Geschichten die das Leben schrieb: WACHSTUM war sein letztes Wort, dann trugen ihn die Pfleger fort

Ich komme vormittags vom Einkaufen nach Hause. Die Frau, im Homeoffice, sitzt am Schreibtsch und lauscht – einer Ansprache? Einem Vortrag? Einer Wahlkampfrede?

Die Stimme aus dem PC klingt wie ein Berufspolitiker, der – wichtig, wichtig – irgendwelche bedeutsamen Ankündigungen an die Untertanen macht, jedenfalls an Leute, die in irgendeiner Weise von ihm bzw. seinen Beschlüssen abhängig sind.

Beim Auspacken dringen Wortfetzen aus dem Arbeitszimmer an mein Ohr:

Wir haben die Digitalisierung der Arbeitswelt hinter uns gebracht… Partnerschaft… um im Privatkundengeschäft zu wachsen, im Gewerbekundengeschäft zu wachsen… wachsen…. wachsen…. wachsen.. Nachhaltigkeit… klimaneutral zu werden, in einigen Bereichen sogar klima-positiv zu werden… wachsen… wachsen… wachsen… Wachstumsquote… Kommasieben… wachsen… nachhaltig… Erfolg… gemeinsam… großes Potential… das Wachstum…“

Ich ahne, wer hier so unglaublich aufmerksamkeits- und gleichzeitig gehorsamsheischend daherschwallt, frage aber trotzdem mal nach: „Hörst du dir hier Politikerreden an oder was ist das für ein wichtigtuerisches Gesülze?“

Die Frau macht eine abwinkende Handbewegung.

Vorstand!“, ist ihr einziger Kommentar. Der Redner ist also der Vorstandsvorsitzende ihres finanzkapitalistischen Arbeitgeberkonzerns. Sie steht auf, macht mit der Hand die Schnatternder-Schnabel-Geste und gesellt sich zu mir in die Küche.

Müsst ihr euch das anhören?“, will ich wissen.

Ja. Das ist die Strategiekonferenz. Ganz ehrlich: das ist sowas von peinlich… ich lass das nebenher laufen.“

Der schiere Irrsinn der Ansprache dieses Führungsbourgeois lässt mich einerseits froh sein, dass ich mittlerweile das Alter und die meditative Gelassenheit erreicht habe, wo ich nicht mehr fürchte, an dem Irrsinn der Welt selber irre zu werden.

Andrerseits zeigen die Floskeln und Sprechblasen dieses unternehmerischen Lieblingsbürgers eines anständig akkumulierenden Kapitalstandortes, wie hervorragend WACHSTUM sich mit einem modernen grünen Kapitalismus mit Klimaneutralität – sogar Klimapositivität! – und „Nachhaltigkeit“ vereinbaren läßt.

WAS da wächst, nämlich bestimmt nicht die Löhne und Gehälter derjenigen, die die Befehle aus den Konzernzentralen auszuführen haben, muß man überhaupt nicht wissen. Das magische Wort WACHSTUM hat zu reichen als conditio sine qua non einer Ordnung, die längst keinerlei Rechtfertigung mehr benötigt.

Der Imperialismus mag Mensch, Tier, Natur, Umwelt und den gesamten Planeten als Brennstoff der kapitalistischen Bereicherung verheizen – es ist egal, jeder hat die Gültigkeit des irrationalen Götzen WACHSTUM verinnerlicht und versteht, dass damit nicht ein Wachstum seines eigenes beschränkten finanziellen Spielraums aus der Einkommensquelle Lohnarbeit gemeint ist, sondern das Wachstum derjenigen Werte, auf die es wirklich ankommt: das in Geld gemessene, als Kapital fungierende Vermögen, das in den Umsätzen und Gewinnen der Konzerne, der Unternehmen und der Superreichen erzeugt wird.

Das zu kapieren und hinnehmen zu müssen, daran kann man schon irre werden. Oder Kommunist.