Zwischen Frühstück und Mittagessen sind 5 – 7 Bewohner zu betreuen und zu beschäftigen, die im Speisesaal des Wohnbereiches sitzen bleiben – teils weil sie zu dement oder zu müde sind, um woanders hinzugehen, teils weil sie es alleine in ihren Zimmern nicht aushalten.
Die Mehrzahl von ihnen ist normalerweise in der wochentäglichen „Tagesgruppe Demenz“, aber in Pandemiezeiten ist gerade im Pflegeheim nichts normal und die Tagesgruppe findet nun schon seit 7 Monaten nicht mehr statt.
Meine Aufgabe besteht darin, die Leute zu beschäftigen bzw. zu UNTER- und der ohnehin überlasteten Pflege VOM Hals zu halten. Unbeschäftigte, sich selbst überlassene Bewohner, speziell Demente, neigen nämlich dazu, entweder Unsinn anzustellen oder den überforderten Pflegekräften durch ständiges Auf- und Ab- und Hin- und Herlaufen oder durch häufigen Betreuungsbedarf den letzten Nerv zu rauben.
Selbst wenn sie mal nichts brauchen oder wollen ist es ein überaus trauriger Anblick, eine Gruppe alter Menschen stundenlang alleine in einem Raum sitzen zu sehen, meistens stumm, viele vor sich hin dämmernd und mehr oder weniger sediert in die Gegend starrend. Außerdem verstößt es gegen die Fürsorgepflicht der Einrichtung, die Leute einfach sich selbst zu überlassen.
Heute bringe ich zusätzlich zu Flipchart, Malstiften und Audio-Equipment einen Eimer mit ausgedienten, sehr stabilen Röhren aus Hartpappe mit, von ungefähr doppelter Länge der Innenröhre einer Küchenrolle und vom selben Durchmesser. Den Eimer habe ich irgendwo im Haus rumstehen sehen und sogleich für den Einsatz in meiner Runde für gut befunden.
Kaum habe ich den Raum betreten, in dem bereits sieben erwartungsfrohe Bewohner sitzen, ergibt sich auch schon die Möglichkeit des Einsatzes meiner Pappröhren: ich sehe, wie Frau S. – eine freundliche 90-Jährige mit mittelschwerer Demenz – fröhlich im Takt zu einem Strauß-Walzer mit den Füßen wippt und erkennbar von der Musik angeregt ist und begleite den Rhythmus mit einer der Röhren.
Das ruft sofort die Aufmerksamkeit der Runde hervor, und damit ergibt sich der weitere Ablauf wie von selbst: Jeder der Anwesenden erhält zwei Röhren und nach kurzer Einübung veranstalten wir ein regelrechtes Trommelkonzert. Zur Inspiration meiner Truppe spreche ich über die Erfindung der Musik – ein hervorragendes Thema, um gleich eine Runde Gedächtnistraining zu machen.
Mit ein bißchen Nachhilfe kommt Frau S. darauf, dass sicherlich der Rhythmus, also das Trommeln, der Ausgangspunkt aller menschlichen Musik war. An dieser Stelle rege ich die Fantasie meiner Schützlinge mit einer weiteren Story direkt aus der ungeschriebenen „Geschichte der grauen Vorzeit“ an und erzähle von Uga-Uga, dem Affenkönig, der in der Steppe ein paar Mammutknochen entdeckte.
Erst wusste er nicht, was er damit fangen sollte, aber nach einer Weile Rumspielen mit den Knochen entdeckte er, dass sich damit ganz hervorragende Rhythmen hervorbringen ließen- die Geburtsstunde der Musik! (Die kleine Anleihe bei Kubricks „2001 – A Space Odyssey“ verschweige ich der Runde, weil das den Rahmen gesprengt hätte).
Jedenfalls sind die Trommler glücklich und erfreut über die eigene musikalische Darbietung und wir beschließen spontan, nächste Woche an Karneval ein Gratiskonzert im Wohnbereich zu geben. Ich selber bin etwas erhitzt und außer Atem, denn um die Geschichte von Uga-Uga dem Affenkönig möglichst plastisch wiederzugeben, konnte ich natürlich nicht darauf verzichten, auch seine affenmäßigen Trommeltänze und -gesänge vorzuführen – zur Erheiterung meiner Leute und der vom Getrommel herbeigelockten Pflegekräfte und sonstigen Mitarbeiter des Wohnbereiches, die sich das Spektakel entweder kopfschüttelnd oder amüsiert eine Weile mit anschauen.
Damit ist der Vormittag auch schon wieder überstanden und das Mittagessen naht. Wir beenden die Runde mit dem Klassiker „Wir haben Hunger Hunger Hunger, haben Hunger Hunger Hunger, haben Hunger Hunger Hunger, haben Durst…“ zu Trommelbegleitung.