habe ist, wie ausgehungert die Bewohner nach Gemeinschaft, nach Zusammensein und nach Austausch sind. Dass sich in dem seit über einer Woche brachliegendem Speisesaal (alle Mahlzeiten müssen einzeln auf den Zimmern eingenommen werden) etwas tut, spricht sich in Windeseile herum und die ersten Neugierigen tauchen auf; Leute, die sich sonst im Leben nicht in einer Kunstgruppe blicken lassen würden, die aber von der Aussicht auf ein Gruppenangebote magisch angezogen werden.

Eine halbe Stunde vor Angebotsbeginn habe ich meine Kursteilnehmer plus 5 weitere Bewohner erwartungs- und freudevoll im Raum sitzen, weitere Bewohner strömen herbei, angezogen wie die Motten vom Licht von der Hoffnung auf Abwechslung, Unterhaltung und Geselligkeit.

Die Wohnbereichsleiterin steckt die Nase zur Tür hinein, erfreut und berührt, dass endlich mal etwas gegen die kurz vor der Depression stehenden Monotonie und Langeweile der Bewohner unternommen wird und weist mich auf die Teilnehmerbegrenzung hin – allerdings mit den Worten “ Das darf da unten (sie meint den Sitz der Einrichtungsleitung) keiner wissen!’.

Ich sage meinen Leuten, dass wir eigentlich gar nicht machen dürfen, was wir hier machen, dass wir aber wohl alle auch gerne ein bißchen Abwechslung erleben möchten und deswegen – wenn wir schon die Höchstzahl an Personen im Raum überschreiten – wenigstens die Abstände einhalten müssen. Das verstehen auch die Dementen, alle sind bester Stimmung, keiner will sich den überraschenden geselligen Nachmittag verderben.

Die Malgruppen-Teilnehmer widmen sich ihren Bildern, die anderen sitzen dabei und genießen die Geselligkeit, singen die Lieder mit und unterhalten sich. Partyatmosphäre kommt auf, immer weitere Neugierige erscheinen.

Frau L., eine an Depression leidende Krebspatientin, schiebt ihren Rollator herein, setzt sich auf einen Stuhl und genießt lächelnd die gelöste Stimmung. Nach einer Weile sagt sie zu mir: „Frau H. will auch wissen, was hier los ist!“ Frau H. Ist ihre Zimmergefährtin, dement und auf den Rollstuhl angewiesen. Sie sitzt im Zimmer gegenüber, hört die Musik, die Stimmen der anderen und hält es kaum noch aus, nicht dabei zu sein.

Mir ist mittlerweile alles egal, ich schiebe sie in den Speisesaal in eine Ecke mit ausreichendem Abstand zu den anderen. Vor Freude über die lang vermißte Gemeinschaft mit den anderen Bewohnern laufen ihr die Tränen übers Gesicht und sie singt mit Inbrunst die Schlager und Chansons mit, die wir als Begleit- und Inspirationsmusik auflegen.

Frau H., Teilnehmerin der „Tagesgruppe Demenz“ (die jetzt schon seit zwei Wochen nicht mehr stattfindet), hat sich inzwischen ein Blatt Papier geschnappt und legt mit Ölpastellkreiden los. Dabei kommentiert sie ausgiebig ihr Werk, spricht aber zwischendurch auch munter und aufgekratzt mit den anderen. „Wohnen Sie schon lange hier?“, fragt sie Frau S., die ihr seit zwei Jahren in der „Tagesgruppe Demenz“ gegenüber sitzt.

Von ihrem Bild ist sie sehr angetan und erklärt mir, was es damit auf sich hat: „Das sind die Wellen des Meeres, die alles forttragen… da in der Ecke, die Striche, das sind welche auf Krücken, die haben sich die Beine gebrochen, und da kommen die Toten.“

„Die Toten?“ hake ich nach, neugierig geworden, „was machen die denn im Meer?“

„Na, die werden fortgespült!“ erläutert sie mir und ich schäme mich fast für meine dumme Frage.

Frau H. ist spürbar aufgeputscht durch die Gruppenatmosphäre, auch die übrigen Anwesenden sind gelöst und bester Laune. Als ich kurz zum Klo gehe, höre ich beim Zurückkommen den lauten Gesang der ganzen Gruppe über die Flure schallen und freue mich, dass wenigstens heute mal die Tristesse des coronabedingten Stubenarrests gebrochen ist.

Nach anderthalb Stunden – 30 Minuten länger als für das Angebot eingeplant – muß ich die Runde beenden, abbauen und die Leute zurück auf ihre Zimmer befördern oder (sofern sie mobil sind), auffordern, sich dorthin zu begeben.

Nun wird es erst recht lustig. Meine beschwingte Truppe begibt sich zwar erstmal in Richtung Flur und des jeweiligen Zimmers, aber schon nach wenigen Minuten, während ich die diversen Utensilien und Gerätschaften abbaue und verstaue, sind sie alle wieder da.

Da ich die Gewohnheit habe, währende des Abbauens die Musik weitere laufen zu lassen, wollen und können sie sich nicht trennen von der Quelle der Geselligkeit und des gemeinsam verbrachten Nachmittags. Ich versuche es mehrere Male, leite die Leute immer wieder auf ihren Weg zu ihren Zimmern, aber offensichtlich folgen sie mir nur aus Freundlichkeit, gehen zwar tatsächlich in ihre Zimmer, kehren aber von dort schnurstracks wieder zurück in den Speisesaal.

Schließlich muss ich mir eine Kollegin herbeiholen, da ich die Situation anders nicht beaufsichtigt und geregelt kriege und ich eine weitere Person brauche, die die Bewohner aus dem Raum und auf ihre Zimmer bringt.

Das ist nötig, weil ich nicht nur aufräumen, Material verstauen und dokumentieren, sondern obendrein auch noch einen erneuten Corona-Antigen-Schnelltest machen muß, da ein weiterer Kollege des Sozialen Dienstes positiv getestet wurde (Antigen und PCR) und mit Corona-typischen Symptomen in häuslicher Quarantäne liegt. Der Kollege ist halb so alt wie ich – Jugend schützt vor Infektion und Erkrankung nicht, sei an dieser Stelle den Covidioten ins Stammhirn geschrieben.

Testergebnis übrigens negativ. Morgen geht’s weiter. Und übermorgen. Und jeden weiteren Tag.

Bild: Frau H. und ihr Meer mit den fortgespülten Toten

Geschichten aus dem Pflegeheim: Corona-Alarm

Nachdem nach den ersten Corona-Fällen letzte Woche das Gesundheitsamt in der Einrichtung war und sämtliche Bewohner durchgetestet hat, stellt sich heraus, dass die bis jetzt ca. 10 Infizierten auf alle Wohnbereiche verteilt sind. Auch zwei Pflegekräfte von zwei verschiedenen Wohnbereichen sind positiv getestet worden.

Seit dem Wochenende sind weitgehende Einschränkungen für die Bewohner verhängt: die Leute sollen in ihren Zimmern bleiben und dort auch die Mahlzeiten einnehmen, Gruppenangebote finden nicht mehr statt, die „Tagesgruppe Demenz“ ebenfalls nicht.

Das ist für die Teilnehmer besonders hart, denn gerade die Dementen verstehen nicht, was das alles soll und wieso sie jetzt plötzlich nicht mehr aus dem Zimmer dürfen. In der Praxis erweist es sich als ein Ding der Unmöglichkeit.

Frau H., eine kleine, freundlich-ängstliche Frau mit Hinlauftendenz („Weglauftendenz“ ist als Ausdruck verpönt, da er andeutet, die Person würde aus Gründen weglaufen wollen, die bei der Einrichtung liegen), läuft wie immer die Flure auf und ab. Ihr Zimmer findet sie in den seltensten Fällen wieder; sie will aber auch gar nicht dort sein, sie KANN gar nicht länger als 5 Minuten am Stück IRGENDWO sein. Selbst in der „Tagesgruppe“ steht sie alle naselang auf und stiefelt los, weshalb ich sie kurzerhand zur offiziellen Kundschafterin der Tagesgruppe ernannt habe.

Ihr Auftrag lautet, uns regelmäßig zu berichten, was auf den Fluren und Gängen so los ist. Sie erfüllt ihre Kundschafterpflichten mit Disziplin und Hingabe und berichtet jedesmal, dass es nicht Neues gäbe. Jedenfalls ist sie durch ihre neue Position um einiges entspannter geworden, da sie wohl das Gefühl hat, etwas Nützliches beizutragen und nicht mehr getadelt oder mit genervten Kommentaren bedacht zu werden, wenn sie mal wieder unterwegs ist.

Kurzum, bei Frau H. ist es völlig zwecklos, es mit irgendeinem Zimmerarrest zu versuchen. Das Maximum was möglich ist: darauf zu achten, dass sie wenigstens den Wohnbereich nicht verlässt.

Ein anderes Mitglied der „Tagesgruppe“, Frau H.2, hat eine geniale Methode gefunden, den Stubenarrest zu umgehen: sie hat einen Toilettenstuhl direkt in ihre geöffnete Zimmertür gestellt und betrachtet von dort aus das Geschehen – immerhin ein kleiner Ersatz für die fehlenden Interaktion mit den anderen Bewohnern und den Mitarbeitern.

Als sie meiner ansichtig wird, winkt sie mich erfreut herbei und sagt „Meine Güte, ich bin ja so froh dass du da bist, du ahnst ja gar nicht, was hier schon wieder passiert ist…“

Ich erwarte eine ihrer wilden Geschichten über nächtliche Besuch ihres Vaters oder anderer längst verstorbener Verwandter, oder – sehr häufig bei ihr – aufgeregte Meldungen über russische Truppen, die eingerückt sind (oder kurz davor sind einzumarschieren), weshalb man jetzt unbedingt Hals über Kopf das Weite suchen müsse… Diesmal ist aber der Auslöser ihrer Besorgnis die Coronanotstandsrealität des Heimes, die sie zwar nicht versteht, aber in ihren Wirkungen auf ihren gewohnten Tagesablauf natürlich spürt. Sie vermischt die neue Situation mit Erinnerungsbruchstücken ihrer Jugend und berichtet mir eine sehr inkohärente Geschichte über Leute, die alles auf den Kopf gestellt und sie in diesen Raum gesperrt hätten.

Ich weiß gar nicht mehr, was hier los ist!“, stoßseufzt sie. „Wenn du jetzt hier bist: versprichst du mir, dass du mich nachher nach Hause bringst?“ Dass ihr Zimmer im Pflegeheim ihr Zuhause ist, entspricht vielleicht der äußeren Realität, ganz sicher aber nicht ihrem inneren Empfinden in diesem Moment.

Na klar!“, antworte ich ihr. „Ich bin heute den ganzen Tag hier und werde immer mal wieder nach dir schauen. Ich kümmere mich darum, dass du nachher nach Hause kommst…“

Das ist einerseits wahr (sie IST ja nun mal hier zuhause), andrerseits unwahr (ich weiß ja, dass sie etwas ganz anderes mit „zuhause“ meint als das Zimmer im Pflegeheim). Meine Antwort erfüllt aber ihren Zweck, Frau H.2 bleibt den Tag über vergnügt auf ihrem Beobachtungs-Toilettenstuhl sitzen und winkt oder zwinkert mir jedesmal fröhlich zu, wenn ich mit verschiedene Aufgaben den Flur hoch oder runter gelaufen komme. Zeit für ein paar Worte und einmal eine kurze Rauchpause ist immer und im Rahmen der besonderen Umstände haben wir für sie das Beste aus dem Tag rausgeholt.

Eine andere Teilnehmerin der „Tagesgruppe“ hatˋs heute besonders schwer. Schon bei Schichtbeginn fängt mich die verantwortliche Pflegefachkraft ab und fragt, ob ich mal zu Frau S. gehen könnte, die würde in ihrem Zimmer sitzen und weinen und wäre „ganz schlecht drauf“.

Frau S. sitzt tatsächlich wie ein Häufchen Elend auf ihrem Bett, Tränen laufen ihr über die Backen (gleich noch ein paar mehr, als ich reinkomme), aber sie strahlt, als sie mich sieht und sagt „Ach wie schön! Mir geht’s heute ganz schlecht, aber als ich gehört habe, dass Sie da sind, war ich gleich ein bißchen erleichtert.“

Sie erzählt mir, dass sie schlimme Rückenschmerzen hat und sich ganz furchtbar alt fühlt – worauf sie lachen muss und sagt „Na, bin ich ja auch mit fast Neunzig!“. Am schlimmsten für sie ist, dass unsere „Tagesgruppe“ nicht stattfindet, das es keinen Kontakt mit den anderen gibt und dass es heißt, die Leute sollen die Zimmer nicht verlassen. Das ist für Frau S., die noch mobil ist und jeden Tag und bei fast jedem Wetter ihre Runden im Garten dreht, die Höchststrafe.

Zusammen mit einem Mitarbeiter allerdings sind Spaziergänge ok, und so biete ich ihr an, sie in den Garten zu begleiten. Das muss ich ihr nicht zweimal sagen. Wir machen einen kleinen Ausflug in den sonnendurchfluteten, aber kalten Garten des Heimes, schauen uns die jetzt völlig entlaubte Riesen-Eiche und den Fischteich an und sind beide froh, nach 10 Minuten wieder im Warmen zu sein.

Der kurze Ausflug reicht aber, um Frau S. mit dem Tag und den Umständen zu versöhnen. „Das ist jetzt wie Weihnachten für mich!“ erklärt sie. Später am Tag berichtet sie mir noch zweimal, dass sie mit ihrem Sohn (der täglich anruft) über dieses tolle Erlebnis gesprochen hat und bedankt sich ein ums andere Mal für den Ausflug.

Um die Mittagszeit komme ich an der Rezeption vorbei und sehe dort eine Kerze brennen. Das bedeutet, dass jemand gestorben ist. Ich schaue mir den bei solchen Anlässen aufgehängten Rahmen mit Namen des Verstorben und irgendeinem christlichen Segensspruch an. Es ist ein Bewohner, der bei den anderen Bewohnern nicht besonders beliebt war (eher im Gegenteil) weil er oft verbal grob und provokant – besonders Frauen gegenüber – auftrat. Bei den Mitarbeitern galt er als „schwierig“, denn er lag meistens im Bett, duschte nicht und. ließ sich ungern waschen, was seinem Zimmer einen leichten Raubtierkäfiggeruch verlieh. Zu mir hatte er allerdings einen guten Draht (oder ich zu ihm). Mir war erstens sein Gestank ziemlich egal und zweitens hatte ich keine Hemmungen, ihm auch zu sagen, dass er stinkt. Vor allem aber hörte ich ihm zu, behandelte ihn nicht wie ein lästigen Störenfried und fuhr gelegentlich mit ihm zum ALDI, was ihm viel bedeutete.

Dieser am heutigen Morgen verstorbene 70-Jährige ist das erste Corona-Opfer der Einrichtung. Er war am Wochenende wegen Atemproblemen ins Krankenhaus eingeliefert und in ein künstliches Koma versetzt worden. Vorerkrankungen wie Arthrose und Diabetes waren vorhanden, gestorben ist er laut Information des Krankenhauses aber an multiplem Organversagen als direktes Resultat der Virusinfektion.

Die Einrichtungsleitung ist jedenfalls aufs Höchste alarmiert, das Gesundheitsamt sitzt dem Heim im Nacken und für alle heißt es jetzt erstmal, mit der Situation einigermaßen zurechtkommen und das Beste draus machen. Wer wirklich unter den Maßnahmen leidet, sind natürlich die Bewohner. Schon ein oder zwei Tage ohne die gewohnten Abläufe, ohne wenigstens die Gemeinschaft mit den anderen beim Essen oder bei den Angeboten des Sozialen Dienstes, und ziemlich viele drehen am Rad.

Ich schnappe mir den Einrichtungsleiter und die PDL und mache ihnen klar, dass es bei EINEM positiv Getesteten (auf „meinem“ Wohnbereich) nicht logisch und geradezu kontraproduktiv ist, jetzt alle Angebote zu streichen. Mit etwas Überredung erhalte ich die Konzession, wenigstens die Kunstgruppe stattfinden lassen zu können – mit der Auflage, dass nicht mehr als 5 Personen teilnehmen, ausreichend Abstand gewahrt und regelmäßig gelüftet wird. Außerdem solle ich versuchen, die Teilnehmer dazu zu bewegen, einen Mund-Nasenschutz aufzusetzen.

Ich sage alles zu, halte mich aber nur an die Abstandsregeln und Teilnehmerbegrenzung. Das Lüften vergesse ich, mit den Masken komme ich meinen Leuten gar nicht erst. Von den Fünfen sind zwei dement, und auch die Orientierten würden sich bedanken für eine solche Zumutung. Außerdem sitzen sie alle im Abstand von 2 Metern, so dass meiner laienhaften Einschätzung nach für Infektionsschutz ausreichend gesorgt ist, zumal bei Leuten, die vor wenigen Tage alle negativ getestet wurden.

Nach der Kunstgruppe räume ich auf, verstaue die Materialien in einer alten Kommode auf einer Empore zwischen den Wohnbereichen. Von dort aus kann ich ein Gespräch mithören, dass zwei gediegen demente Männer – aus zwei verschiedenen Wohnbereichen, was eigentlich gar nicht passieren dürfte – miteinander führen. Sie sitzen in den Sesseln im Foyer, mit ausreichendem Abstand voneinander und unterhalten sich.

D.h. eigentlich spricht nur einer, der joviale und äußerst redselige Herr K., der in dem ebenso jovialen, aber eher schweigsam-freundlichem Herrn K.2, den perfekten Zuhörer für eine seiner unwahrscheinlichen und höchst unterhaltsamen Monologe gefunden hat.

Ich hab ja selber gesungen und Musik gemacht. Für Karneval, für Vereine, für Kirchenchöre, für alles!“, holt Herr K. aus. „Die haben schon zu mir gesagt, Sie sind wohl der zweite Mozart… ja, das war damals, als wir jünger waren. Als wir jung waren, da gab es nicht nur den Mozart, da gab’s noch andere wie den Bach oder den Schiller. Der Schiller war ja ein Dichter! Und wie der dichten konnte, das kann heute keiner mehr!“

So geht es in einer Tour. Ich schaue kurz über die Brüstung und sehe Herrn K. dozieren, während Herr K.2 in seinem Sessel sitzt und sich anscheinend aufs Beste unterhalten fühlt. Leider kann ich dem interessanten Stegreif-Vortrag nicht weiter folgen, bzw. eigentlich glücklicherweise, denn ich hab Feierabend nach acht Stunden im Heim – und bin ehrlich gesagt froh, für heute dem Corona-Hotspot entronnen zu sein.

Geschichten aus dem Pflegeheim: Corona-Alarm!

Um die Mittagszeit taucht der Einrichtungsleiter unvermutet im Heim auf. Das alleine signalisiert schon, dass irgendein Notfall vorliegen muss, denn normalerweise ist er – wie die gesamte Leitung – wochenends zuhause.

Er bittet mich, in die Chatgruppe des Sozialen Dienstes die Info zu schreiben, dass ab sofort kein Mitarbeiter mehr seinen Wohnbereich zu verlassen hat, dass auch im Haus nach Möglichkeit nicht rumgelaufen wird und das vor allem der Wohnbereich 1 auf keinen Fall betreten wird. Letzterer steht nämlich mit Wirkung ab jetzt unter Komplettquarantäne – Grund natürlich: ein bestätigter COVID-19-Fall bei einem Bewohner.

Damit sind also die Zeiten vorbei, in denen wir hoffen konnten, dass der Corona-Kelch an unserer Einrichtung vorbeigehen würde. Für die Bewohner des betroffenen Wohnbereiches bedeutet die Vollquarantäne Zimmerarrest und Besuchsverbot. Für die Mitarbeiter wird der Job damit auch nicht einfacher. Eigentlich müssten jetzt alle – zumindest Bewohner und Mitarbeiter des betroffenen Wohnbereiches – getestet werden.

Die an COVID-19 erkrankte Person ist bereits vor 4 oder 5 Tagen getestet worden und hat sich seitdem im Wohnbereich und im Speisesaal unter die Leute gemischt und vermutlich das Virus munter weitergegeben.

Interessant nun die Reaktion des zuständigen Gesundheitsamtes. Wie mir der Einrichtungsleiter erzählt, will man dort sofort den gesamten Wohnbereich in Quarantäne schicken, inklusive der Mitarbeiter. Auf Nachfrage des Einrichtungsleiter, was mit 24 Bewohnern ohne Pflege und Betreuung passieren sollte, rudert das Gesundheitsamt zurück und akzeptiert die jetzige Lösung, bei der die Pflege- und Betreuungskräfte weiterhin, allerdings unter nochmals verschärften Schutzmaßnahmen, zur Arbeit zu kommen haben.

Was den dringend gebotenen Test für Bewohner und Mitarbeiter betrifft, winkt das Amt gleich ab: man komme schon jetzt nicht nach mit den Tests und könne das derzeit einfach nicht leisten. Keine Kapazitäten!

In der Sprachlosigkeit ob dieser Nachricht fällt mir die Volksrepublik China ein, die mal eben 9 Millionen Menschen – GRATIS!! – innerhalb von 5 Tagen testen kann. Das muss diese kommunistische Kommandowirtschaft sein, die „den Menschen“ so furchtbar in seinem Recht auf freies Unternehmertum und Gescnäftemachen unterdrückt

Geschichten aus dem Pflegeheim: Reinigungskräfte brauchen keinen Kaffee! – Teil 2

Die Sache geht in die nächste Runde. Nach dem Einrichtungsleiter greife ich mir heute auch die PDL (Pflegedienstleiterin), eine osteuropäische macht- und karrierebewusste Dame, die hausweit im Ruf einer strengen und ungnädigen Chefin steht.

Psychologisch geschickt komme ich ihr mit improvisiertem Lean Management und Marketing Blabla: “Frau G., manchmal wiegen die Vorteile von Sparmaßnahmen nicht den Imageschaden auf, den sie verursachen…”

Damit habe ich schon mal ihre Aufmerksamkeit. Dass ihre an die Reinigungskräfte gerichtete Kaffee-Regelung so weite Kreise zieht, ist ihr sichtlich unangenehm. Sie versucht sich zu rechtfertigen:

“Die sind aber nun mal von einer Fremdfirma! Da müsste die Fremdfirma für den Kaffee sorgen. Vor allem aber bedienen die sich in ihren Pausen an den Kaffeeautomaten in der Küche – wo sie eigentlich keinen Zutritt haben – und halten keinerlei Hygieneregeln ein.”

Damit hat sie tatsächlich einen gültigen Punkt, denn wie alle Mitarbeiter und Bewohner sind auch die Reinigungskräfte im Zuge der Corona-Schutzmaßnahmen auf die Wohnbereiche aufgeteilt worden und sollen nur in “ihren” Wohnbereich arbeiten. Daran halten sie sich zwar, aber in den Pausen sitzen sie all in oder vor der Cafetria, ohne Mundschutz und dicht beieinander, rauchen, ratschen und trinken Kaffee (bis vor kurzem).

Trotzdem lass ich nicht locker: “Ja, schon klar, aber das kann man ja klar kommunizieren und regeln. Es ist doch wohl kein Problem, wenn die Küche den Putzfrauen morgens zwei oder drei Kannen Kaffee hinstellt, so wie den Wohnbereichen auch, oder? Wissen Sie eigentlich, wieviel Kaffee wir täglich wegschütten, weil keiner den trinkt?”

Die PDL ist noch nicht überzeugt und will wohl auch aus Prinzip erstmal nicht nachgeben. Sie zieht ab, aber ich sehe, dass es in ihr arbeitet.

Beim Mittag begegnet sich Einrichtungsleitung samt Verwaltung und mir in der Cafeteria. Diesmal bringt die PDL das Gespräch von sich aus auf das Kaffeethema. Sie spricht den Einrichtungsleiter darauf an, mit Verweis auf mich und den Imageschaden, den ich ihr untergejubelt habe: “Die sprechen schlecht von uns! Das ist nicht gut…”

Der Chef ist erstmal abwehrend und meint allen Ernstes: “Wissen Sie, was die uns jährlich kosten? Soll ich Ihnen mal die Rechnungen zeigen?”

Zu seiner Überraschung antworte ich: “Ja, gerne. Lassen Sie mal sehen. Denn dass die Diakonie eine Fremdfirma mit den Reinigungsarbeiten betraut, liegt ja wohl ausschließlich daran, dass sie keine Tariflöhne für Hauswirtschaftskräfte bezahlen und die Putzarbeit so billig wie möglich outsourcen will. Stimmt’s?”

Das verschlägt ihm erstmal die Sprache und er bringt sich außer Reichweite in sein Büro.

Beim Mittagessen dann richtet die PDL das Wort an die Küchenchefin:
“Frau K., haben die Reinigungsleute eine Kaffeemaschine? Könnten Sie für die zusätzliche Kaffeekannen bereitstellen?
"Ja, das ist möglich”, antwortet die Küchenfrau sachlich und faktisch.

Jetzt mischen sich andere Schlauberger aus der Verwaltung ein und verteidigen die unsägliche Kein-Kaffee-für-die Putzfrauen-Regelung mit dem Argument, dass sie sich ja auch nicht, wenn sie beispielsweise in eine Behörde oder ein Geschäft kamen, dort am Kaffee bedienten.

Ich sehe, dass hier jetzt ein argumentativer Schlussstrich und eine milde Zurechtweisung für die Untertanengemüter der neoliberalen Beutelschneiderdiktatur erfolgen muss und sage: “Leute! Macht jetzt mal keine Doktorarbeit daraus, wir reden hier von ein paar Tassen Kaffee für die Frauen, die täglich hier alles sauber halten! Jeder hier weiß, dass die Frauen von JEDEM – ob Bewohner oder Mitarbeiter – als Teil der Mitarbeiterschaft angesehen werden. Wollt ihr echt so kleinlich und schäbig sein und denen einen Kaffee verwehren? Ihr habt wohl lange nicht mehr die frommen Losungen durchgelesen, die hier überall an den Wänden hängen…”

Damit ist das Thema fürs Erste durch und dem Anschein nach wird es ab demnächst auch wieder Kaffee für die Reinigungstruppe geben.

 

Geschichten aus dem Pflegeheim: Küchendienst!

In einem durch die Coronamassnahmen ohnehin schon ausgedünnten Angebot wird der Soziale Dienst bestimmungswidrig für Hauswirtschaftsaufgaben eingesetzt, sobald irgendwo jemand krank oder in Urlaub ist oder der Dienstplan am Wochenende noch mehr Personalknappheit vorsieht.

Die geplanten kulturellen, künstlerischen und sonstigen Betreuungsangebote für die Bewohner müssen dann eben ausfallen. Heute also keine Mal- und Kreativrunde, weil der Kunstgeragoge Küchendienst hat.

Alles zu Lasten der Bewohner und zur Schonung der Diakoniekasse (Hauswirtschaftskräfte einzustellen würde Tariflohn kosten; die Küchendienste machen i.d.R. die billigst entlohnten FSJ.er oder Praktikanten).