Heute bin ich nicht in der Tagesgruppe Demenz eingeteilt, höre aber im Vorübergehen einen erregten Disput zwischen Teilnehmerin Frau M., deren dementer Geist sowohl Wach- und Traumzustand wie auch Erinnerung und Aktualität schwer auseinander halten kann, und einer Pflegekraft. Ich höre, wie die Kollegin Frau M. erklärt, dass man nicht so ohne Weiteres die Religion wechseln kann und „einmal evangelisch“ gleichbedeutend mit „immer evangelisch“ sei. Mal abgesehen davon, dass das natürlich Unsinn ist, sehe ich keine Veranlassung, mich einzumischen.
Etwas später helfe ich nach der Mittagszeit in der Tagesgruppe aus und registriere den aufgewühlten emotionalen Zustand von Frau M. Sie berichtet mir sofort und ungefragt, dass mal wieder einen unglaubliche Sauerei passiert sei, die sie sich aber keinesfalls bieten lassen würde, das wäre ja noch schöner; das sollten die ja versuchen, die würden schon sehen, mit wem sie sich da anlegen usw.
Da ich das gefüllte Pillendöschen an ihrem Platz stehen sehe (die Medikamente soll sie vor dem Essen nehmen), frage ich sie, was mit den Pillen ist.
„Das ist es ja!“ legt Frau M. los, „die wollen mich hier katholisch machen! Diese Pillen sind für Katholiken, aber ich bin evangelisch und das ändere ich auch nicht!“
Ich bin ganz Ohr und äußere Zustimmung: „Na klar, Frau M., keiner erwartet, dass Sie als Protestantin katholische Pillen schlucken. Soll ich mal losgehen und die evangelischen Pillen holen?“
Frau M. ist jetzt aber auf Krawall gebürstet und entschlossen, erstmal durch Widerstand zu zeigen, dass sie sich solche Machenschaften nicht gefallen lässt: „Nee, die können mich mal. Ich nehm jetzt gar nichts mehr!“
Stattdessen geht sie eine Zigarette rauchen und ist dank ihrer Standhaftigkeit der Katholisierung entronnen. Wenn’s doch immer so einfach wäre.