Altersarmut live

Begegnung am Düsseldorfer Hauptbahnhof: eine ältere Frau, keine „Pennerin“, eher Typ einfache Rentnerin, spricht mich und fragt, ob ich etwas Kleingeld für sie hätte.

Ich gebe ihr einen Euro und frage, warum sie hier auf dem Bahnsteig bettelt.

Sie: „Ich sag Ihnen die Wahrheit: ich bekomme 730 Euro Rente, ich zahle 500 Euro Miete. Ich will meine Wohnung nicht verlieren. Ich komme jeden Tag aus Bochum hier nach Düsseldorf, weil hier das Geld ist. Hier sind die Leute reich.“

Ich frage, wieviel sie am Tag auf diese Weise erwirtschaftet und erhalte zur Antwort:

„Also, 15 Euro so etwa…“

Ich verstehe zunächst „Fünfzig“, aber sie erklärt, dass das Betteln ein hartes Geschäft ist und dass sie sich mehr Abfuhren und dumme Kommentare anhören muss als dass sie an freigiebige Leute gerät.

Natürlich frage ich sie auch, ob sie nicht Wohngeld beantragen oder die Grundsicherung für Rentner in Anspruch nehmen kann. Sie läge mit ihrer Rente oberhalb irgendwelcher Bemessungsgrenzen, erklärt sie mir, und hätte von dieser Seite nichts zu erwarten.

Diese Rentnerin kommt also beinahe täglich von Bochum in die reiche Landeshauptstadt (per Anhalter, erzählt sie mir, „die Fahrkarte könnte ich mir gar nicht leisten“) um zu betteln, damit sie sich das Leben leisten kann –

Kapitalstandort Deutschland 2017.

Ich gebe ihr noch einen Fünfer, damit sie schneller ihr selbstgestecktes 15-Euro-Minimalziel erreicht, und sie verabschiedet sich mit einer Umarmung und dem Wunsch für ein frohes Weihnachtsfest.

Ich brauch erst mal eine Zigarette; da kommt schon der nächste Bedürftige, diesmal dem Eindruck nach ein obdachloser älterer Mann in immerhin warmer, aber schäbiger Kleidung. Er will aber kein Geld: „Haste mal ne Zigarette für mich?“

Wir rauchen zusammen unsere Zigaretten und betrachten schweigend die Menschenmassen auf dem Bahnsteig.