Journalistischer Morgenbefehl

Morgenbefehl aus der journalistischen BDI-Zentrale für ideologische Rechtgläubigkeit:

Das Gemecker an Hartz4 & Co hat aufzuhören! Die Arbeiterverräterpartei geißelt sich völlig zu unrecht für die umfassende Verarmung, Entrechtung und Drangsalierung der aussortierten menschlichen Kostenfaktoren der unternehmerischen Kalkulationen! In Wirklichkeit war die Umwandlung der staatlichen Armutsbetreuung unter Schröder/Fischer nämlich – ein Erfolg!

So deutlich leitartikelt nicht mal die „Bild“-Zeitung, aus wessen Sicht sie schreibt.

Grundsätzliche Zusammenfassung des wertewestlichen Moralkanons zur Verwendung in Talkshows, Leitartikeln, Feuilletons und Bildungseinrichtungen der freiheitlichen Demokratie

Politiker aus Staaten, die “der Westen” (sprich: USA, EU und NATO) gerade auf seiner Feindschafts- und Abschussliste hat, handeln immer aus Machthunger, Bösartigkeit und Unterdrückungsgelüsten, oft auch aus schierer Gier nach persönlicher Bereicherung. Ihre Entscheidungen bezüglich des Staatswohls und bezüglich der Stellung ihres Landes in der Staatenwelt sind grundsätzlich von ihren schweren psychologischen Defekten bestimmt, niemals von der Rationalität und der dem Staatswohl verpflichteten Vernunft, die unsere westlichen Staatsmänner und -frauen auszeichnet.

Darum sind politische Führer aus Ländern, die sich nicht in die westliche Ordnung einfügen, auch nicht Staatschefs, Präsidenten, Ministerpräsidenten usw., sondern “Machthaber”, “Herrscher”, “Autokraten” und “Diktatoren”. Ihre Regierung ist ein “Regime”, eine “Diktatur”, ihr Land ein “Unrechtsstaat”.

Rücken sie auf der westlichen Abschussliste weiter nach oben, wird auch schon mal der direkt auf ihren psychopathologischen Zustand deutende Zusatz “irre” oder “blutrünstig” vorangestellt. Ganz bedenklich wird es für den so kategorisierten Staatsführer und sein Gemeinwesen, wenn die Schlagzeilen-Tatbestände “Schiesst auf sein eigenes Volk” oder “Lässt sein eigenes Volk hungern” hinzukommen.

Dann ist in der Regel über kurz oder lang die Bekehrung des betroffenen Volkes zur “Demokratie” und für den Staatsführer ein Platz im Gefängnis oder auf dem Friedhof fällig .

(Anmerkung: Ist der entsprechende Politiker allerdings ein “Freund” des Westens und fügt sich in die NATO-Weltordnung ein – ganz besonders, wenn er ein guter und zahlungskräftiger Abnehmer westlicher Rüstungsgüter ist – kann er so blutrünstig und irre sein wie er will, sein Volk kann hungern oder bombardiert werden – er bleibt ein (vielleicht “schwieriger”, aber:) Partner der “Internationalen Staatengemeinschaft”, wie die Selbstbezeichnung von USA/EU/NATO lautet)

Die führenden Politiker des Westens dagegen sind allesamt wohlmeinende ehrliche Arbeiter am Gemeinwohl, die sich schweren Herzens auch in die Niederungen der politischen Machtspiele begeben müssen, um uns allen ein sicheres Leben zu ermöglichen.

Für diese hervorragenden Vertreter abendländischer Gesamt-Vernunft gilt auch bei unübersehbaren Psychomacken die Unterstellung, dass diese unter Umständen das Regieren etwas schwer machen mögen – niemals aber die “Demokratie”, die diese Politiker regieren, irgendwie zur Diskussion stellen könnten. Denn die ist schließlich der Weisheit letzter Schluss, der Endpunkt menschlicher Geschichte und unantastbare Welt- und Gesellschaftsordnung wenn nicht von Gottes, dann aber von Ratios Gnaden.

Es gibt nichts danach.

Was immer sich menschheitshistorisch noch tun wird, wird immer nur den im Prinzip erreichten paradiesischen Endzustand der Geschichte optimieren und von seinen bedauerlicherweise hier und da noch auftretenden Unzulänglichkeiten reinigen.

Wenn zwei das Gleiche tun, ist das noch lange nicht dasselbe: demokratische Meinungsbildung als circulus vitiosus zwischen Beherrschten und Herrschaftspresse.

Wenn zwei das Gleiche tun, ist das noch lange nicht dasselbe:

Die demokratische Führerin des deutschen marktwirtschaftlichen Musterstaates „stimmt die Bürger ein“, „ruft auf“ und – bester Nachweis ihrer moralischen und diskurstechnischen Vorzüglichkeit – „schlägt auch selbstkritische Töne an“.

Soweit also die Neujahrspredigt einer wohlmeinenden Landesmutter, die von der freiheitlichen Presse entsprechend als seriöser Dialog mit den kennerisch und aufmerksam lauschenden kritischen Bürgern gewürdigt wird.

Ganz anders dagegen der nordkoreanische Mini-Stalin, ausgewiesener Kommunist und Diktator, dessen Bemühen um Gediegenheit der „Spiegel“ sofort durchschaut: alles nur „große Propaganda“, deren „wahre Botschaft“ nur „zwischen den Zeilen“ heraushörbar ist – eine Aufgabe, die die Claas-Relotius-Gazette als Fachblatt für politische Hörakustik freiwillig übernimmt.

Gut, dass dem demokratischen Staatsbürger diese Unterschiede sowieso längst klar sind und der „Spiegel“ sie insofern bloß nochmal bestätigt.

So geht demokratische Meinungsbildung: als circulus vitiosus zwischen Beherrschten und Herrschaftspresse.