Ich bin gerade Rentner geworden und hatte mir eigentlich vorgestellt, die lohnarbeitsreduzierte Zeit (Armutsrentner wie ich sind gezwungen, so lange sie physisch und psychisch können, zu arbeiten, um über die Runden zu kommen) möglichst viele Jahre auszukosten.
Jetzt sieht es so aus, als ob nicht nur meine Lebenszeit auf dieser Erde abrupt verkürzt werden könnte. Nie hätte ich gedacht, dass in meinem eigenen Leben noch einmal Zeiten anbrechen würden wie die, die mir in meiner Kindheit meine Großeltern als vermeintlich ein- für allemal überwunden beschrieben:
Gleichschaltung der öffentlichen Meinung, Verbot abweichender Standpunkte und Medien, Hass und Hetze gegen ein ganzes Volk (und zwar genau dasselbe, das auch ab 1933 schon als der unbedingt zu besiegende böse Feind galt), KRIEG gegen Russland (auch wenn dieser NATO-seitig bisher durch einen Stellvertreter, das ukro-faschistische Regime, ausgefochten wird).
Ich erinnere mich, wie mein Großvater (Antifaschist, Gestapo-Häftling, anschließend ins Strafbataillon 999 gesteckt) mir von seinen Erlebnissen als junger Mann in den 1930er Jahren erzählte: „Wir hatten als Nazi-Gegner keinen leichten Stand. Die Leute waren ja mehrheitlich auf Seiten der Regierung und zufrieden, dass es wieder Arbeit und Brot gab. Die wollten ihre Ruhe und wollten nichts wissen von dem Gestapo-Terror, den Judenverfolgungen, der Ausschaltung der Sozialdemokraten und Kommunisten. Die wussten schon, dass es KZs gab und dass jede Opposition verfolgt wurde, aber das waren wir in deren Augen selber schuld, weil wir gegen den Nazi-Staat waren.“
Der neue demokratische Faschismus hat keine SA-Horden nötig (auch wenn die Übergriffe gegen russische Menschen und Einrichtungen daran erinnern), keine staatliche Kontrolle von Presse und elektronischen Medien (die Gleichschaltung der öffentlichen Meinung besorgen die Massenmedien – als Eigentum weniger Oligarchen und Konzerne – ganz von alleine).
Aufrüstung, Kriegshetze und Kriegsvorbereitung ist allerdings dieselbe wie zu Zeiten, als das deutsche Volk für Führer und Vaterland den Lebensraum im Osten erobern sollte. Es ist, als ob die Phase vergleichsweiser Ruhe und Prosperität (etwa zwischen 1950 und 2015) nur die Verschnaufpause vor dem nächsten Anlauf zur Erledigung einer alten Abrechnung gewesen sei: der Abrechnung mit der russischen Unverschämtheit, überhaupt als Staat und Macht existieren zu wollen, die eigene Interessen in der Welt der imperialistischen Konkurrenz anmeldet.
Deutschland befindet sich im Krieg gegen Russland. Noch wird dieser Krieg von den ukrainischen Stellvertretern ausgefochten, noch ist Deutschlands Rolle die eines domestizierten Hofhundes der imperialistischen Vormacht. Ich kann mir vorstellen, dass der jetzige Kriegszustand in absehbarer Zeit dazu führen wird, dass Leute mit abweichenden Standpunkten nicht nur verbal aus der Volksgemeinschaft ausgestoßen werden. Die mentale Grundlage dafür wird gerade geschaffen: durch die ungezügelte und maßlose Hetze gegen alles, was irgendwie russisch ist oder zu sein scheint.
Für mich am Gruseligsten und Unheimlichsten sind die schier wahnwitzigen Lügen, die mörderische Gewaltbereitschaft (die sich in den Waffenlieferungen an das Kiewer Regime ausdrückt) und der irrationale Hass gegen DEN FEIND, den der Chor der Leitmedien anstimmt und immer lauter intoniert. So müssen sich mein Großvater und seine Genossen gefühlt haben angesichts der Übermacht der offiziellen Propaganda der damaligen Regierung.
Ist die aberwitzige Russophobie, die wir jetzt erleben müssen, Ausdruck der Wut NATOstans über den eigenen Macht- und Kontrollverlust? Man möchte es hoffen.
In Finnland beschlagnahmt die dortige Regierung eine Sendung von Kunstwerken, die russische Museen und Galerien (Galerie Tretyakov, Moskau und die St. Petersburger Eremitage) Museen in Europa und Japan AUSGELIEHEN haben. In kapitalistischen Begriffen und Summen gemessen handelt es sich um Kunstwerke im Wert von ca. 46 Mio Dollar. Wie verzweifelt müssen die Machthaber in NATOstan sein, dass sie kulturelle Schätze wie diese Kunstwerke konfiszieren, statt sie den russischen Museen vereinbarungsgemäß zurückzugeben?
Die britische Nationalgalerie benennt das Gemälde „Russische Tänzer“ von Edgar Degas um in „Ukrainische Tänzer“. Kann man noch tiefer sinken? Kann man intellektuell und zivilisatorisch noch schlimmer verwahrlosen? Ein 120 Jahre altes Gemälde eines französischen Impressionisten wird instrumentalisiert für den Krieg gegen Russland, als Treibmittel der Russophobie auch der kulturellen Elite eines Westens, der sich etwas einbildet auf seine „Werte“?
„Mene mene tekel upharsin“ schrieb die Flammenschrift an die Wand im Palast des Belsazar. Inhaltlich bedeuten die Worte etwa „Deine Herrschaft geht zuende; du wurdest gewogen und für zu leicht befunden“. Ich sehe ähnliche Zeichen an den Wänden der westlichen Hybris. Bevor die Herrschaft dieser desaströsen „Zivilisation“ abtritt, zieht sie jedoch alle Register eines untergehenden Systems und läßt in ihrem letzten Selbstbehauptungsversuch alle Hüllen demokratischer Freundlichkeit fallen.
Davor habe ich Angst, und andrerseits auch nicht; zum einen, weil mein Leben sowieso schon in seinem letzten Viertel angelangt ist und ich nichts zu erwarten oder zu verlieren habe. Zum anderen, weil ich gegen alle Hoffnung darauf vertraue, dass…
… denkt euch‘s aus.