Geschichten die das Leben schrieb: die Ausländer und der Winterwein

Die Frau kommt etwas verstört aus dem Wohnzimmer, wo sie wohl irgendwelche Fernseh-Nachrichten geguckt hat. „Das mit dem Ausländerhass wird aber immer schlimmer, oder?“, sagt sie. „Die Leute sind richtig aufgehetzt, die wollen die alle loswerden. Als ob alle Ausländer so wären..“ 

Mit „so“ meint sie die durchgedrehten, traumatisierten Figuren, die hierzulande mit dem Leben und ihrem Platz darin nicht klar kommen und zu Gewalttätern werden. 

„Da sind die Medien aber auch selber dran schuld“, fügt sie noch hinzu.

So viele eindeutige gesellschaftspolitisch gemünzte Sätze aus dem Munde meiner Liebsten sind eine solche Seltenheit, dass ich erstaunt aufhorche. 

„‚Selber dran schuld‘ ist gut!“, entgegne ich. „Die heizen das ja mit an, die Medien und die Politiker. Damit lässt sich super Wahlkampf machen und vor allem lassen sich die Leute damit nicht nur von den wirklichen Ursachen von Migration und Flucht ablenken, sondern eigentlich von allem anderen auch, was hierzulande schief läuft. Die Wut, das Entsetzen über solche irren Mordtaten brauchen ein Ventil und einen Schuldigen….“

Ich frage sie, ob sie weiß, dass die BRD jahrzehntelang in Afghanistan Krieg geführt hat. Hat sie , aber mehr so wie die meisten: da war irgendwas, man hat schon mal irgendwie gehört, dass es da hinten Ärger gab mit so Steinzeit-Talibanesen und dass unsere Bundeswehr deswegen dem Ami beim Brunnen bohren, Frauen befreien und Demokratie verbreiten helfen musste. 

Dass der „robuste Militäreinsatz“ in Afghanistan unmittelbar mit dem Zustrom von Flüchtlingen von dort zu tun hat – dieser logische gedankliche Schritt ist den meisten schon zu kompliziert. Das empörte Bürgergemüt will Rache und Vorbeugung, es will Taten sehen und kriminelle Ausländer abschieben, und es möchte nicht mit Hintergründen, Ursachen und Gründen belästigt werden.

Das Klima, das erzeugt wird – einerseits von den anscheinend immer häufiger vorkommenden Gewalttaten hierher Geflüchteter, andererseits von den emotionalen und politischen Reaktionen darauf – ist eines der Feindseligkeit. Schon jetzt gibt es überall in Europa (und sogar außerhalb) Lager für Flüchtlinge und Asylbewerber. Für die BRD ist die Rede von Abschiebelagern, in denen Nicht-Aufenthaltsberechtigte untergebracht werden sollen, bis man sie loswerden kann. Durch die kriminellen Elemente unter ihnen gelten Asykanten und Flüchtlinge mittlerweile per se als unerwünschte Menschengruppe, derer man sich – so die Forderung an „die Politik“ erwehren muss. Sie werden nur noch als anonyme Masse gesehen, als Flut, die „uns“ überrollt – und damit entmenschlicht und zum Abschuss freigegeben.

Es bedarf keiner großen Imagination, um die zahlreichen Abschiebelager auch mit anderen Personengruppen als unerwünschten Ausländern gefüllt zu sehen. Was ist, wenn der Staatsmacht einfällt, auch unerwünschte Inländer in Lager zu sperren? Die einschlägigen Gesetze sind bei der richtigen Parteienkoalition und Stimmungslage schnell beschlossen, die Lager existieren schon,  die Neigung, Kritiker mit dem Strafrecht zu verfolgen, ebenfalls. 

Da ist noch viel Luft nach oben für eine aggressive Staatsmacht im Krisenmodus, die Ruhe an der Heimatfront braucht, um beim Volk die geforderte Kriegstüchtigkeit herzustellen.

Während ich so meinen Gedanken nachhänge, lässt sich die Gattin wieder vernehmen: „Der Winterwein, den du von Jacques‘ mitgebracht hat, der war nichts! Den trinkt man weg wie Limonade. Ich mach morgen den Pak Choi, da kommt der dann dran…“. Sie entschwebt in die Küche und fügt grinsend an: „Bei uns wird nichts verschwendet! Was nicht getrunken wird, kommt in die Suppe!“.

So schließt sich der Kreis vom Allgemeinen zum Konkreten, womit sich die Dialektik des häuslichen Lebens mal wieder aufs Schönste entfaltet hat.