Aus Richtung Fernseher dringt der pseudo-einfühlsame professionelle Reportertonfall eines der unaufhörlichen Expertengespräche zum Thema Nahostkrieg an mein Ohr. Die verlogene Intonation und die standardisierten Sprachregelungen verraten mir, dass es sich um einen der ganz oder teilweise vom deutschen Staat kontrollierten Sender handeln muss.
Ich versuche, so gut es geht, wegzuhören und mich meiner mehr oder weniger kreativen Tätigkeit in meiner Lese- und Zeichenecke zu widmen. Aus dem Interview, das Dunja Halali mit irgendeinem „Experten“ oder Regierungsvertreter führt (ein ausländischer, da der Mann übersetzt wird), dringt trotz meiner Ignorierungsbemühungen ein Satz an mein Ohr, der heraussticht aus dem Einerlei gegenseitiger Bestätigung imperialistischer Moral, welches hier von Interviewtem und Interviewerin für das Fernsehpublikum inszeniert wird.
„Nun ist es ja selbstverständlich, dass Israel das Recht zur Selbstverteidigung gegen den Terror hat, aber bei der Gegenreaktion kommen ja unvermeidlich auch Zivilisten zu Schaden…“, problematisiert die Staatsenderjournalistin in Richtung Gesprächspartner. Was dieser antwortet, höre ich schon nicht mehr (irgendein Bedauern über und Rationalisieren des „Unvermeidlichen“ wird es sein; der Mann ist wohl entweder amerikanischer oder israelischer Militär oder Politiker).
Vor den Augen der Welt findet also nicht ein erbarmungsloser Bombenkrieg gegen die eingesperrte palästinensische Zivilbevölkerung des Gaza-Streifens statt, jedenfalls nicht für Journalisten deutscher Leitmedien, sondern „es kommen auch Zivilisten zu Schaden“. Diese Späne, die nun mal leider anfallen beim durch und durch gerechtfertigten antiterroristischen Hobeln der israelischen Armee, sind – so suggerieren es Reporterin und Befragter – zwar irgendwie nicht sehr schön. Man würde sie auch gerne möglichst vermeiden, aber – verständige Menschen wissen das – es gibt im Krieg nun mal leider auch Opfer.
Beziehungsweise eigentlich gar keine Opfer, sondern von Pech heimgesuchte Zivilisten, die bei einem unvermeidlichen Geschehen „zu Schaden gekommen“ sind. Sie stellen insofern höchstens ein theoretisches, weil moralisches, aber kein wirkliches Problem dar für die erfolgreiche Kriegführung Israels und deren mediale Nachbeter.
Der abgebrühte Zynismus der Formulierung „zu Schaden kommen“ für die Opfer eines Bombenterrors, der genozidale Züge hat, passt zu dem kürzlich durchgesickerten Brevier mit Sprachregelungen für die ganz oder teilweise vom deutschen Staat kontrollierten Sendeanstalten. In diesen Anweisungen wird im Detail festgelegt, wie und mit welchen Ausdrücken und Formulierungen Nachrichtensprecher, Reporter usw. dem Publikum den gegenwärtigen Nahostkrieg zu vermitteln haben. Das sprachliche Framing dient dazu, die Handlungen der israelischen Seite als gerechtfertigt und notwendig, die der Hamas dagegen als terroristisch und archetypisch böse darzustellen.
Während ich die aufsteigende Übelkeit in mir bekämpfe, sinniere ich darüber, wie Frau Halali wohl drei Generationen zuvor ihre militärisch-politischen Gesprächspartner befragt hätte. Vielleicht so: „Herr Eichmann, nun sind ja in den Konzentrationslagern auch Zivilisten zu Schaden gekommen, was können Sie den Zuschauern an der Heimatfront denn dazu mitteilen…?“. Und Eichmann so: „Danke für diese Frage, Frau Halali. Zunächst mal muss ich festhalten, dass es natürlich unser gutes Recht ist, uns gegen den jüdisch-bolschewistischen Terror zur Wehr zu setzen…“ usw.
Ich komme zu dem Schluß, dass bei der Berichterstattung über die Konflikte auf der Welt (vor allem aber bei der über den Krieg Israels gegen Gaza) vor allem Journalismus, Ehrlichkeit und jeder menschliche Anstand auf Seiten der politischen und journalistischen Kriegsbefürworter zu Schaden gekommen sind. Und die Gehirne der Fernsehkonsumenten, die dieser Propaganda täglich ausgesetzt sind.