Geschichten, die das Leben schrieb: Konkurrenz um Almosen

Beim Einkaufen im Düsseldorfer High-End-Stadtteil Oberkassel. Vorm Rewe sitzt heute die “rechtmäßige” Inhaberin des Bettler- und Obdachlosenzeitungsverkäufer-Platzes, eine biodeutsche Arbeiterin, die sich nach eigener Aussage in 45 Jahren Akkordarbeit die Knochen ruiniert hat. Sie sitzt auf einem sehr guten mobilen behindertengerechten Elektromobilroller, ihr Hündchen in eine Decke eingepackt im Fussbereich des Gefährtes, und verkauft die Düsseldorfer Obdachlosenzeitung “Fifty-Fifty”.

Ihre Standplatzkonkurrentin, eine etwa gleichaltrige Frau aus Tschechien, hat sich angesichts der unbestreitbaren Platzhirschrechte der E-Mobilrollerfahrerein zwanzig Meter weiter in Richtung der Marktbuden vor der St. Antonius-Kirche verzogen.

Ich begrüße die eindeutig gesundheitlich beeinträchtigte Zeitungsverkäuferin mit einem scherzhaften “Na, wieder die Konkurrenz vom angestammten Platz verscheucht?”.

Daraufhin erklärt sie mir erst mal die Sachlage, jedenfalls aus ihrer Sicht:

Die weiss genau, dass das hier mein Platz ist! Die kommt ja auch gerade aus dem Urlaub… Hab ich doch gesehen, wie die sie hier gerade abgesetzt haben… Die hat übrigens eine Eigentumswohnung in Neuss: ist kein Wunder, dass die hier bettelt und nicht in Neuss…” usw.

Das mit dem Urlaub kann ich schon mal anhand eigener Anschauung widerlegen, da die Tschechin seit Wochen und Monaten jeden Tag vorm Rewe zu sehen ist (ausser ihre deutsche Konkurrentin taucht auf). Daher erscheinen mir auch die anderen Behauptungen eher auf Gerüchten, Neid und übler Nachrede zu beruhen und ich frage die “Fifty-Fifty”-Verkäuferin, woher sie das wisse. Die Antwort bleibt aus, dafür klärt mich die Elektrorollstuhlfahrerin über ein paar Gepflogenheiten ihres Gewerbes auf, die die tschechische Konkurrentin tatsächlich nicht einhält, wie z.B. Leute ansprechen.

Grundregel der Zeitungsverkäufer ist nämlich , die Leute nicht anzusprechen. “Fifty-Fifty”-Verkäufer haben sich mit dem Blatt einfach nur hinzustellen und auf aktive Ansprache durch interessierte Käufer zu warten. Sie tragen einen Ausweis sichtbar bei sich, der sie als berechtigte Zeitungsverkäufer kennzeichnet. Dieser Ausweis, so erfahre ich von meiner Gesprächspartnern, wird natürlich gern gefälscht. Die tschechische Konkurrentin hat allerdings, im Gegensatz zu den rumänischen Wettbewerbern, die ebenfalls bei Rewe (allerdings am Hinterausgang) und gegenüber vor der Post, auf Kundschaft warten, einen echten “Fifty-Fifty”-Ausweis. “Den benutzt die aber nicht, das Zeitungsverkaufen bringt der nicht genügend ein”, informiert mich meine Gesprächspartnerin. Es folgt noch eine Tirade von Anschuldigungen und Unterstellungen über die anderen Deklassierten, vorzugsweise aus anderen EU-Staaten, die sich aus ihrer Sicht hier alle unberechtigterweise in den Konkurrenzkampf um Almosen begeben und – sofern sie jung genug sind – sowieso “lieber arbeiten gehen sollten”

Mein Einwand, dass Lohnarbeit heutzutage nicht so einfach verfügbar sei, kontert sie marktwirtschaftlich adäquat mit der finalen Bemerkung: “Wer arbeiten will, findet auch eine Arbeit!”

Dass das auf sie selbst schon altersbedingt nicht mehr zutrifft, ist mir klar, aber wie um mich auf die rechte Spur zu bringen, schickt sie noch hinterher “Ich hab mein Leben lang gearbeitet, 45 Jahre, jetzt hab ich die Knochen kaputt und kann hier ‘Fifty-Fifty’ verkaufe…”

Ich verabschiede mich und gehe meiner Wege, dabei über die Verhältnisse sinnierend, in denen selbst die Verarschten und Deklassierten sich gegenseitig nicht die Butter aufs Brot gönnen.