Russophobie: der hässliche kleine Bruder des Antisemitismus

In Deutschland ist letzteres offiziell verpönt, ersteres dagegen in der politischen, medialen und privaten Sphäre so lebendig wie seit 80 Jahren nicht mehr.

Ein Auszug aus Glenn Diesens Buch „Russophobia: Propaganda in International Politics“:

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„Russland wird seit Jahrhunderten als der zivilisatorische „Andere“ des Westens dargestellt. Der Westen und Russland wurden als Westen gegen Osten, Europäer gegen Asiaten, zivilisiert gegen barbarisch, modern gegen rückständig, liberal gegen autokratisch und sogar gut gegen böse gegenübergestellt. Während des Kalten Krieges fielen die ideologischen Trennlinien ganz natürlich, indem die Debatte als Kapitalismus gegen Kommunismus, Demokratie gegen Totalitarismus und Christentum gegen Atheismus geführt wurde.

Nach dem Kalten Krieg wurde die antirussische Propaganda wiederbelebt, indem alle politischen Fragen durch das vereinfachende binäre Stereotyp von Demokratie versus Autoritarismus interpretiert wurden, das wenig oder gar keinen heuristischen Wert für das Verständnis der komplexen Beziehungen bietet. Die Darstellung Russlands als barbarischer Anderer suggeriert, dass der Westen Russland zivilisieren, eindämmen oder zerstören muss, um die Sicherheit zu erhöhen. Darüber hinaus impliziert die zivilisierende Mission oder sozialisierende Rolle des Westens, dass Dominanz und Feindseligkeit gutartig und wohltätig sind, was die positive Selbstidentifikation des Westens bekräftigt. Alle konkurrierenden Machtinteressen werden in der wohlwollenden Sprache von Liberalismus, Demokratie und Menschenrechten verborgen.

Die Russophobie ist kein vorübergehendes Phänomen, sondern hat sich aufgrund ihrer geopolitischen Funktion als unglaublich beständig erwiesen. Im Gegensatz zur vorübergehenden Germanophobie oder Frankophobie, die mit bestimmten Kriegen verbunden sind, hat die Russophobie eine vergleichbare Ausdauer wie der Antisemitismus. Von den Bemühungen Peters des Großen um eine Europäisierung Russlands im frühen 18. Jahrhundert bis zu den ähnlichen Bemühungen Jelzins um eine „Rückkehr nach Europa“ in den 1990er Jahren konnte sich Russland der Rolle des „Anderen“ nicht entziehen. Die Ablehnung einer umfassenden europäischen Sicherheitsarchitektur durch den Westen nach dem Kalten Krieg zugunsten der Schaffung eines neuen Europas ohne Russland wurde weitgehend durch die angeblich dauerhafte Dichotomie zwischen dem Westen und Russland legitimiert.

Walter Lippman stellte bereits vor mehr als einem Jahrhundert fest, dass Propaganda gut für den Krieg, aber schlecht für den Frieden ist. Propaganda stärkt die innere Solidarität und hilft bei der Mobilisierung von Ressourcen gegen einen Gegner. Die Öffentlichkeit wird jedoch einen tragfähigen Frieden ablehnen, wenn sie glaubt, dass es einen Kampf zwischen Gut und Böse gibt. Lippman argumentierte, um die Trägheit der Öffentlichkeit gegenüber Konflikten zu überwinden, „musste der Feind als das personifizierte Böse, als absolute und angeborene Bosheit dargestellt werden… Als Ergebnis dieses leidenschaftlichen Unsinns wurde die öffentliche Meinung so vergiftet, dass die Menschen einen tragfähigen Frieden nicht zulassen würden“.

Diese Lektion gilt auch heute noch. Das Narrativ eines bösen und imperialistischen Russlands, das einen unprovozierten Angriff auf eine blühende Demokratie unternimmt, rechtfertigt das Anheizen eines Stellvertreterkriegs und die Ablehnung jeglicher Verhandlungen. Die Hitler-Analogie ist aussagekräftig, da Frieden den Sieg erfordert, während Diplomatie Beschwichtigung bedeutet. Ein tragfähiger Frieden ist heute schwer zu rechtfertigen, da er einen Kompromiss zwischen Gut und Böse voraussetzt.“

Quelle: https://open.substack.com/pub/glenndiesen/p/the-science-of-anti-russian-propaganda