Geschichten aus dem Pflegeheim: Überraschung beim Blick in die Lohntüte

Der 15. des Monats ist Frischgeld-Tag. Zu diesem Datum überweist die Diakonie Arbeit-Kreis Neuss ihren Beschäftigten den meist kargen Lohn.

Die Kollegen lieben es, an diesem Tag darum zu wetteifern, wer die Kohle als erster auf dem Konto bzw. auf seinem aktualisierten Online-Banking-Handydisplay hat (obwohl inzwischen alle wissen, dass natürlich diejenigen den Geldeingang als erste gebucht kriegen, die bei derselben Bank sind wie die, wo unser diakonischer Arbeitgeber sein Konto unterhält)

Da ich weiß, dass frühestens mittags Eingänge auf meinem Konto zu verzeichnen sind, warte ich meistens 13 oder 14 Uhr ab um zu schauen, ob sich Überstunden, Wochenendschichten und Extradienste irgendwie nennenswert ausgezahlt haben. Meine 13,5 Wochenstunden, die ich als Armutsrentner aus finanziellen Gründen abzuleisten gezwungen bin (nicht dass ich die Arbeit ungern mache, im Gegenteil), ergeben zusammen mit der Elendsrente genau das Minimum an Geldeingang, das ich monatlich benötige.

Diesmal jedoch ist alles anders: mein allerchristlichster Arbeitgeber hat in seiner unergründlichen Weisheit beschlossen, mir nur knapp mehr als die Hälfte meines vereinbarten Monatslohnes zu überweisen. Zumindest dem Bankauszug ist keinerlei Hinweis auf den Grund dieser Kürzung zu entnehmen; die Ausdrucke der Lohnabrechnungen werden erst in der kommenden Woche verteilt.

Will man die Arbeitskräfte bereits jetzt mit den Reallohnkürzungen durch die Energiepreisexplosion vertraut machen? Hat Habeck beschlossen, dass Gas—Abschlagszahlungen jetzt direkt vom Gehaltskonto abgebucht werden, analog zur Lohn- oder Kirchensteuer? Gibt es etwa plötzlich einen Pflege-MALUS statt des versprochenen (aber nie gezahlten) Bonus? Fragen über Fragen, die einem wieder keiner beantwortet.

Der überwiesene Betrag entspricht zufällig ziemlich genau meinem Mietanteil, der ebenfalls heute abgebucht wird, so dass ich mich unmittelbar nach Lohnauszahlung in der erquicklichem Situation befinde, kein Geld mehr zu haben. Die paar hundert Euro Rente zahlt der ebenfalls weise und mildtätige Vater Staat stets am allerletzten Tag des Monats, so dass ich theoretisch die kommenden zwei Wochen geldlos überbrücken muss.

Theoretisch, weil ich natürlich als Ehegatte einer gut verdienenden Mittelschichts-Betriebswirtin nicht gleich verhungern oder unter der Rheinkniebrücke schlafen muss, wenn’s mal eng wird. Und weil es sich vermutlich um einen „Irrtum“ handelt, wie mir der Leiter unserer Abteilung versichert. Er wirkt nicht besonders überrascht; Fehler bei der Lohnabrechnung sind nicht unüblich. Immer wieder werden Überstunden, Wochenend- und Feiertagsdienste nicht erfasst oder falsch abgerechnet, zur Entnervung und zum Ärger der betroffenen Kollegen.

Seit die gesamte Diakonie auf irgendein neues Lohnabrechnungssystem umgestellt hat, erhalten die Mitarbeiter nur noch einen ziemlich zusammengedampften Ausdruck auf einer A4-Seite mit den allernötigsten Angaben. Der vorigen Lohnabrechnung konnte man z.B. die bereits verbrauchten und die Rest-Urlaubstage entnehmen – das gibt’s jetzt nicht mehr.

Ansonsten ist in dem ganzen diakonischen Laden keiner zu erreichen. „Freitag um eins macht jeder seins!“ ist das allgemein beherzigte Motto der Büromenschen in Personalverwaltung und Lohnabrechnung.

Jedenfalls bin ich jetzt schon gespannt auf die Lösung des Falles; WUNDERN über derlei lästige Arbeiterverarschungen tue ich mich schon lange nicht mehr.