Milde Gaben und Wohltätigkeit für bedürftige Loser der Konkurrenzgesellschaft: alle Jahre wieder und inzwischen das ganze Jahr über

Man kann dem Kapitalismus und den Medien vorwerfen was man will, aber die Armen und Zukurzgekommenen, die Erniedrigten und Beleidigten sind nicht vergessen! Im Gegenteil: gerade wenn’s auf Weihnachten zugeht erinnert man sich gerne, häufig und voller Mitgefühl an all die Existenzen, die es in unserer freiheitlichen Gesellschaft leider nicht geschafft haben, in der Konkurrenz zu bestehen.

Dass es ihr höchst eigener Fehler ist, wird dabei nie in Frage gestellt. Vielleicht auch mal ein unglückliches Schicksal, mitunter Pech, aber auch daran – GERADE daran! – beweist sich immer wieder erneut (oder eben nicht), ob einer das Zeug hat, sein Leben zu meistern, aus eigener Initiative das Beste daraus und sich zu einem funktionierenden Subjekt des Konkurrenzkampfes zu machen.

Auf dieser selbstverständlichen Basis werden die bedauerlichen Einzelschicksale – es sind immer nur Einzelschicksale – abgehandelt. Gerne gezeigt werden lobenswerte Initiativen mitleidiger Bürger, die froh sind, selber nicht im absoluten Elend gelandet zu sein und das Los der „Bedürftigen“ durch ein bißchen Hilfe und ein paar milde Gaben zu erleichtern. Mit warmer Stimme, beglückt ob soviel mitmenschlicher Hilfsbereitschaft, berichtet ein Moderator im MDR von einigen Hausfrauen und Rentnerinnen in Halle, die im Rahmen des „Eine Tasche voller  Wärme“-Projektes der Malteser um die Wette häkeln oder stricken. Das alles hat irgendwie mit einem Hilfsprojekt für (genau:) „Bedürftige“, nämlich in diesem Fall Obdachlose, zu tun. Diese hat man auf jeden Fall zu bedauern, denn ihr trauriges Schicksal ist bekanntlich so gottgegeben wie es – sind wir doch mal ehrlich – beinahe unvermeidlich ist, wenn einer es an der nötigen Leistungsbereitschaft und Initiative fehlen lässt.

Dass die „Bedürftigkeit“ wohnungsloser Leute zuerst und fundamental durch den Bedarf nach einer Wohnung definiert wird, zählt hier nicht. Es würde auch zu viele Fragen aufwerfen, die keiner beantworten kann und will, der nicht als Radikalinski oder gar Kommunist gelten will. Es gibt in der Freiheit leider nun mal nicht genug Wohnungen für alle, das ist eben Marktwirtschaft, was will man machen. Bzw. das was zu machen wäre, nämlich einfach Mittel bereitstellen und Wohnungen bauen – genau DAS wäre nicht nur unmarktwirtschaftlich und staatlicher Dirigismus, sondern würde letzten Endes und im Grunde genommen auch den Wohnungslosen den nötigen Anreiz nehmen, sich selbst um ihr Fortkommen in der Wettbewerbsgesellschaft zu bemühen.

So kann man viele Sendestunden füllen mit herzergreifenden Geschichten über das Menschlich-Allzumenschliche der sich ausbreitenden Armut. Man kann darin schöne Botschaft erzählen, wie ein selbstloses Miteinander und praktische Nächstenliebe immer wieder für ein Lichtlein in der Dunkelheit sorgen. In der Dunkelheit, die das menschliche Leben nun einmal IST, und an der keiner etwas machen kann, außer (immerhin!!) durch solche Gesten tätiger Nachbarschafts- oder Obdachlosenunterstützung. 

Wieder einmal ist bewiesen, in was für einer grundsätzlich schönen und vielleicht nicht immer gerechten, aber wenigstens um Linderung der schlimmsten Auswüchse ringenden Welt wir leben. Der Zuschauer wird in den Abend entlassen mit dem wohligen Gefühl, dass es erstens für die armen Schweine ja doch ein bißchen Mildtätigkeit gibt und dass zweitens und vor allem er selber noch ein paar Schritte entfernt ist vom Sturz in den Abgrund, der in unserer freien und demokratischen Ordnung jederzeit und für jeden lauert.