Demokratie als Fetisch

„Demokratie“ ist für politisch westlich Sozialisierte tatsächlich ein Fetisch, eine quasi-religiöse Instanz unbedingter Gutheit, im Grunde der Abglanz der Ewigkeit Gottes und das Konglomerat des Guten, Wahren und Schönen zusammengenommen. Darunter machen’s die Demokraten einfach nicht.

Diskussionen mit Demokratie-Jüngern enden in der Regel bevor sie beginnen, nämlich mit Glaubensbekenntnissen zur Demokratie und je nach Persönlichkeitsstruktur vorwurfsvollen, wütenden oder verächtlich-herablassenden Invektiven, deren harmloseste noch „Stalinist!“ oder „Anti-Demokrat!“ sind (neuerdings ist auch „Putinversteher!“ ganz oben auf der Diss-List).

Genaueres über Demokratie müssen ihre Fans dabei gar nicht wissen – es genügt die vage Erinnerung an den Sozialkundeunterricht der Mittelstufe und die eigene Lebenserfahrung; eine bauernschlau-sachzwanggerechte Kombination, die einem demokratischen Gemüt unwiderlegbar beweist, dass alles, was ein Mensch im Kapitalismus so treibt und treiben kann, um an das nötige Geld zum Überleben zu kommen, auf jeden Fall schwer etwas mit einem weiteren unverstandenen Gut namens „Freiheit“ zu hat.

Diese – genau wie die Demokratie eine super-menschengerechte Einrichtung nahezu idealen Zuschnitts – ist jedem Demokraten ebenfalls heilig. Ihre Existenz ist bewiesen durch regelmäßig stattfindende Wahltermine für die politische Oberaufsicht des kapitalistischen Ladens einerseits und durch das von allen Seiten medial, politisch und sozial bestätigte Gefühl andrerseits, sich Beruf, Partner, Konsumgüter und überhaupt alles im Leben selber ausgesucht zu haben.

Damit sind Freiheit und Demokratie für Wessies außerhalb der Diskussion und als á priori Kategorien quasi „gesetzt“. Zweifel an ihnen, oder gar Kritik, wird per se als BESTÄTIGUNG ihrer unschlagbaren Güte gewertet, denn wenn’s nicht Freiheit und Demokratie gäbe, könnte der Zweifler ja weder seinen Zweifel noch erst recht nicht der Kritiker seine Kritik äußern.

Bei letzterem allerdings weiß der Demokrat, dass man ihm sehr auf die Finger (und besser noch: in den Verstand hinein) schauen muss, denn Kritik ist selbstverständlich nur soweit zulässig, wie sie nicht Freiheit und Demokratie selbst in Frage stellt!

An dieser Stelle ist, zur Beruhigung des Bürgers, aber Verlaß auf die demokratische Staatsmacht, die mit ganz viel Polizei, Gerichten, Geheimdiensten und einem stetig angepaßten Repressionsinstrumentarium darauf aufpaßt, dass es in der Demokratie nicht zugeht wie bei den Autokraten.

Insofern ist also im Oberstübchen eines westlichen Demokraten alles aufs Säuberlichste geordnet; er muss lediglich aufpassen, dass er nicht anfällig wird für Autokratie, Diktatur und alles, was danach aussieht – und das ist VIEL, sehr viel, in diesen unruhigen Zeiten.

Zum Glück hat er aber die Politiker und die Medien, die sich (da Freiheit und Demokratie,scheinend trotz ihrer unglaublich positiven Werthaltigkeit KEINE Selbstläufer sind) aufopferungsvoll bemühen und verdient machen um die Aufklärung der demokratischen und freiheitlichen Maße, wie Klasse Freiheit und Demokratie ist.

(Inspiriert von einem Kommentar von Armin Kirchmaus)