Geschichten aus dem Pflegeheim: Keiner da, drinnen wie draußen

Auf dem Gang vor seinem Zimmer treffe ich Herrn J.

Er sitzt in seinem Rollstuhl und versucht, das Namensschild mit seinem Vor- und Nachnamen zu lesen, das neben der Tür befestigt ist. Er winkt mich heran: „Können Sie mir mal helfen? Ich muss nachsehen, ob der zuhause ist…“

Einen kurzen Moment lang überlege ich, ob er mich jetzt veräppeln will, aber der tägliche Umgang mit dementen Menschen hat mich eins gelehrt: die Auflösung des Ich-Bewusstseins, von spirituellen Suchern im Rahmen meistens östlicher Weisheitslehren angestrebt, passiert bei Dementen oft krankheitsbedingt und ist volatil und situationsbedingt, für die Betroffenen oft verwirrend und verstörend.

Ich öffne also die Zimmertür, schaue hinein und rufe Herrn J. zu. „Keiner da!“

Diese Information nimmt er zur Kenntnis, denkt kurz nach und erklärt mir dann: „Ich war doch die letzten beiden Tage zu Hause, in der Eifel, in meinem Heimatort bei Gerolstein. Da muss ich mich ja jetzt zurückmelden, damit ich wieder eingetragen bin.“

Dieser Logik kann ich mich nicht entziehen, versuche es aber zunächst mit einer „normalen“ Antwort:

Herr J., Sie sind doch jetzt hier. Sieht ja jeder und weiß auch jeder. Damit ist alles in Ordnung!“

Das genügt Herrn J. allerdings nicht; er will sich unbedingt „zurück melden“, „registrieren“, seine Rückkehr offiziell bestätigen lassen.

Ok“, gehe ich auf ihn ein, „warten Sie bitte hier, ich gehe vor und trage Sie in das Anwesenheits-Register ein!“ Ein solches habe ich soeben erfunden, gehe den Gang hoch, verschwinde kurz im Schwesternzimmer und kehre dann zurück zu Herrn J. mit der guten Nachricht, dass er jetzt wieder offiziell eingetragen ist.

Herr J. lächelt zufrieden, lässt sich von mir in sein Zimmer schieben und wirkt rundum zufrieden, dass nun wieder alles seine Ordnung hat.