Geschichten, die das Leben schrieb: das vergessene Buch

Gestern erhielt ich einen Anruf der lokalen Buchhandlung, bei der die Frau und ich den Großteil unserer Literatur bestellen. Man ließ mir ausrichten, dass ich vergessen hätte, das bestellte Buch abzuholen. Ich konnte mich nicht erinnern, ein Buch bestellt zu haben und ging später neugierig zur Buchhandlung, um herauszufinden, was ich da geordert hatte. 

Im Laden händigte mir die Verkäuferin ein Exemplar der „Red Side Story“ von Jasper Fforde aus und sagte mir, dass ich es schon bezahlt hätte. Auch daran konnte ich mich nicht erinnern. Am größten aber war mein Erstaunen über die Tatsache, dass sich dieses Buch bereits in meinem Besitz befindet, und zwar seit mindestens einem halben Jahr. Ich habe es in derselben Buchhandlung vor einiger Zeit gekauft – daran immerhin kann ich mich erinnern.

Nun hatte ich also zwei Exemplare des selben Buches. Und nach wie vor fehlt in meinem Gedächtnis jegliche Erinnerung an den Bestellvorgang, der zum zweiten Buch führte und daran, dass ich dieses Buch bereits mein eigen nannte, denn offensichtlich war mir das beim erneuten Bestellen ebenfalls aus dem Gedächtnis verschwunden. Wie sehr ich mich auch bemühe, den Dingen auf den Grund zu kommen und meine Erinnerungen zu durchforsten – an der Stelle „Das Buch habe ich schon“ und Buchbestellung im Laden ist ein einziges schwarzes Loch.

Das innere Gefühl dabei ist ein merkwürdiges, denn es ist keines des Schreckens oder der Panik. Es einfach ein Nichtvorhandensein, ein völliges Ausgelöschtsein – aber so, als ob es die entsprechenden Vorgänge nie gegeben hätte. So ähnlich müssen sich meine dementen Schützlinge fühlen, die ich ja oft in vergleichbaren Situationen erlebe.

Dass sich dieses Gefühl, dieser Zustand auf die meisten oder alle Gedächtnisinhalte erstreckt, ist ein faszinierendes Gedankenexperiment.  Für mich jedenfalls, für Menschen mit Demenz wohl eher nicht. Wer weiß, woran ich in einigen Jahren sein werde, wenn das so weitergeht.

Versöhnlicher Ausgang der Geschichte: die Buchhandlung nahm das Buch gerne zurück und tauschte es gegen einen Gutschein, für den sich die Liebste einen weiteren ihrer obskuren Nordsee-Ostsee-Mord-und-Totschlag-Krimis mit Leuchttürmen auf dem Cover kaufen kann.