Auf dem Weg zur Arbeit höre ich morgens meistens WDR 3. Heute ist natürlich die Eröffnung der Olympischen Winterspiele in Beijing ein Thema. Die Moderatorin nordet uns Zuhörer ein mit dunkel daher geraunten Hinweisen auf “fragwürdige Menschenrechtslage”, “Gigantismus bei den Sportstätten” und anderen schlimmen Dingen aus dem Propaganda-Kanon wertewestlichen Radioschaffens. Sie kommt schließlich zum Thema “Nachhaltigkeit” und kündigt als Interviewgast einen Mann an, der in irgendeiner IOC-Aufsichtskommission für Sprungschanzenbau sitzt und selber bereits einige Sprungschanzen konstruiert und gebaut hat, ein echter Fachmann also.
Der soll jetzt also etwas zum Thema NACHHALTIGKEIT sagen. Inzwischen weiss oder ahnt der Zuhörer, dass nach Lage der Dinge auch hier alles nur im Argen liegen kann bei einem Unrechtsstaat wie China und harrt gespannt der scheußlichen Details über die verbrecherische Kommunistendiktatur mit den vielen Menschen.
Dann jedoch die Überraschung: der Mann entpuppt sich als bajuwarischer Querschädel, der in extrem kurzen Sätzen rein faktisch zum Thema spricht und mit seinen herzerfrischend trockenen und sachlichen Antworten auf die Fangfragen der Moderatorin gar nicht eingeht.
Die Dame versucht von allen Seiten und in immer neuen Anläufen, ihm irgendeine Verurteilung der chinesischen Olympia-Organisatoren zu entlocken, er aber bleibt unbeeindruckt und berichtet nur, was er vor Ort gesehen hat und dass das alles ziemlich großartig und eindrucksvoll sei.
Die Frau hakt nach: ist es nicht ein grober Verstoß gegen sämtliche Nachhaltigkeitswerte , in einer Hochebene, in der nie Schnee fällt, solche Sprungschanzen zu bauen?
„Das macht ja nichts – das Problem haben wir in den Alpen doch mittlerweile auch“, antwortet der Experte trocken. „Kunstschnee lässt sich ja schnell herstellen. Entscheidend ist die Machart der Schanze, und da kann ich nur sagen, dass die Chinesen Vorbildliches geleistet haben…“
Die Interviewerin bemüht sich erkennbar, die Contenance zu wahren; SO jedenfalls hat sie sich das Gespräch nicht vorgestellt: der Mann lässt ja nicht nur ein, sondern ALLE guten Haare an der chinesischen Planung und Durchführung – und nicht nur das: er LOBT diese kommunistischen. Autokraten auch noch ausdrücklich für die hervorragenden Bauten, die wunderbaren Sportstätten und ihre generelle Art und Weise, solche Großveranstaltungen zu organisieren.
Sie unternimmt einen letzten Versuch, dem Gast doch noch ein paar Negativ-Aussagen über den Feind im Fernen Osten abzuringen und erkundigt sich scheinheilig nach den Auswirkungen solcher Großbauten in einer Gegend, die dünn besiedelt und schwer zugänglich ist. Es ist klar, dass sie spätestens jetzt eine knackige Kritik am Größenwahn der chinesischen Menschenrechtsverbrecher erwartet, die ohne Rücksicht auf Verluste ihrer demokratiedurstigen Bevölkerung Großbauten und -projekte in die Landschaft stellen, die hinterher keine Sau mehr nutzt.
Auch jetzt wieder enttäuscht der Fachmann auf ganzer Linie: die Sprungschanzen und das Wintersportzentrum von Xiaohaituo seien nicht nur schwer “nachhaltig” im Sinne von zukünftiger Nutzung der Sportstätten, sondern ebenso durch die Anbindung des Austragungsortes Xiaohaituo an modernste und superschnelle Züge des ohnehin vorbildlichen chinesischen Eisenbahnnetzes.
Der Interviewgast erzählt, dass er bei der ersten Besichtigung der Orte drei Stunden mit dem Auto fahren musste, um nach Xiaohaituo zu gelangen – heute dauert die Zugfahrt 45 Minuten. Außerdem seien in Zukunft massenhaft Besucher im Rahmen des nationalen Tourismus zu erwarten, so dass auch hier wieder die Nachhaltigkeit- und Ökobilanz allerbestens aussehe.
Die Moderatorin hat genug gehört: dieser Gast will einfach nicht die erwartete Verurteilung Chinas abliefern. Ziemlich unvermittelt und abrupt kommt sie zum Schluß: „Das war der Fachmann für Sprungschanzenbau Herr Sowieso, ich bedanke mich für das Gespräch!“ Sie kündigt die nächste Musik an, das Scherzo B-Dur für Orchester von Modest Mussorgsky und ich fahre feixend den Rest der Strecke zur Arbeit.