Bewusstsein und Krisenkapitalismus

„Das philosophische Krisenbewusstsein ist in seinen beiden Beziehungen ein falsches Bewusstsein: es fasst. die Krise der bürgerlichen Philosophie als die der Philosophie auf, und als Krisenphilosophie wandelt es die Krise des Kapitalismus in die fatale Krise des menschlichen Seins um…

Das Negieren der Möglichkeit eines wissenschaftlich-philosophischen Wissens widerspiegelt die reale Krise durch Vermittlung des Krisenbewusstseins, indem die Dialektik von objektiver Realität, gesellschaftlicher Praxis und wissenschaftlicher Erkenntnis unterschlagen wird, die Folgen der kapitalistischen Entfremdung als Merkmale der Zerbrochenheit der Welt auftreten…

Das bürgerliche Bewusstsein ist nicht fähig, die grundlegenden Bewegungsgesetze des in seine allgemeine Krise geratenen Kapitalismus zu erkennen, die Wesenszusammenhänge der objektiven Totalität zu begreifen, dem dialektischen Materialismus gegenüber eine umgreifende philosophische Konzeption zu bilden.“

András Gedó (* 1932, ungarischer Philosoph)

Geschichten die das Leben schrieb: Nachmittägliche philosophische Betrachtung

Als junger Mensch hatte ich nur ein Anliegen: die höchsten Erkenntnisse und die tiefste Wahrheit zu erlangen. Mein Streben ging nach Erkenntnis, Erleuchtung, nach Begreifen und Verstehen dessen, „was die Welt im Innersten zusammenhält“.

Darunter wollte ich es nicht tun. Der Griff nach den Sternen (den inneren jedenfalls) führte mich geistig in die Dimensionen jenseits des Verstandes und jenseits von Zeit und Raum, was für die „Reise nach innen“ gefühlt genauso ein Aufbruch in unendliche Weiten war, als hätte ich ein überlichtschnelles Raumschiff bestiegen und mich durch ein Wurmloch in ein anderes Raum-Zeit-Kontinuum begeben. Neben der eigenen Neugierde und einem anscheinend innewohnenden Erkenntnisdrang wurden Drogen und der Guru der Treibstoff dieser Suche.

Jetzt, vierzig bis fünfzig Jahre später registriere ich, wie sich der Fokus von unendlichen Weiten auf die unmittelbare Nähe verschoben hat: nicht mehr die göttliche Weisheit, sondern die menschliche Bedingtheit interessiert mich vorrangig: die praktischen, alltäglichen Beziehungen zwischen den Menschen, die Art und Weise, wie sie ihr normales Leben organisieren und miteinander umgehen. Der Guru hat mich verlassen, oder ich den Guru (in aller Freundschaft, wie ich betonen möchte), die Drogen sind geblieben, als Krankenschwestern am Bett der menschlichen Gebrechlichkeit.

Vom großen Ganzen und universaler philosophischer Ergründung bin ich gelandet beim schlichten, alltäglichen Leben. Ich will nicht sagen, dass das eine das andere ausschließt; vielleicht ergänzt es sich ja sogar. Ich weiß, dass es Leute gibt, die behaupten, nur das Anzapfen göttlicher Weisheit würde ein erquickliches Miteinander der Menschen (sie reden dann gerne gleich von der „Menschheit“) hier unten auf der Erde gewährleisten können. Das mag so sein, aber ich möchte alles Göttliche gerne beiseite lassen (zumindest verbal) und mich auf das Menschliche konzentrieren.

Da liegt ja genug im Argen, und die Freundlichkeit, die Fürsorge und das bißchen Sicherheit, das Menschen nun mal brauchen, um ein anständiges Leben führen zu können, sind bekanntlich weder im spirituellen Wolkenkuckucksheim noch im kapitalistischen Rattenrennen zu haben. Ersteres ist allerdings mit letzterem bestens vereinbar, wie ich an vielen früheren Freunden und Bekannten feststellen kann. Der endgültige Kulminationspunkt, an dem sich Sinnsuche und Geschäftemacherei vereinigen, ist der homo economicus esotericus, der Kurse wie „Denk dich reich!“, „Sei Du Selbst – Being You®“ (mit genau diesem Handelsmarken-Zeichen dahinter) und dergleichen anbietet und besucht.

Ich merke, dass ich aus- bzw. abschweife… ich wollte nur notieren, was mir gerade auffiel: die Verschiebung des Fokus, der Orientierung, der Ausrichtung meiner Aufmerksamkeit, oder meines Schwerpunktes, auf die einfachen und elementaren Umstände des Lebens in einem Körper und auf einem bewohnbaren Planeten. Diese Umstände sind zwar nicht einfach, aber sie könnten es sein. Dafür, so mein Fazit aus dieser Verlagerung meiner inneren Ausrichtung, braucht’s den Kommunismus.

Geschichten die das Leben schrieb: Nächtliche philosophische Betrachtung übers Altern

Alt werden ist so scheisse wie Haft für Verbrechen, die man nicht begangen hat. Und zwar in einem Straflager, von dem man weiß, das man es lebend nicht mehr verlässt

Die Beeinträchtigungen und Gebrechen, die sich mit fortschreitendem Verschleiß der körperlichen Hardware einstellen, lassen sich nur über eine bestimmte Zeitspanne mit Drogen aller Art wegdrücken, ignorieren, ausblenden, überspielen. Irgendwann holt es einen ein, und das doppelt und dreifach. Man kann dann natürlich doppelt und dreifach soviel Drogen nehmen. Aber siehe oben.

Hinzu kommt ein sich immer weiter ausbreitender Realismus in Hinblick auf die Nutzlosigkeit menschlichen Strebens und die Sinnlosigkeit aller Erklärungen darüber. Das muss allerdings nichts Schlechtes sein – es klärt im Gegenteil den Geist und schärft den Verstand.

Insgesamt stellt sich heraus, dass die Existenz in einem physischem Körper nur in jüngeren Jahren irgendwie erträglich ist, als man unbeeinträchtigte Gesundheit und Fitness für selbstverständlich nahm und die Welt als zu erobernden Abenteuerspielplatz ansah. „Youth is wasted on the young“, wie der Weise sagt.

Je näher man sich der Haltbarkeitsgrenze nähert, umso beschwerlicher und lästiger wird die für allerlei Fehlfunktionen und Defekte anfällige Physis, und es stellt sich die Frage, ob man es wirklich noch weitere zehn, zwanzig oder dreißig Jahre darin aushalten kann und möchte.