Geschichten die das Leben schrieb: in vino veritas, in heißem Tee weniger
Nach einer kurzen grippalen Infektion geht es mir am dritten Tag wieder bestens und ich hole auf Bitten der Frau Wein aus dem Keller mit den Atomkriegsvorräten (wir sind der Meinung, dass wir an der nuklearen Katastrophe nah genug dran sind, um ohne Bedenken die Vorräte zu plündern). Gemeinsam leeren wir im Laufe des Abends zwei der dickwandigen Flaschen mit dem Etikett von Paul Mas, das Luxus, önologische Qualität und französisches Savoir-Vivre signalisiert.
In bester Stimmung und müde vom Wein gehen wir gegen Mitternacht zu Bett und schlafen schnell ein. Keine zwei Stunden später bin ich mit Kopf- und Gliederschmerzen wach, zudem meldet sich ein fieses Kratzen im Hals und eine generelle infektmäßige Kaputtheit zurück. Ich verfluche meinen leichtsinnigen Alkoholkonsum und verbringe die nächsten paar Stunden in der Küche, mit heißem Tee, Gaben von Zink und Vitamin C und allerlei anderen Mittelchen, die mir in die Hände fallen. Gegen 5:30 bin ich endlich müde und erschöpft genug, um erneut ins Bett zu kriechen und einzuschlafen.
Am nächsten Morgen berichte ich der Liebsten von meinen nächtlichen Abenteuern und schwöre, die Finger vom Rebensaft zu lassen, solange ich gesundheitlich angeschlagen bin. Damit stoße ich auf vollstes Verständnis meiner opferbereiten Gattin. „Wir machen heute alkoholfreien Tag! Und morgen auch! Wir lassen das ganz sein mit dem Alkohol, ich muss sowieso abnehmen… Nie wieder Alkohol!“ ist von ihr zu hören.
Ich muss lachen, denn diese Sprüche hab ich von ihr schon oft gehört. „Lach nicht! Ich meine es ernst!“ sagt sie. „Das glaubst du wohl nicht – aber ich hab die Disziplin dazu!“
Dazu sage ich lieber gar nichts, obwohl noch Einiges in Richtung Abnehmen, Gesundheit, Geld sparen und Kosten minimieren nachkommt.
Den Tag über verbringe ich in halbkrankem Zustand, obwohl ich mich zwinge, mit dem Hund raus und sogar einkaufen zu gehen. Gegen Abend bin ich etwas besser dran, aber spürbar angeschlagen und noch nicht wieder fit. Die letzte Runde mit dem Hund muss also die Frau gehen.
Als sie wiederkommt, hält sie mit größter Selbstverständlichkeit eine Flasche ausgerechnet des teuersten Rotweins aus dem Kellervorrat in der Hand. Sie strahlt mich an, denn sie weiß schon, was jetzt kommt. „Ach nee. War wieder alles nur Ankündigung und heiße Luft heute morgen? Nie wieder Alkohol? Alkoholfreier Tag?“ kann ich mir nicht verkneifen zu kommentieren.
Das läßt meine undogmatisch flexible Gattin völlig unberührt. „Du kennst mich doch!“ grinst sie mich an. „Du solltest auch ein Gläschen trinken, gerade mit deiner Erkältung – da schläfst du besser!“
„Also, ich bleib‘ dabei“, antworte ich. „Kein Glas Wein heute. Auf mich musst du verzichten.“
„Macht nichts, die Flasche krieg‘ ich auch allein leer“, flötet meine drogenerfahrene Liebste und rauscht ab in die Küche, um sich schon mal ein Glas des edlen „Il Pumo Doro“, ein Primitivo aus Salento, zu genehmigen. Ich sitze auf dem Bett mit meinem Becher heißer Zink + Vitamin C und tröste mich, dass das Getränk immerhin eine ähnliche Farbe wie der Wein hat.