Gerade hatte ich mich zu einem gemütlichen Mittagsschläfchen hingelegt, als das hektische Klingeln eines Dienstleistungslohnarbeiters mich wieder in die Vertikale zwang. Ich drückte auf den Türsummer, der gleichzeitig die Gegensprechanlage aktiviert, und sprach mein übliches „Ja bitte?“ in den Hörer.
„DHL! Paket für Sie!“ erklang es von unten. Ich begab mich auf den Weg nach unten, und mit jeder der insgesamt 86 Stufen bis ins Erdgeschoss wurde mein Schritt langsamer und gleichsam schwebender – was ich meiner frühnachmittäglichen Müdigkeit zuschrieb. Gleichzeitig registrierte ich einen feinen Nebel oder Dunst, der sich im Treppenhaus ausbreitete. Für einen kurzen Moment dachte ich, ein Nachbar hätte ein Räucherstäbchen entzündet, oder der Paketbote würde rauchen (allerdings entsprach die Menge an „Rauch““ eher dem dichten Qualm eines Bahnhofswartesaals der 1950er Jahre). Beides hätte ich aber gerochen; dieser Nebel hier war jedoch völlig geruchlos.
Dafür schien er alles zu durchdringen, einschließlich meiner Lungen und – so wollte es mir scheinen – jede einzelne Hautpore und Körperzelle. Unten angelangt lichtete sich der Nebel und gab den Blick frei auf eine Szenerie, die nur noch entfernt mit Oberkassel und nichts mit unserem Treppenhaus gemein hatte. Das DHL-Auto stand in einiger Entfernung am Rheinufer, das Paket lag weiter unten auf der Straße an einer Ecke im Gras.
Aber auch die Straße war verwandelt, sie ähnelte jetzt einem alten Gartenpfad, und statt der Boutique an der Ecke sah ich Gräser und Blumenrabatten, zwischen denen das Paket lag. Bedruckt mit einem großen Fragezeichen lag es da am Boden. Der Paketbote, der derweil in der Ferne auf seiner Ladeklappe umherturnte, schien sich einen Spaß daraus zu machen, meine Überraschung mitzubekommen und womöglich mir beim Öffnen des rätselhaften Paketes zuzusehen.
Am merkwürdigsten aber waren zwei Hasen, die äußerst neugierig bei dem Paket standen, sich ihm immer wieder und aus verschiedenen Richtungen näherten, wieder zurücktraten und über Bewandtnis, Verpackung und Inhalt des Päckchens zu fachsimpeln schienen. Ja, sie unterhielten sich tatsächlich, sehr gestenreich, sehr angeregt und in einer mir fremden Sprache. Inzwischen war ich überzeugt, durch einen Riss im Raum-Zeit-Kontinuum in eine Parallelrealität gelangt zu sein, vermutlich ausgelöst durch den Nebel im Treppenhaus.
Dafür sprachen jedenfalls die eigenartigen Häuser ringsum, die mir zwar bekannt vorkamen, die aber allesamt auf flexiblen Stelzen standen und sich in der leichten Brise hin und her bewegten. Dabei erklang eine Musik, die so unwirklich war, dass ich erst recht überzeugt war, Opfer einer Diskontinuität des normalen Raumzeitgefüges geworden zu sein. Aus früheren Begebenheiten dieser Art wusste ich, dass der Versuch, sich in irgendeine gewohnte Realität zurück flüchten zu wollen, sinnlos wäre bzw. die halluzinatorischen Erscheinungen nur vervielfachen würde.
Von der Seite hörte ich ein Auto hupen; es war meine Liebste, die sonst nie Auto fährt, nun aber lässig aus dem Fenster lehnte und mir empfahl, doch mal das Päckchen zu öffnen. Steckte sie etwa dahinter? Hatte sie mir irgendetwas ins Essen gemischt, das diese Phänomene bewirkte? Wenn ja, würde ich von nun an öfter um dieses Menü bitten.
Ich beschloß nun, die beiden Langohren zu fragen, was es mit dem Päckchen auf sich hätte. Plötzlich war die Verständigung kein Problem mehr. Wir unterhielten uns in einer Sprache, die weder Deutsch noch Häsisch war, und die mir später von einem Amateurlinguisten als „Hasen-Portugiesisch“ erklärt wurde. Gescheite Antworten waren von den Hasen jedoch nicht zu bekommen. Im Gegenteil, als ich das Paket hochheben und öffnen wollten, raunzten sie mich rüde an und reklamierten Paket und Inhalt für sich.
Und tatsächlich stand außer dem Fragezeichen weiter nichts auf dem Päckchen, so dass ich nach einigem Hin und Her nachgab und es den frechen Gesellen überließ. Mein Hund unterdessen, der sonst jeden Vertreter der Gattung leporidae, dessen er aus hundert Metern Entfernung ansichtig wird, als natürlichen Feind und Beute betrachtet, wirkte während der gesamten Episode wie betäubt, er saß da bewegte den Kopf langsam von links nach rechts und wieder zurück und schaute in die Welt, als wäre sie aus Cellophan oder Glas.
Plötzlich klirrte es, der Hund schreckte auf und ich erwachte auf meiner Schlafstatt. Ich hatte im Traum – in WELCHEM, wusste ich jetzt! – ein Glas vom Nachttisch gefegt und dieses war auf dem Boden in tausend Stücke zersprungen. Die Flüssigkeit verteilte sich auf dem Fußboden, reagierte wohl auf irgendeine Weise mit dem Linoleum (oder woraus auch immer das Pseudoparkett, mit dem die Wohnung ausgelegt ist, besteht) und erzeugte einen Dunst, der dem Treppenhausnebel aus dem Traum nicht unähnlich war.
In diesem Moment klingelte es an der Haustür und als ich die Gegensprechanlage drückte, hörte ich zu meiner abgründigen Verwunderung: „DHL! Paket für Sie!“
(Fortsetzung oben, im zweiten Absatz)