Eine Weile hatten die Erscheinungen uns in Ruhe gelassen und unsere Parkspaziergänge verliefen in vertrauter, fast langweiliger Ereignislosigkeit. Wir hatten uns gerade daran gewöhnt, als wir heute eines Besseren belehrt wurden – natürlich wieder im Feldmühlepark, der sich an diesem grauen Novembermorgen ruhig und leer seiner Parknatur hingab.
Hund und ich trotteten die vertrauten Wege entlang, jeder mit seinen eigenen Gedanken oder Gefühlen beschäftigt, als die bekannte, aber jedesmal wieder überraschende Verwandlung einsetzte. Ein Gefühl, als krieche ein weicher Strom flüssigen Goldes die Wirbelsäule empor und breite sich im Kopf aus, erfasste uns. Oder wenigstens mich, denn für den Hund kann ich nicht sprechen. Auch er schien aber die Veränderung im Raumzeitgefüge zu spüren.
Noch ehe diese veränderte Wahrnehmung ganz den kognitiven Apparat des Gehirnes erreicht hatten, manifestierten sich von allen Seiten Phänomene, die die Fremdartigkeit der Situation unterstrichen und noch einmal zu ihrer merkwürdigen Nicht-Zeitlichkeit beitrugen.
Ein einzelnes Raumschiff (nach wie vor halte ich die „Besucher“ für Zeitreisende, auch wenn ich mir beim besten Willen nicht zu erklären vermag, wie ich darauf komme) schwebte bewegungslos über der Freifläche zwischen den Bäumen. Blasengleich stiegen golden schimmernde, kleine Lichter aus ihm auf und verschwanden im Novemberhimmel. Sie verbreiteten eine Atmosphäre stiller Zufriedenheit rings um die schwebende Scheibe herum; man hatte das Gefühl, im Leben nichts mehr zu brauchen außer diesen emporsteigenden und sich in etwa fünfzehn oder zwanzig Meter Höhe auflösenden Lichtpünktchen zuzusehen. Dabei wirkten sie auf ergreifende Weise lebendig, so als tanzten sie in ihrem Aufstieg einen Reigen, der eine Botschaft beinhaltete oder vermitteln sollte.
Der Gedanke, welche Botschaft das sein könnte, unterbrach die hypnotische Versenkung, in die mich der Anblick versetzt hatte. Gleichzeitig hörte ich ein mechanisches Geräusch wie von metallischen Schritten auf weichem Untergrund und erblickte eine Art Roboter, der ebenfalls so etwas wie ein kommunikatives Bewegungsmuster zeigte, indem er mit seinen drei Beinen zierliche, tänzelnde Schrittfolgen ausführte. Wieder durchdrang mich das starke Empfinden, dass mir eine Botschaft vermittelt werden sollte, doch ich kam beim besten Willen nicht darauf, welche. Ja, je mehr ich darüber nachgrübelte, in umso weitere Fernen schien eine Antwort zu rücken.
Der tänzelnde Roboter – wenn es denn einer war – richtete aus einem seiner „Augen“ (so nannte ich innerlich die scheinwerferartigen Kugeln, die mit metallenen Armen an seiner ebenfalls kugeligen Gestalt befestigt waren) einen Energiestrahl auf mich. Der bläuliche Strahl war von der Art, die den Geist in das namenlose Entzücken versetzen, das sich angesichts tiefster Erkenntnisse oder höchster Offenbarungen einstellt – nur war mir ja gar nichts offenbart worden, und an Einsicht gebrach es mir eher, denn noch immer war ich mit der Frage beschäftigt, ob in dem Ablauf der Geschehnisse, besonders aber in dem Tanz der Lichtpünktchen und des Roboters, eine Botschaft enthalten war. Und wenn ja, welche?
Inzwischen allerdings beanspruchte ein neues Phänomen meine Aufmerksamkeit: die Luft um uns herum, im gesamten Park und gefühlt ausgedehnt bis in die Unendlichkeit des grenzenlosen Universums, schien von unsichtbaren und doch wahrnehmbaren Vibrationen erfüllt. Es handelte sich meinem Eindruck nach um Schwingungen, die in einem pulsierenden Rhythmus nicht nur als eine natürliche Eigenschaft aller Dinge aus diesen zu kommen, sondern die Dinge selbst zu SEIN und die gesamte Existenz zu durchziehen schienen . Immer wieder bildeten sich andere, neue Muster, überlagerten sich, verschwanden wieder und breiteten sich wie eine unendlich abwechslungsreiche, aber gleichmäßige Melodie überall in und außerhalb aller sichtbaren und unsichtbaren Erscheinungen aus.
War dies etwa die Botschaft des „Tanzes“, den mir die Lichtpünktchen und der Roboter vortanzten? Dass alles ein endloser Reigen pulsierender Energie sei, die sich selbst genügt und gleichzeitig immer dasselbe und in jedem Moment anders ist? Aber was wäre daran denn so besonders? Was sollte eine solche Botschaft bewirken? Ich wurde immer noch nicht schlau und sprach laut – mehr zu dem Hund und mir selbst als zu irgendjemanden, denn das der Roboter mich verstehen würde, glaubte ich nicht – die Worte aus: „Ja und? Was zum Teufel wollt ihr mir damit sagen??“
Daraufhin machte es direkt hinter mir „Quak!“, und als ich mich umdrehte, stand ein Frosch in gelbem Friesennerz und Südwester-Hut vor mir und schaute mich aus intelligenten Augen und etwas herausfordernd an. Diese Wendung der Dinge war jetzt allerdings so absurd und so unerwartet, dass ich grinsen musste. „Hast du eben ‚Quak‘ gesagt?“, fragte ich den Frosch, nicht sicher, ob ich mit einer Halluzination oder einem realen Phänomen redete (aber was war schon „real“ in diesem extratemporalen mentalen Ausnahmezustand, in den nicht nur ich, sondern der ganze Park versetzt worden war?).
Der Frosch antwortete nicht, deutete aber mit seinen kurzen Ärmchen auf die Lichtpunkte und die wellenförmigen pulsierenden Schwingungen, aus denen die Luft, das Universum und alles darin zu bestehen schienen – und war verschwunden. Und mit ihm das ganze Spektakel, das mich und den Hund eine nicht zu definierende Zeitspanne lang (wenn man in diesem Kontext überhaupt von Zeit reden kann und will) umgeben hatte.
Der Hund hob das Bein und pisste dorthin, wo eben noch der Frosch (oder was immer für ein Wesen es war) gestanden hatte. Alles war wieder normal.