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Die Bourgeois-Verwandtschaft meiner Liebsten hat mich vor Jahr und Tag wegen unbotmäßiger Äußerungen mit Villenverbot belegt – ein Bannfluch, der mir nur recht kam, da ich mit der elitären Oberschichtsmischpoke nichts zu tun haben wollte und will. Obwohl man mich offiziell rehabilitiert hat und wieder zu Zusammenkünften einlädt, ist mir nichts gelegen am Kontakt mit Leuten, die ihren Klassendünkel und ihre erfolgszertifizierte marktwirtschaftliche Selbstgerechtigkeit wie ein Banner vor sich hertragen.
So geht die Frau also stets alleine zu den allfälligen Familientreffen. Für mich ein wunderbarer Zustand, der mir einerseits den Umgang mit der bessergestellten angeheirateten Verwandtschaft erspart, andrerseits mir und dem Hund ein paar Stunden unserer gemeinsamen Lieblingsbeschäftigung, der Trend-Sportart „Advanced Extreme Chillaxing“, beschert.
Wenn die Frau zurückkehrt, erfahre ich meistens die neuesten Nachrichten aus der Welt der akademisch-unternehmerischen Bourgeoisie bzw. die privaten Nöte und Eskapaden der Schwägerin, ihres Mediziner-Gatten und deren Kindern, den Nichten und Neffen meiner Liebsten.
Diesmal weiß sie zu berichten, dass die beiden erwachsene Nichten, beide Anfang bis Mitte Zwanzig, beide Medizinerinnen, sich jetzt einer Botox-Kur unterziehen. Man müsse dies, so wurde ihr versichert, auf jeden Fall „jetzt schon machen“ und nicht erst im Alter damit beginnen. Dann wäre es zu spät und sowieso nichts mehr zu retten. Obendrein lässt sich die ältere der beiden Nichten, das Patenkind meiner Frau, Hyaloron in die Nase spritzen. Warum, wusste sie nicht zu berichten. Vielleicht gefällt der beileibe nicht häßlichen Mittzwanzigerin ihre Nase nicht, vielleicht hat sie ähnliche Stimulierungsgewohnheiten wie Selenskij oder Hunter Biden und will auf diese Weise für Ausgleich in der nasalen Flora sorgen.
Ich frage nach ein paar Sekunden der Sprachlosigkeit, in denen ich das Gehörte einsinken lasse, warum zwei junge Frauen so etwas machen. Irgendwo hatte ich auch gehört oder gelesen, dass Botox-Behandlungen alle paar Monate erneuert werden müssten (was im Falle der beiden Nichten jedenfalls schon mal NICHT am Geld scheitern würde). Die Erklärung meiner Liebsten ist so schlicht wie einleuchtend: „Die sind eben so! Die sind einfach anders!“
Junge Menschen, die in der Wohlstandsblase einer begüterten Klasse aufwachsen, die keine finanziellen Sorgen kennt; Twens, die sich höchstens überlegen, ob drei Wochen Bali oder ein Luxuswochenende in New York attraktiver für die eigene soziale Performance und die Karriereplanung ist; Menschen, die durch familiäre Herkunft und Klassenlage von Anfang an Zugang zu Geld, Bildung, Reisen usw. hatten und durch die elterlichen Verbindungen zugleich in das politische, ökonomische und soziale Netzwerk der Entscheider dieser Gesellschaft eingebunden sind – diese jungen Menschen haben keine Veranlassung, sich über die Nöte und den Überlebenskampf der weniger privilegierten Mehrheit Gedanken zu machen. Ihre Welt ist die des Zugriffs auf die Reichtumsquellen, die ein angenehmes Leben in relativem Luxus und im Überfluß ermöglichen.
In dieser Welt kommt es darauf an, die entsprechende Charaktermaske zur Schau zu tragen, und dazu gehört heutzutage scheinbar eine möglichst makellose äußere Erscheinung. Die Identifikation, die jedem bürgerlichen Verstand automatisch einleuchtet, ist die mit den Kräften und Mechanismen des ERHALTES all dieser schönen Annehmlichkeiten und des abgesicherten Komforts, also ein rein äußerliche. da liegt es nahe, sich bzw. den eigenen Körper an das gültige Schönheitsideal anzupassen: „Die sind eben so!“