Geschichten die das Leben schrieb: Am Brotstand auf dem Wochenmarkt

Der dienstfreie Tag ist heute kein faules Rumgammeln, Chillen und am iPad daddeln, sondern muss nach Ansicht der Frau für allerlei nützliche Tätigkeiten rund um den Haushalt genutzt werden. Durch MICH, versteht sich.

Als erfahrener Praktiker der Lebensführung weiss ich, dass Widerrede so zwecklos ist wie das Aufbegehren gegen eine Assimilierung durch die Borg und füge mich in mein Schicksal.

Ein professioneller Reinigungseinsatz im Treppenhaus mit kirschbedufteten Bodenwischtüchern soll als erstes meinen guten Willen demonstrieren und wird – zwar nicht anerkennend, aber immerhin ohne Optimierungsvorschläge – akzeptiert.

Als nächstes ist ein Außeneinsatz zur Besorgung diverser Lebensmittel fällig. Nach dem Supermarkt um die Ecke wandle ich zum donnerstäglichen Wochenmarkt und stelle mich in die kurze Schlange vorm Bio-Bäcker, den ich schon wegen der wohl extra für mich angefertigten „Schlaumeier“-Brötchen schätze. Ich wähle irgendein Brot aus, als mein Blick auf eine verlockende Verheißung in der Auslage fällt: ein flaches süßes Teil, nicht unähnlich einem Hamburger Franzbrötchen, aber rechteckig und deutlich größer leuchtet mir entgegen und lässt schon beim Hinschauen erkennen, dass es sich um nichts anderes als ein leckeres Blätterteig-Marzipan-Teilchen in Übergröße handelt!

„Was ist denn das da?“ frage ich die Verkäuferin, da kein Preisschild mit einer Bezeichnung zu sehen ist, und deute auf das Teilchen. „Das ist unser Super-Striezel!” verkündet sie stolz wie ein Mutter über ihr Neugeborenes, „Das ist Blätterteig mit Marzipan, Schokolade und Rosinen – wirklich SEHR LECKER!“

„Nehme ich!“, antworte ich, während mir schon das Wasser im Munde zusammenläuft und die Bäckersfrau das Preisschild umdreht, so dass ich den Preis lesen kann. Mir stockt der Atem. „Entschuldigung“, sage ich, „ich muss was an den Augen haben; ich meine, da vorne eine SECHS gesehen zu haben…?“ Tatsächlich steht 6,40 EURO auf dem Etikett.

Die Verkäuferin ist aber um keine Antwort verlegen: „Ja, was meinen Sie denn, wie teuer die Zutaten mittlerweile sind?! Marzipan, Teig, Energie.. das kostet alles richtig viel mehr als früher!“

„Ja, was meinen SIE denn, wie wenig die Löhne mit der Preissteigerung mithalten?“ versuche ich eine schwache Gegenrede, aber auch damit blitze ich bei ihr ab: „Ja, das ist ein anderes Thema…“ gibt sie realistisch zu bedenken. Inzwischen bin ich aber schon auf die Entfernung rettungslos der Aussicht verfallen, gleich ein köstliches süßes Marzipan-Teil zu essen und stoße hervor: „Scheiss drauf, dann geben Sie’s mir halt, in Gottes Namen…“



„In Gottes Namen geben Ihnen GAR NICHTS!“, ist die überraschende Antwort. „Aus DEM Kinderschänder-Verein trete ich aus, ich hab morgen Termin. Die kriegen keinen Pfennig mehr von mir!“ Erfreut über die kirchenfeindliche Einstellung meiner Gesprächspartnerin will ich noch ein bißchen Öl ins Feuer gießen: „Ach, Sie sind bei den Katholiken? Ja, die haben derzeit echt schlechte Karten…“

„Schlechte Karten?“ empört sich die Bäckerin, „Das sind alles Perverse und Lügner, das ist wirklich das Letzte, was die sich leisten…“

Jetzt mischt sich eine wartende Kundin ein: „Aber wirklich! Richtig widerlich! Zum Glück bin ich evangelisch…“ Damit kann sie aber bei der zu allem entschlossenen Bäckerin nicht landen. „Die sind auch nicht besser!!“ ruft sie. „Ich hab´s dicke. Ich brauche keinen Gott um meine Brötchen zu backen, die können mir alle mal gestohlen bleiben!“

Die entstehende religionskritische Diskussion der beiden, in die sich noch weitere Kunden einmischen (alle mit dem Tenor „Kirche ist scheisse und jetzt reicht´s wirklich mit Lüge, Heuchelei und Missbrauch“) verfolge ich im Weggehen noch mit halbem Ohr und freue mich auf meinen Super-Striezel. Zu recht, denn – wie sich herausstellt – ist das leckere Stück tatsächlich jeden Cent der 6,40 EURO wert.