Geschichten aus dem Pflegeheim: Küchendienst und Kommunismusverdacht!

Nach 3,5 Stunden Schlaf am Neujahrsmorgen um 7:30 im Pflegeheim antreten zu dürfen, um den Küchendienst für ca. 20 Bewohner zu machen – ein würdiger Start in ein weiteres Jahr der Lohnarbeit.

Die WBL sitzt mit Bandscheibenvorfall fitgespritzt im Büro und koordiniert die immer weniger werdenden verfügbaren Pflege-, Betreuungs- und Hauswirtschaftskräfte.

Der einzige Kollege vom Fach (auch er jedoch nur Pflegehelfer), der neben den zwei Azubis heute für die Bewohner da ist, flucht lautstark vor sich hin über den Diakonievorstand, dem es „nur ums Geld geht“ (er macht das Geldzähl-Zeichen mit den Fingern), weshalb die Personalsituation ist, wie sie ist.

Ein relativ neuer FSJler ist, wie ich von ihm erfahre, zur Einzelbetreuung eingeteilt, während ich – als Kunstgeragoge im Sozialen Dienst – mich in die Küche stellen soll. Mir fällt erstmal die Kraft aus dem Gesicht, als ich das höre.

Es stellt sich aber heraus, dass der FSJler ursprünglich den Küchenmenschen des anderen Wohnbereiches ersetzen sollte; dieser ist aber heute wieder erschienen und so kann ich den FSJ-Kollegen sofort dienstverpflichten, mir zur Hand zu gehen.

Auf diese Weise kann ich zwischen den Essenszeiten mein Vormittagsprogramm anbieten, den einrichtungsweit populären Frühschoppen, in welchem ich im Wesentlichen die Rolle des gutmütigen Kneipenwirtes zu verkörpern habe

Nach einer knappen Stunde fröhlichen Palavers und Biertrinkens betreten zwei neue Bewohnerinnen den Raum, angelockt durch mein großes Hinweisplakat vor der Tür und die offenkundig gut gelaunte Gesellschaft drinnen. Die beiden geraten mitten in die feucht-fröhliche Debatte, was es am Jahreswechsel überhaupt zu feiern gäbe – ich ergreife die Gelegenheit, um der Runde meinen gereimten Beitrag zum Thema vorzutragen:

„Hurra Hurra, ein neues Jahr!

Da alte, das schon scheisse war,

weicht einem neuen, das gewiß

so scheisse wie das letzte ist“

Über sowas können Demente wie Orientierte lachen, alle freuen sich über die frechen Verse, nur die demente Frau S. sagt „Scheisse sagt man nicht!“, muß aber lachen, als ich ihr antworte „Jetzt haben Sie’s aber selber gesagt, oder?

Die Frühschoppenbesucher (alle 14 Tage mache ich das) sind immer mehr oder weniger dieselben Leute und eine verschworene kleine Gemeinschaft – unsere beiden Neuzugänge wirken leicht indigniert, es sind KZP(Kurzzeitpflege)-Gäste, beide orientiert, bildungsbürgerlich erkennbar über dem Durchschnitt. Sie erheben sich, bedanken sich artig und verlassen unsere zotige Kneipe.

Es ist her ohnehin schon wieder kurz nach Elf und ich muss die Leute anspornen, jetzt zügig die Sache zu beenden, weil ich zurück in die Küche muß, um das Mittagessen vorzubereiten.

Herr T., unser (von mir ernannter) „Präsident“ hatte mir zu Beginn der Runde ein Set verschiedenere Weine in 0,5l-Flachen überreicht („Weinreise Deutschland“) und wirkt ohnehin erfreut, dass ich nach einer Woche Urlaub wieder auf der Bildfläche erschienen bin. Als ich abschließend resümiere, das wir all unsere von der Frühschoppen-Tradition vorgeschriebenen Themen gehakt haben (Fußball, Politik, Krieg/Flucht/Vertreibung und Essen), bemerkt er: „Das nächste Mal sprechen wir mal über Kapitalismus/Kommunismus!“

Mit einem anzüglichen Seitenblick auf mich ergänzt er: „Da hat uns der Herr Strathus bestimmt einiges zu erzählen… ich kenn’ doch ihre politischen Ansichten!“ Er hört sich aber nicht an wie ein Gesinnungsinquisitor, sondern eher wie ein diskutierfreudiger Demokrat, der dem kommunismusverdächtigen Sozialer-Dienst-Mitarbeiter mal auf den Zahn fühlen möchte.

„Können wir gerne machen, Herr T.“, antworte ich. „ich bringe ihnen vorab schon mal ein bißchen Marx- und sonstige Lektüre mit, damit wir wissen, über was wir reden und Sie sich ein bißchen ins Thema einlesen können!“

Ich weiß natürlich, dass er aufgrund einer diabetesbedingten Sehschwäche kaum noch lesen kann, aber wir flachsen uns gerne mal ein bißchen gegenseitig an. Immerhin scheint er neugierig zu sein, und sei es nur, um „den Kommunisten“ zu bekehren oder um wie bei Werner Höfers Frühschoppen ein bißchen über Politik zu streiten.

Für ein Wochenende mit Küchendienst ist dieser Samstag meiner Einschätzung nach ganz ordentlich gelaufen.