Fachverband Kunst- und Kulturgeragogik: Wetttbewerb

„Wettbewerb BEST OF – 2023

Liebe Mitglieder,

der Fachverband Kunst- und Kulturgeragogik e.V. schreibt dieses Jahr erstmalig einen Wettbewerb für alle Mitglieder aus. Eingereicht werden können Projekte der letzten vier Jahre (2019 – 2022), abgeschlossen spätestens bis Ende Dezember 2022.“

Quelle: https://fachverband-kkg.de/index.php/neuigkeiten-und-termine/aktuelles-aus-dem-fachverband

Hier der sympathische diesjährige Hauptpreisträger:

Geschichten aus dem Pflegeheim: ein Lichtstrahl aus Farbe im Nebel der Verlorenheit und kein Lohneingang auf dem Konto

Frau S., eine schüchterne, zurückhaltende, fast devot zu nennende Frau Anfang oder Mitte Achtzig nimmt seit einigen Wochen an der Mal- und Kreativrunde teil. Sie ist dement und schlecht zu Fuß, weshalb sie meistens im Rollstuhl sitzt. Anfangs kam sie mit, weil sie auf die Frage, ob sie teilnehmen möchte, einfach nicht „Nein“ sagen kann. Inzwischen habe ich bemerkt, dass sie gerne kommt und dass es ihr anscheinend gut tut, über das Malen und Zeichnen zu einer Ausdrucksfähigkeit zu finden, die sie ansonsten nahezu vollständig verloren hat.

Die Demenz von Frau S.  ist von der Art, die sie zu einer Exilantin in ihrer eigenen inneren Welt macht, deren fortschreitende Auflösung sie in wortlosem Staunen über sich ergehen läßt. Dabei bleibt sie stets ruhig, freundlich, sehr bescheiden und – stumm. Sie redet nur, wenn sie etwas gefragt wird und eine Antwort geben soll. Die Antwort bleibt dann fast immer kurz und knapp: „Ja“, „Gerne“, Danke“ usw.

Heute sitzt sie wieder am Ende der Tischreihe und zeichnet mit Ölpastellkreiden eine Frühlingswiese. Das alleine ist für ihre Verhältnisse schon ein ungeheurer Vorgang, nachdem sie bei den ersten Malen in der Gruppe einen langen Anlauf brauchte, um überhaupt zu begreifen, was man mit Papier, Stiften und Farben anfangen kann (ihre Schwiedertochter, der ich ein paar ihrer Zeichnungen zeigte, wollte gar nicht glauben, dass ihre Schwiegermutter- die kaum noch mit Kindern und Verwandten aktiv kommuniziert – tatsächlich an einer Malgruppe teilnimmt und dort auch noch richtige Bilder malt).

Frau S. gegenüber sitzt Herr B., ein gestandener, gemütlicher und jovialer Ex-Landwirt, der ein paar Wochen zur Kurzzeitpflege bei uns ist und gerne die Gelegenheit ergriffen hat, ein bißchen kreativ zu sein. Er hat die Aquarellmalerei für sich entdeckt und malt einen Bogen nach dem anderen voll mit Flächen in Primärfarben. Man merkt ihm an, dass es ihm Spaß macht und dass er mit Hingabe bei der Sache ist.

Plötzlich wendet sich Frau S. an mich, zeigt auf Herrn B., dem sie wohl schon eine Weile zugeschaut hat, und sagt: „Ich möchte auch das mit den Farben und dem Wasser machen, so wie der Mann da!“. Ich bin baff, beeile mich aber, ihr Aquarellpapier, -farben, Pinsel und Wassergläser zu besorgen und zeige ihr die Handhabung. Sie hat etwas Schwierigkeiten mit der Reihenfolge – Papier nass machen, Pinsel nass machen und in die Farbe tauchen, Farbe auf das nasse Papier auftragen, Pinsel wieder zum Säubern ins Wasser tunken – aber der Vorgang selber, das Verlaufen der Farben auf dem nassen Papier, begeistert sie über die Maßen.

Ein Leuchten geht über ihr Gesicht, als ob ein Lichtstrahl die Dunkelheit erhellt oder die Nebel vertreibt. Wir benutzen in der Gruppe keine Tuschekästen wie in der Schule, sondern echte Künstler-Aquarellfarben, die natürlich eine ganz andere Intensität und Lebendigkeit haben.

Fasziniert und neugierig verfolgt Frau S. die Wege und Muster, die ihr Farbauftrag auf dem feuchten Papier nimmt. Nachdem ich ihr zeige, wie es geht, hält und dreht sie das Papier in alle Richtungen, so dass die Farbe sich besser verteilen kann.

Ich bin berührt und beeindruckt – berührt von der Veränderung in Frau S. Sie scheint auf einmal eine Tür gefunden zu haben, die herausführt aus ihrem sonstigen Eingeschlossensein in ihrer Demenz. Und beeindruckt von ihren Aquarellen, die leuchtend und schön anzuschauen sind. Und von der Wirkung von Kunst, von Farben, auf die Seele. Oder, um es niedriger aufzuhängen, von den Möglichkeiten kreativer Betätigung in der Betreuung von dementen Menschen.

Jetzt bin ich froh, dass ich heute doch noch zur Arbeit erschienen bin. Zunächst wollte ich aus lauter Ärger, dass ich meinen am 15. fälligen Niedriglohn noch nicht auf dem Konto habe, gar nicht hingehen, vor allem nicht, nachdem ich durch Rücksprache mit den Kollegen feststellen muss, das alle ihr Geld erhalten haben, ich aber nicht. Des Rätsels Lösung verrät mir der Personalabteilungsmensch, der für die Lohnabrechnungen zuständig ist: „Ihr Arbeitsvertrag ist am 31.03. abgelaufen und nicht verlängert worden. Wenn Sie keinen Arbeitsvertrag haben, erhalten Sie natürlich auch keinen Lohn!“

Mein allerchristlichster Arbeitgeber, der mit mir vor Jahresfrist nur einen auf ein Jahr befristeten Arbeitsvertrag abschließen wollte (mir aber versichert hatte, dass man diesen ja jedes Jahr erneuern könne), hatte vergessen, mich auf das Datum hinzuweisen bzw. mir die Fälligkeit in Erinnerung zu rufen um den Vertrag zu verlängern. Vielleicht passend für eine Pflegeeinrichtung, die überwiegend Demente betreut, aber nicht passend für Niedriglöhner, denen zufällig am Tag des Lohneinganges die Miete abgebucht wird.

So schnell jedenfalls war ich selten bei der Einrichtungsleitung. Dort wird mir reuig versichert, dass alles nur ein Versäumnis sei. Welche Art Vertrag ich denn ab jetzt haben und ob ich nicht gleich einen unbefristeten machen wolle, schließlich wäre der Einrichtung daran gelegen, das ich also lange wie möglich bliebe. Ich traue meinen Ohren nicht; wieso dann der letztjährige Zinnober mit dem befristeten Vertrag? Ende vom Lied: ab sofort bin ich unbefristet eingestellter Diakonie-Mitarbeiter und kann (und muß) solange meine Armutsrente mit Lohnarbeit aufbessern, wie die Kräfte reichen. Was, sofern Erlebnisse wie das mit Frau S. vorkommen, noch lange Zeit der Fall sein wird.

Aquarell von Herr B. Gemischt wird nicht! Hier regieren die Primärfarben!
„Parklandschaft“ – Aquarell von Frau S.
„Die Blaue Grotte“ – Aquarell von Frau S.