Ich sitze in einer Ecke des Wohnzimmers und lese oder zeichne irgendwelches Zeug. Am anderen Ende lungert die Frau auf dem Sofa und läßt sich von den dahin plätschernden und immergleich intonierten Fernsehstimmen einer Talkrunde auf Phoenix in den Schlaf labern – sie schaltet diese Sendungen oft nur deswegen ein, weil sie „so schön dabei einschlafen kann“.
Das ist tatsächlich auch das einzige, was einem bleibt (außer um- oder abschalten), denn WAS da gesagt wird, ist so fürchterlich, dass es zumindest mich um jeden Schlaf bringen würde. Es geht mal wieder um die Ukraine, bzw. laut offizieller Sprachregelung, den „russischen Angriffskrieg in der Ukraine“ und die Teilnehmer beantworten gerade die besorgte Frage des Moderators, was „die Menschen in der Ukraine“ jetzt am dringendsten bräuchten.
Was brauchen Menschen in einem Land, das gerade von seinem neo-nazistischen Regime in einem aussichtslosen Stellvertreterkrieg verheizt wird? Was brauchen Menschen in einer zusammengebrochenen Ökonomie, einem kollabierten Elektrizitätsnetz, weitgehend ohne Strom, Wasser und Heizung im kalten Winter? Frieden zum Beispiel?
Weit gefehlt. Dieser geplagte Menschenschlag braucht vor allem eins: WAFFEN! Die Talkshowgäste sind sich einig: das dringlichste Bedürfnis „der Menschen in der Ukraine“ sind Waffen, und zwar ganz viel davon und a.s.a.p.! Der Moderator wendet sich an eine Dame in der Runde: Frau Sowieso, Sie waren kürzlich noch in der Ukraine und können mit den Menschen dort sprechen. Was ist deren Meinung, was sagen die Menschen dort, was sie als erstes brauchen?“
Die Dame zögert keine Sekunde mit ihrem authentischen First-Hand-Bericht: „Ja, das ist natürlich ganz eindeutig; bei allen Entbehrungen, die diese Menschen mitmachen müssen, ist doch ein gemeinsamer Nenner, dass jetzt dringend Waffen gebraucht werden..“
Wen die Waffenfetischistin vor Ort in Kiew befragt hat, wird nicht verraten. Für sie und die Runde steht fest, dass nur Waffen, noch mehr Waffen, und das möglichst zackig, den Frieden in unserem ukrainischen Protektorat schaffen können. Die übrigen Diskussionsteilnehmer sekundieren ihr: Ja, auf jeden Fall Waffen! Das ist das erste und wichtigste. Bevor über irgend etwas anderes überhaupt zu reden ist, muß die reibungslose und großzügige Versorgung mit Waffen gewährleistet sein!
Die Begeisterung für Krieg und noch mehr Krieg steht ihnen ins bürgerlich-vernünftige Gesicht geschrieben; sie orgasmieren innerlich ob der einmaligen Gelegenheit, sich ganz legal und offiziell der von der offiziellen Regierungs- und Medienmeinung nicht nur bestätigten, sondern GEFORDERTEN Kriegsbegeisterung hinzugeben.
Der kranke Zynismus ihres Rufes nach mehr Waffen, noch mehr Waffen, mehr Krieg, mehr toten Russen verwandelt sich für sie in ein Gebot humanitärer Verantwortung für UNSERE Werte, die schließlich da hinten in der Ukraine gegen den Russen verteidigt werden. Schon wieder verteidigen Nazis unsere europäischen Werte gegen den Russen, und noch nicht einmal das fällt den wackeren Talkrunden-Demokaten auf.
Der Sportpalast ist die Wohnstube, und das „Wollt ihr den totalen Krieg“ des Reichspropagandaministers ist zum sachlich erörterten Austausch geworden, wie der Feind im Osten am besten zu besiegen ist. Das Resultat ist dasselbe: totaler Krieg. Das offizielle und mediale Deutschland will ihn, jedenfalls solange Ukrainer ihn kämpfen. Da darf einfach nicht nachgegeben werden, da muß um jeden Preis bis zum Endsieg gekämpft werden. Dass es dazu massenhaft Waffen braucht, gebietet schon der bürgerliche Sachverstand.
Wie vor achtzig Jahren verschwenden die totalen Krieger keinen Gedanken daran, wie er enden könnte. Wie er enden WIRD. Sie wissen sich auf der Seite der überlegenen Macht; wenn schon nicht militärisch, dann eben immerhin wertemäßig.
Während ich mich angesichts des gerade Gehörten mal wieder verstärkt wie ein Alien in einer primitiven und barbarischen Welt von Irren fühle, ist die Frau darüber sanft eingedöst.