Die Vormittage in der “Tagesgruppe Demenz” sind (jedenfalls, wenn ich dort Dienst habe) immer Spielwiese fur allerlei anarchisch improvisiertes Spontantheater mit Bild, Musik und wüsten Erzählungen, die ich mir *on the fly* ausdenke. Manchmal ziehe ich auch Vorlagen wie die Geschichten der Bruder Grimm heran. Die Jungs haben nämlich ausser “Hänsel und Gretel”, “Dornröschen” und “Schneewittchen” noch ein paar andere, weniger bekannte und potentiell sehr lustige bis merkwürdige Geschichten aufgezeichnet.
Die Märchenstunde in der Tagesgruppe geht so: Zuerst lese ich das Märchen aus dem Buch vor. Dabei schläft in der Regel die Hälfte meiner dementen Truppe ein und kaum einer kriegt was mit, ausser ich zeichne gleichzeitig Bilder aus der Story ans Flipchart. Anschließend erzähle ich die Geschichte anhand der Bilder nach, wobei ich in jede Rolle schlüpfe, die in dem betreffenden Märchen vorkommt. Das ist also schon eine Art Impro-Theater, kongenial von mir begleitet auf einer Mundharmonika. Damit ist mir die Aufmerksamkeit meiner Schützlinge gewiss, alle lauschen, hören und staunen mit offenen Augen und teilweise offenen Mündern und wir haben alle zusammen viel Spaß dabei.
Heute erwischten wir ein selten gehörtes Grimm’sches Märchen: “Der gute Handel” (die Auswahl des Märchens erfolgt, indem einer der Tagesgruppe-Teilnehmer das Buch aufschlägt und wir die Geschichte nehmen, die auf der betreffenden Seite steht). Es geht darin um einen ziemlich dummen Bauern, der sich aber letztlich als schlauer Kerl und Glückspilz entpuppt. Der Bauer hat nämlich in der Stadt seine Kuh für sieben Taler verkauft. Auf dem Rückweg, als er an einem Teich vorbeikommt, gerät er in eine Debatte mit den dort ansässigen Fröschen, die alle “Ak, Ak, Ak!!” rufen, was das Bäuerlein als “Acht” versteht. Er wird so zornig über die dummen. Frösche, dass er schliesslich sein Geld in den Teich wirft, damit die Frösche selber nachzählen können- was diese aber nicht tun und weiter “Ak, Ak, Ak!!” rufen.
An dieser Stelle amüsieren sich meine Leute bereits königlich, was aber noch getoppt wird durch die nächste Begegnung des Bauern mit einem Hund. Dieser bellt unser Bäuerchen an mit “was! was!”, als dieser mit dem Fleisch einer geschlachteten Kuh in die Stadt will. Das versteht der Bauer als “Ich will was vom Fleisch!”, und da er den Hund als Hund des Fleischers kennt, gibt er ihm das ganze schöne Fleisch mit der Auflage, es dem Fleischer zu bringen und nach drei Tagen mit dem Geld zu ihm, dem Bäuerlein, zu kommen. Usw. usw.
Diese Art Geschichten passen offensichtlich genau in die mentale Struktur von dementiell veränderten Gehirnen – etwas abseitig, ziemlich komisch und auf gewisse Weise auch die Naivität aufgreifend, die ein dementer Menschen im Umgang mit der Umwelt oft zeigt. Jedenfalls war meine Truppe voll dabei, fühlte sich prächtig unterhalten und verwunderte sich über den Bauern, der den Fröschen und dem Hund so auf den Leim ging.
Zu guter Letzt geht sich der Bauer jedenfalls beim König beschweren über all die Unbill, die ihm widerfahren ist und bringt damit die Königstochter, “die ihr Lebtag nicht gelacht hatte”, zum Lachen. Der König, der seine Tochter dem versprochen hatte, der sie zum Lachen bringt, bietet sie nun dem Bauern als Gemahlin an und alle denken, hier hat die Geschichte ihr Happy End.
Ist aber nicht so, denn das Bäuerlein will sie gar nicht, da er bereits eine Frau zuhause hat, und die sei ihm schon mehr als genug… Dies eWendung der Geschichte erweckt nun erst recht das Interesse und das Erstaunen meiner Dementen und bestätigend und weise wird gekopfnickt und debattiert, dass es sich hier doch um einen besonders schlauen Bauern handelte, obwohl es anfangs gar nicht so aussah…
Damit haben wir den Vormittag schon wieder fast rumgekriegt und wir beschliessen die Runde mit dem Eindecken des Tisches für das freitägliche Mittagessen (Fisch natürlich – schliesslich sind wir in einer diakonischem. Einrichtung).