Geschichten die das Leben schrieb: die zerrissene Bettdecke und die Zumutungen der Lohnarbeit

Der Hund hat ein Loch in die Bett-Überdecke gekratzt. Wenn er es sich bequem machen will, kratzt er meistens hundemäßig mit den Vorderpfoten an seinem beabsichtigten Liegeplatz herum (manche sagen, das seien canine Instinkte aus Zeiten, als die wilden Hunde ihre Schlafstellen in der Natur von gefährlichen Insekten und ähnlichem befreien mussten).

Nichts Dramatisches, sicherlich stopfbar von einem geschickten Schneider (zum Beispiel dem sympathischen, freundlichen Türken um die Ecke, zu dem ich alle durchlöcherten Hosen und sonstige reparaturbedürftigen Klamotten bringe) aber die Frau ist aufs äußerste aufgebracht, gereizt und missmutig ob des Schadens:

„Also, du erlaubst dem Hund wirklich alles! Was soll der denn noch alles kaputtmachen?!“

Ich sage gar nichts, denn die Liebste kommt nach einem anstrengenden Tag von der Arbeit und hat gerade die letzten anderthalb Stunden in überfüllten, unklimatisierten öffentlichen Verkehrsmitteln verbracht. Wer hätte da kein Mitgefühl mit einer Lohnarbeitskraft, die zwar ausbildungs- und einkommensmäßig zur gehobenen Mittelschicht zählt, aber dennoch wie der letzte Hilfsarbeiter jedem Befehl ihres Arbeitgebers zu folgen hat – zum Beispiel der völlig unsinnigen Order, die ausschließlich am PC verrichtete Arbeit ein- bis zweimal pro Wiche physisch in einem 60 km entfernten Großraumbüro statt im heimischen Home Office zu verrichten.

Ich bleibe also gelassen sitzen, während aus dem Schlafzimmer weiteres verärgertes Schimpfen und Zetern zu vernehmen ist. Mein Schweigen wird mir jetzt allerdings als Komplizenschaft, wenn nicht sogar Mittäterschaft ausgelegt. „Für dich ist das alles egal, oder wie?“ kriege ich zu hören. „Nur ein bißchen Kratzi-Kratzi? Macht nichts? Sollen wir hier leben wie die Asozialen, mit lauter kaputten und geflickten Sachen?? Und dann deine Ruhe dabei! Du sitzt da einfach und sagst nichts…!!“

Ich überlege kurz, ob ich jetzt aufspringen und eine schauspielerische Einlage hinlegen soll, bei der ich in lautes und intensives Wehklagen über die eingerissene Tagesdecke einstimme. Ich entscheide mich dagegen, um nicht Öl ins Feuer zu gießen und versuche es stattdessen mit Diplomatie: „Das kann man doch stopfen! Ich nehme die Decke morgen mit zum Schneider, wenn ich meine Jeans abhole…“

Zu spät! „Ich hab die Scheissdecke jetzt ganz zerrissen!!“, höre ich vom anderen Ende der Wohnung. Die entnervte Liebste hat tatsächlich aus Ärger und Daffke die Decke endgültig terminiert, während sich der eigentlich Schuldige, mein zotteliger Kratzi-Kratzi-Kumpel, vorsichtshalber in seine bei uns so bezeichnete „Sprich-mich-nicht-an“-Hundehütte verkrochen hat.

Wobei, der EIGENTLICHE eigentlich Schuldige schein doch eder ich zu sein, denn ich hab‘s ja nicht verhindert. Was all solche Vorkommnisse, jedenfalls aber die emotional herausfordernde Reaktion darauf, mit dem Ausbeutersystem und dessen unerbittlichen Anforderungen an die Arbeitskräfte zu tun haben, was sie mit dem erbarmungswürdigenZustand des öffentlichen Nahverkehrs i. Deutschland und mit der Tatsche zutun hat, dass Leute wenige Jahre vor ihrer Verrentung in kaum zu bewältigende Arbeitsumgebungen gezwungen werden- all das spreche ich vielleicht mal zu einem geeigneten Zeitpunkt an, momentan aber auf gar keinen Fall.

Ich will schließlich in Ruhe heute abend Fußball gucken.