Morgenspaziergang mit Hund zum Bäcker. Auf dem Rückweg kommen wir an einem noch geschlossenen Buchladen vorbei, vor dem fast immer – so auch heute – ein älterer Mann sitzt. Neben ihm liegt eine Gehhilfe, vor ihm steht eine kleine Plastikdose als Almosenschale.
Seit ich hier im stinkreichen Oberkassel wohne, fallen mir die paar Armen und Bettler umso mehr auf; sie stechen sozusagen hervor aus der saturierten bourgeoiser Oberschichtumgebung dieses heftig gentrifizierten Düsseldorfer Stadtviertels.
Den Mann vor dem Buchladen habe ich gelegentlich etwas Geld gegeben, aber mich nie länger mit ihm unterhalten. Er fällt v.a. dadurch auf, dass er nicht auffällt. Er bettelt nicht, spricht niemanden an, sondern sitzt nur da. Dabei wirkt er freundlich, vielleicht ein bißchen wie jemand, der bessere Zeiten gekannt hat.
An diesem eisig kalten Samstagmorgen, als ich mit meinem Hund an ihm vorbeilaufen will, bleibe ich stehen und frage ihn erst mal, wie er die Kälte verkraftet. Er antwortet, er wäre warm genug, das würde schon gehen.
Ich: „Und, wo schlafen Sie? Haben Sie eine Wohnung?“
Er: „Nein, ich bin wohnungslos. Ich hab ein Zelt am Rhein, da schlaf ich drin.“
Auf meine Nachfrage, warum er bei solchen Minustemperaturen nicht lieber eine der Obdachlosen-Schlafstellen aufsucht, winkt er ab: „Nee, da wacht man morgens auf und hat keine Schuhe mehr… da wird mir zuviel geklaut.“
Wir kommen ins Gespräch und ich erfahre, dass er seit sechs Jahren wohnungslos ist. Nachdem er aufgrund eines Schlaganfalles seine Arbeit verloren hat, wurde ihm auch die Wohnung gekündigt, als er die Miete nicht mehr aufbringen konnte. Inzwischen hat er auch einen Herzinfarkt überstanden.
Ich frage ihn nach seinem Alter und höre zu meinem Schrecken, dass er sechs Jahre jünger ist als ich – aussehen tut er allerdings zehn Jahre älter.
Ich gebe ihm natürlich Geld und erzähle ihm von dem Obdachlosenhilfswerk Fifty-Fifty, das in Düsseldorf ein „Housing First“-Projekt betreibt, in Anlehnung an ähnliche erfolgreiche Initiativen in USA und Österreich.
Außerdem nehme ich mir vor, ihm zuhause erst mal alle Kontaktdaten der einschlägigen Nothilfe-Adressen aufzuschreiben, wie Kältebus, Notschlafstellen usw.
Leute wie dieser Mann werden in diesem Land, in diesem System, ohne Not und Grund in Lebensgefahr gebracht – einzig und allein durch die Art und Weise, wie hierzulande (und global, bis auf wenige Ausnahmen) Wirtschaft und Gelderwerb organisiert ist.
Ich kann gar nicht sagen, wie sehr ich diesen Drecks-Kapitalismus hasse, der Menschen dazu zwingt, so leben zu müssen.