Geschichten die das Leben schrieb: Die wichtigen Dinge

Auf der sonntagmorgendlichen Hunderunde sagt die Frau unvermittelt: „Ich weiß gar nicht, ob es heute Abend einen neuen ‚Tatort‘ gibt… Guck doch mal nach, du hast doch immer das Telefon dabei!“

Folgsam fingiere ich das mobile Endgerät aus der Hosentasche und konsultiere die einschlägige App. „Nee, heute gibt’s ‚Polizeiruf‘“, informiere ich die Liebste und stecke das Handy wieder weg.

„Ja, und? Welcher denn? Mit wem? Wo spielt der?“, werde ich gefragt, als ob mich derlei Einzelheiten eines Fernsehkrimis – den ich sowieso nicht gucke – interessieren würden. Ich muss also das Prozedere von soeben wiederholen und die Details der heutigen ‚Polizeiruf‘-Folge kommunizieren.

Ich sinniere über das Phänomen dieser Retortenkrimis des Zwangsgebührenfernsehens, die im (seltenen) besten Fall eine ziemlich akkurate Bestandsaufnahme der sozialen und ökonomischen Verwerfungen des krisenhaften Kapitalstandortes BRD sein können, in der Regel aber krimi- und drehbuchmäßige Dutzendware darstellen, gedacht für den Massenkonsum eines ablenkungsbedürftigen TV-Publikums.

Irgendwo hatte ich mal das Bonmot aufgeschnappt, dass, wenn jährlich tatsächlich so viele Tote anfallen wie in den unzähligen Fernsehkrimis, Deutschland schon halb entvölkert sein müsste.

„Diese Krimis von der Stange sorgen auf ihre Weise ja ganz elegant für die Einbettung und Einbindung der Leute in eine geregelte, überschaubare Normalität; einer Normalität, die es gar nicht gibt, oder nicht mehr gibt“, rede ich mehr vor mich hin als zu meiner neben mir trabenden Liebsten. „Durch die erfolgreiche Ermittlungsarbeit und der dadurch garantierten Bestrafung der Kriminellen – die Fälle werden ja IMMER aufgeklärt – wird der Eindruck erzeugt, dass wir uns in einer prinzipiell gut aufgestellten, sicheren Welt befinden, in der Übertretungen und Verstöße auf jeden Fall geahndet werden.

Die Normalität ist die Regel, und die ist gut und richtig. Alles kann und soll so bleiben, wie es immer war, Ausreißer aus dieser geordneten Wirklichkeit werden bestraft. Das ist jedenfalls das, was die unterschwellige Botschaft dieser Fernsehkrimis ist, das ist auch das, was Politiker ihren Wählern erzählen. Und die Wähler WOLLEN das hören, sie wollen, dass ihr anständiges, geordnetes, ökonomisch bewältigbares Leben weitergeht wie seit den Nachkriegs- und Wirtschaftswunderjahren gewohnt….“

Meine Begleiterin ist wenig beeindruckt. „Das ist mir alles egal“, erklärt sie. „Ich guck das eben gerne.“ Damit ist im Grunde alles Nötige gesagt, jedenfalls aus ihrer Sicht. Ich fühle mich veranlasst, meine ungebetenen Ausführungen zu rechtfertigen: „Ich weiß, dass das Themen sind, die dich nicht interessieren, aber manchmal muss ich einfach laut daherreden, was mir so durch den Sinn geht…“

„Nee, ist schon ok, finde ich ja auch nicht schlecht“, erhalte ich zur Antwort. „Du kannst dir ja solche Gedanken machen. Ich kümmere mich halt um das WESENTLICHE, nämlich um den Tafelspitz. Oder soll ich mal einen richtigen Rinderbraten mit Klößen und Rotkraut machen?“

Wenigstens MEINE Welt ist nämlich auch ohne Krimis eine wohl geordnete, in der dank der Kochkünste der Liebsten für die solide Basis allen irdischen Daseins gesorgt und Leib und Seele zusammengehalten wird. Auf dem weiteren Weg dringt aus den umliegenden Gebäuden schon gelegentlicher Essengeruch an unsere Nasen, und hungrig marschieren wir nach Hause.