Einmal drohte im Südwald eine große Hungersnot, denn die Hasen und Hamster und anderen Nüssesammler hatten nicht genügend Nahrungsmittel gesammelt, um den kommenden Winter zu überstehen.
Sie hatten nämlich den ganzen Sommer über Feste gefeiert, sich an Tollkirschen berauscht und sich überhaupt allerlei Vergnügungen hingegeben, die Hasen lieben und die alle aussehen wie rhythmische Sportgymnastik, aber zu zweit. Doch das ist eine andere Geschichte.
Die Tiere des Nordwaldes hörten von der misslichen Lage und beschlossen nach einiger Diskussion, den Kameraden im Südwald mit einer großzügigen Lieferung an Nahrungsmitteln – in erster Linie Kürbisse, Nüsse und Beeren – zu Hilfe zu kommen.
Der Bürgermeister des Nordwaldes, ein Eichhörnchen, konnte sich allerdings mit dieser Idee überhaupt nicht anfreunden, denn es sah durch diese Maßnahme seinen eigenen Wintervorrat gefährdet. Das lag daran, dass das Eichhörnchen, obschon es Bürgermeister war, noch vom alten Denken geprägt war und die Sozialistische Tierrepublik des Nordwaldes innerlich noch nicht wirklich gutheißen konnte.
Die anderen Tiere überstimmten aber ihren Bürgermeister und stellten eine Hilfslieferung zusammen, die von Edna der Eule genauestens erfasst wurde. So sollte eine gerechte Verteilung der Hilfsgüter unter den Bewohnern des Südwaldes gewährleistet werden.
Der allzeit hilfsbereite Bär, immer an vorderster Front, wenn es darum ging, Solidarität zu üben und die Errungenschaften der Tierrepublik zu verteidigen, bot sich freiwillig an, den schweren Karren bis zum Südwald zu ziehen.
So gelangten sie nach einem einigermaßen anstrengenden Marsch in den Südwald, wo die versammelten Hasen und Nager ihr Glück kaum fassen konnten.
Edna die Eule wollte gerade den Verteilungsschlüssel der mitgebrachten Früchte und Nüsse bekannt geben und die Hasen zur Mäßigung aufrufen, denn Hasen und Hamster sind dafür bekannt, dass sie keine Verwandten kennen, wenn’s um Nüsse, Mandeln, Pistazien, Pinienkerne und dergleichen geht. Jeder im Wald kannte die Geschichten vom Hasen, der seine eigene Hasengroßmutter an den Fuchs verkaufte, um einen Sack Macadamianüsse zu ergattern. Jedenfalls rangelten die Hasen schon um den größten Anteil und brachten dabei den ganzen Korb zum Kippen, so dass sich alle Nüsse auf den Waldboden ergossen.
Die Eule flog vor Schreck auf, der Bär schüttelte nur sein weises Haupt, weil er sich sowas schon gedacht hatte, und die Hasen und Hamster machten lange Gesichter.. . aber nur ganz kurz, dann fingen sie an sich die Backen und die Taschen voll zu stopfen mit all den herrlichen Nüssen.
„Und was ist mit den schönen dicken Kürbissen?“ fragte der Bär, „Wollt ihr die nicht auch haben?“
„Och nö…“, sagten die Hasen, „das ist nichts für uns, aber wir können sie ja mitnehmen für unsere Freunde, die Rehe.“ Die Hamster nickten; reden konnten sie schon nicht mehr, weil ihre Hamsterbacken fast platzten, so vollgestopft waren sie mit Nüssen.
Damit war auch die Eule zufrieden, deren ursprünglicher Verteilungsplan eine ganz andere Aufteilung vorgesehen hatte. Aber die ideologische Kraft der Tierrepublik bestand ja gerade darin, dass sie es verstand, sich auf ständig wechselnde Situationen einzustellen und ihre Maßnahmen entsprechend anzupassen.
Schließlich hatten sich alle bedient, Vorräte angelegt, und die Lebensmittel waren verteilt.
Eine Junghasengruppe in den Uniformen der Hasenpioniere schwenkte zum Abschied begeistert die rote Fahne der Tierrepublik (einer hatte auf die Schnelle keine Fahne gefunden und hielt ein paar rote Luftballons in der Hand) und sang die Hymne der Tierrepublik:
„Alles teilen, alles geben,
für ein tiergerechtes Leben,
ohne Hunger, ohne Not –
darum ist unsre Fahne rot!“
Der mit den Luftballons jedoch war ein getarnter Spion der Menschen, die meinten, dass der Wald ihnen gehöre und die auf Tiere Jagd machten. Seine Aufgabe war, Zweifel und Zwietracht zu säen und den Tieren im Wald einzureden, dass es sowieso nie was werden würde mit der Tierrepublik, weil Menschen einfach schlauer wären als Tiere und weil es außerdem in der tierischen Natur läge, den Menschen untertan zu sein.
Deshalb sang der Luftballonhalter die Hymne zwar von der Melodie her korrekt mit, aber mit einem subversiven Text, den ihm seine menschlichen Führungsoffiziere aufgeschrieben hatten:
„Alles teilen, alles geben,
gibt ein Hungerleider-Leben,
Ohne Menschen wächst die Not
und am Ende sind wir tot!“
Die anderen Hasenpioniere hatten aber den Spion, der sich bei Ihnen eingeschlichen hatte, schon längst durchschaut. Sie ließen ihn gewähren, um den menschlichen Feinden auf die Spur zu kommen, die ihn auf sie angesetzt hatten. Außerdem hatte der Spion eine krächzende, piepsige Stimme, so dass er sich ohnehin nur blamierte und nicht wirklich den Chor der Hasenpioniere stören konnte.
Während die Hasenpioniere noch sangen, erschien aus der Tiefe des Waldes Ernesto der Hasenpatriarch, ein in vielen Kämpfen gestählter Rammler, der so manchem Fuchs ein Schnippchen geschlagen und so manchem Jäger entkommen war.
„Vielen Dank für eure großzügige Hilfe!“, sagte der Hasenpatriarch und schüttelte dem Bären die Pranke. Er überreichte dem Bären einen Badezuber als Gegengabe, denn er wusste, dass Bären sehr reinliche Tiere sind und sich vor dem Winterschlaf gerne ausgiebig baden, damit die Höhle nicht so streng riecht.
„Übers Jahr werden wir im Südwald den Beitritt zur Tierrepublik diskutieren und vielleicht werden wir dann ein einziger großer Wald sein!“
„Ja, ja, sehr schön“ brummelte der Bär. Er kannte seine Pappenheimer beziehungsweise seine Hasen und wusste, dass die leichtlebigen Gesellen eine sehr kurze Aufmerksamkeitsspanne und übers Jahr wahrscheinlich schon längst wieder vergessen hatten, wer Ihnen geholfen hatte und wie sie in ihre selbstverschuldete Notsituation geraten waren. Aber über den Badezuber war er tatsächlich sehr erfreut und lud ihn stolz auf den Karren.
Fröhlich und guter Dinge nahm man voneinander Abschied. Nur Edna, die Eule war noch im Fluge damit beschäftigt, Zahlen zu addieren und Korrekturen an ihrem Verteilungsschlüssel vorzunehmen. Denn so sind die Eulen, sie sind immer darauf bedacht, dass alles korrekt zugeht.
Auf dem Rückweg in ihren Nordwald kamen Bär und Eule allerdings vom Wege ab und verirrten sich. Dadurch verzögerte sich ihre Reise um einiges, und sie wurden müd‘ und müder und schliefen schließlich ein.
Als der Bär aufwachte, war er alleine und der Karren war leer. Den Badezuber hatte man ihm offensichtlich geklaut. Das ärgerte ihn ein bisschen, aber weil Bären gutmütige Wesen sind, ist ihr Ärger immer nur kurz, und ihre angeborene Gutmütigkeit kommt sehr schnell wieder zum Vorschein.
Nun war unser Bärenfreund also ganz alleine auf dem Waldweg. Die Eule war nirgendwo zu entdecken; noch nicht einmal ihr Zahlengemurmel war zu vernehmen, und der Bär dachte sich „Soll ich jetzt etwa alleine diesen Karren bis nach Hause ziehen? Das wird aber anstrengend werden und ich bin doch schon so müde…“
Zum Glück kam eines der in beiden Wäldern heimischen Geisterpferde des Weges und bot sich an, Karren und Bären bis nach Hause zu ziehen.
Dadurch ging schließlich dann doch alles noch ganz schnell. Der Bär gelangte unversehrt, aber ohne den Badezuber, in seinen heimischen Nordwald und hatte wieder mal eine abenteuerliche Geschichte zu erzählen.
Was aber war in der Zwischenzeit mit Edna der Eule passiert? Das, liebe Kinder erzähle ich euch zu einem anderen Zeitpunkt.