Die gemeinsamen Parkspaziergänge, die der Hund und ich unternehmen, führen uns fast unweigerlich in den Feldmühlepark, der der erste und größte der Oberkasseler Parks ist. In letzter Zeit jedoch versuchen wir (d.h. ich, dem Hund scheint es egal zu sein), diesen Abschnitt unserer Runde zu vermeiden – zu oft gerieten wir gerade dort in merkwürdige temporale Verzerrungen bzw. Risse im Raum-Zeit-Kontinuum, die offenbar den Eintritt von außerirdischen Entitäten in unsere Welt ermöglichten und uns regelmäßig in Bewusstseinszustände jenseits des Alltäglichen beförderten. Mich jedenfalls, obwohl mir auch der Hund nach solchen Begebenheiten auf eine Weise verändert schien, die ich zwar nicht genau definieren, aber auch nicht leugnen kann.
Nun sind exaltierte und fremdartig-mysteriöse Bewusstseinszustände nichts, was mich schrecken könnte. Im Gegenteil, früher habe ich dergleichen förmlich gesucht und machte weder vor Drogen noch vor Gurus aller Art bei dem Versuch halt, aus der Haut der Normalität heraus- und in das Magische Königreich der neuronalen Zwischenwelt hineinzuschlüpfen.
Heute, als gestandener Realist mit solider kommunistisch-materialistischer Weltanschauung, strebe ich weniger nach besonderen inneren Zuständen, dafür mehr nach einem friedlichen und anständigen Leben – und zwar für alle (deswegen Kommunismus).
Um den Faden wieder aufzunehmen: auf der heutigen Morgenrunde gelangten Hund und ich durch eine Reihe erratischer Zufälle und Umstände doch wieder in besagten Feldmühlepark. Wie vermutet, befand sich dieser immer noch in einer extra-temporalen Dauerschleife raumzeitlicher Divergenz, was sich in einem plötzlichen Anstieg der Wahrnehmungsintensität äußerte:
HINTER den Erscheinungen wurden, kaum dass wir den Park betreten hatten, strukturelle Muster sichtbar, die sich in pulsierenden Rhytmen bewegten und sich zu immer neuen Formen fügten. Manche dieser Formen zerflossen und zerronnen sofort wieder, andere schienen eine gewisse Stabilität zu erlangen, aufgrund derer dem Eindruck nach eine Zeitschleuse geöffnet wurde, aus der sich konkretere Formen, Erscheinungen und Wesen manifestierten.
Eine Reihe monströser, tentakelbewehrter Raumschiffe – Zeitmaschinen? – schwebten über den zum Park hinausgehenden Gärten der Häuser in der vornehmen Leostrasse (eine der begehrtesten und teuersten Adressen in Oberkassel) und verdrängten oder verdeckten diese teilweise. Wie bei den vorigen Phänomenen ähnlicher Natur gingen von den Flugkörpern hochfrequente Strahlen aus (wenn es denn Flukörper waren; sofern sie durch die Zeit reisten, wäre die Bewegung ja eine temporale, keine physische, so das man nicht unbedingt von einem „Flug“ sprechen kann).
Genau diese Strahlen waren es, oder schienen es zu sein, die die gesamte Szenerie in eine Aura von Unwirklichkeit und schwer zu benennender „Zeitlosigkeit“ tauchten. Einem Traum gleich, wirkte alles wie verwandelt und Dinge geschahen gleichzeitig in Zeitlupe und in unerhörter Geschwindigkeit.
Auf der Parkwiese fand gerade ein Yoga-Kurs statt. Die Teilnehmer bemerkten ganz offensichtlich überhaupt nichts von den Verschiebungen der Raumzeit und den erstaunlichen Veränderungen ringsum. Sie machten ungerührt weiter mit ihren Verrenkungen und ließen sich weder von einem abgerissenen alten Gaukler stören, der hinter ihnen ihre Bewegungen persiflierte, noch von meinem Hund, der sich auf der Wiese zwischen ihnen niedergelassen hatte und in einem Buch las.
Letzterer Umstand allerdings machte mich stutzig und veranlaßte mich, meine verbleibenden mentalen Kapazitäten auf das vage Gefühl konzentrieren, dass hier mal wieder etwas Grundlegendes in den Webfäden der Erscheinungswelt nicht stimmte. Seit wann können Hunde lesen? Von meinem jedenfalls war mir nichts dergleichen bekannt.
Auch dass leicht bekleidete Leute Anfang November in einem sichtbar von keinem Herbst heimgesuchten Park auf einer grünen Wiese Yoga machten, fiel mir plötzlich als anachronistisch und in höchstem Maße bizarr auf.
Zum Glück hatte ich auch diesmal wieder die Spezialbrille meines Großvaters dabei, die dieser in den langen Jahren, die er in Gefangenschaft einer hochtechnoiden und mystischen Alienrasse war, angefertigt hatte. Er war dort in einem extemporalen Straflager in einer subdimensionalem Zeitfalte inhaftiert, wo er freundlich behandelt wurde und Zugang zu der Alien-Technologie hatte. Auf diese Weise konstruierte er die Brille, die mir heute eine so praktische Hilfe ist. Überflüssig zu erwähnen, dass mein Großvater natürlich wusste, dass niemand ihm seine zugegebenermaßen fantastische Geschichte geglaubt hätte, weshalb er es von vornherein für weiser hielt, zu erzählen, er hätte all die Jahre „in russischer Kriegsgefangenschaft“ verbracht.
Dank der Brille und des stets aktiven Residuums von Restverstand am Grunde meines inneren Universums gelangte ich so unbeschadet aus der Zone der Zeitverschiebung. Diesmal, so versprach ich mir selber, wäre aber vorläufig das letzte Mal, dass wir diesen Park besuchen würden. Zu anstrengend (wenn auch aufregend und spannend) die jeweiligen Begegnungen der dritten, vierten oder wievielten Art auch immer, die dort auf uns warteten. Als ich diesen Entschluss dem Hund mitteilte, stutzte dieser nur kurz und antwortete dann „Egal, Hauptsache ich kann irgendwo kacken!“. Das machte wiederum mich stutzig, ja beinahe besorgt. Sollte etwa doch eine dauerhafter Auswirkung dieser Parkrunden beobachtbar sein? Wieso sonst würde der Hund mit mir sprechen? War es überhaupt der Hund oder fand all das nur in meiner Einbildung statt?
Ich blickte den Kameradin an und fragte: „Hast du eben mit mir gesprochen? Hast du das wirklich gesagt?“. Als Antwort erhielt ich ein verhalten freudiges Schweifwedeln und einen Stupser mit der kühlfeuchten Hundenase. Alles war wieder wie immer und der Tag konnte weitergehen.