Facebook-Gespräch über die letzten Dinge

FB-Freundin A.S.:

Mein Wissen über Religion ist äußerst rudimentär. Ich hab mich, hineingeboren in das Leben auf diesem Planeten, nie mit irgendeiner Gottheit identifiziert oder verbunden gefühlt und schon als ganz kleines Kind Religion und Glauben abgelehnt. Ich habe nur Religionsunterricht in der Grundschule gehabt und dort einige Bibelgeschichten kennengelernt, wie etwa den Empfang der Zehn Gebote, die ich, bis auf den Bezug zu Gott, immer recht sinnig fand, als Grundpfeiler eines gesellschaftlichen Wertekanons.

Das Zweite Gebot, so laut Wikipedia im 2. Buch Mose, besagt: „Du sollst dir kein Kultbild machen und keine Gestalt von irgendetwas am Himmel droben, auf der Erde unten oder im Wasser unter der Erde.“

Ich weiß das klingt wahrscheinlich echt dumm, aber ich hab die Frage an die Runde: In Moscheen werden keine Bilder gezeigt. In jüdischen Haushalten sieht man auch keine. Wie kommt es dazu dass die Christen ihre Kreuze aufhängen, und dass die Katholiken und die Orthodoxen überall ihre Ikonen aufstellen und durch das Dorf tragen? Wieso gibt es islamische Bildnisse von Heiligen? Wieso gibt es überhaupt Bilder, Kunstwerke, Malereien im Allgemeinen und von Gott im Speziellen in der christlichen Welt? Ich weiß meine Frage umfasst viele Themen aber vielleicht kann jemand das bündig erklären oder versuchen zu erklären?

Meine Antwort:

„Du sollst dir kein Bild(nis) machen…“ ist eine esoterische Unterweisung, die durchweg missverstanden wurde und wird (esoterisch im Sinne von mystisch/die innere Bedeutung betreffend).

JEDES Bild/Abbild dessen, was manche „Gott“, andere „die Schwingungsfrequenz der Realität“, wieder andere „die Energie in allem“ nennen, ist zwangsläufig eine begrenzte, einengende und damit potentiell falsche und entstellende Beschreibung Gottes (wir bleiben der Einfachheit halber jetzt mal bei diesem missverständlichen Begriff).

Warum? Weil Gott unendlich und zeitlos ist, und alles Menschenwerk (und sogar alles Nicht-Menschenwerk, die Natur, die Planeten, alle Phänomene und alle Materie) endlich und der Vergänglichkeit unterworfen.

Die erhabene Unendlichkeit Gottes, der sich in seinen Schöpfungen gleichzeitig verbirgt und ausdrückt und in jedem Moment Welten und mehr Welten hervorbringt, in einem statischen, vergänglichen Abbild einfangen zu wollen, grenzt an Gotteslästerung und ist ein Schritt in den Abgrund menschlicher Hybris. Das haben die Muslime schon ganz gut erkannt.

Und jetzt das große ABER:

Gerade WEIL Gott unendlich und ALLES ist, gibt es nichts, worin er/sie nicht enthalten ist. “Der Atem des lebendigen Gottes durchdringt das gesamte Universum“, und natürlich auch jedwedes menschengemachte Abbild.

An dieser Stelle kommt es folglich auf die Hingabe und ehrliche Gottsuche des Individuums an. Dem aufrichtigen Erforscher der Mysterien des Lebens und Sterbens kann JEDES Abbild das Tor zum Göttlichen sein. Eine Marienstatue, ein Bild der Kaaba, ein tibetischer Dämon, ein hinduistischer Gott, eine Buddhafigur (muss auch kein „religiöses“ Abbild sein, ein Baum, eine Blume, eine Wolke oder ein Grashalm funktionieren genauso gut) … es ist egal, was dargestellt ist, es kommt auf die Bereitschaft des individuellen Geistes an, sich mit Meditation, Gebet, Versenkung und Hingabe mit dem zu verbinden, was keinen Anfang und keine Ende hat, was immer – vor der Geburt und nach dem Tod – DA ist; das, was alles hervorbringt und erhält; das, was nicht benannt werden kann (und doch von religiös Veranlagten „Gott“ genannt wird).

Es stimmt also beides:
„Du sollst dir kein Abbild machen“ und „Alles ist ein Abbild/ein Ausdruck Gottes“.