Auf der morgendlichen Hunderunde, hinter der Ladenzeile im Oberkasseler Neubaugebiet, tritt ein junger Mann südländischer Ethnizität aus einem der Hauseingänge, frisch geduscht und geföhnt, mental erkennbar gerüstet, den vielfältigen Herausforderungen des Lebens entschlossen und siegreich entgegenzutreten.
Er zündet sich umständlich eine Zigarette an und überprüft im Seitenfenster eines parkenden Autos noch einmal sein Erscheinungsbild. Das scheint auch nötig, denn sein Outfit besteht aus einer Lederjacke über einem T-Shirt und einer hellgrauen Jogginghose.
Die Frau und ich betrachten uns im Näherkommen das Schauspiel. Ich muss an das bekannte Zitat von Karl Lagerfeld denken und bemerke, mehr zu mir als zu meiner Begleiterin: „Noch einer, der die Kontrolle über sein Leben verloren hat…“
„Hab ich auch grad gedacht“, entgegnet die Liebste. „Du glaubst gar nicht, was für ein asoziales Volk morgens in die U-Bahn einsteigt, wenn ich zur Arbeit fahre… Ich nehme manchmal absichtlich die U 77, weil da nicht so viele von denen mitfahren…“
Jetzt wird mir die Konversation aber doch etwas zu heikel bzw. zu gruppenbezogen vorurteilsbelastet und ich wende ein „Naja, was heißt hier asozial? Wenn die so früh unterwegs sind, fahren die ja anscheinend alle zur Arbeit…“
„Oder zum Arbeitsamt!“ kommt die sofortige Antwort meiner Herzdame.
