In stationären Pflegeeinrichtungen gibt es die drei „Säulen“ Pflege, Soziale Betreuung und Hauswirtschaft. Wie es in der Sozialen Betreuung aussieht, egal ob als §53c-Betreuungskraft, Sozialarbeiter oder Kunstgeragoge, davon vermittelt dieser Chat-Protokoll ein realistisches Bild.
Der Austausch fand statt in einer internen Telegram-Gruppe von Kunstgeragogen. Die Veröffentlichung erfolgt mit Genehmigung der Beteiligten. Alle drei arbeiten in stationären Pflegeeinrichtungen. Einer davon bin ich; man wird erraten, welcher.
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Leute, ich muss mich mal wieder auskotzen…
Morgen habe ich eigentlich Dienst von 14-17 Uhr. Das ist ein guter Dienst, da Einzelbetreuung.. Da hat man Zeit für die Bewohner.
Nun bekam ich einen Anruf meiner Chefin, aufgrund von Urlaub und mehrern Krankmeldungen fehlen morgen Präsenzkräfte, also Hauswirtschaft und ich soll bitte einspringen. Von 7 bis 13.00 das heißt, Frühstück machen für alle, beim Ankleiden helfen, Betten frisch beziehen und Waschen, wenn sie eingenässt wurden, Mittagessen kochen (Sonntags gibt es immer besondere Braten mit Beilagen)…. 🥴 Jetzt hatte ich am Dienstag, Donnerstag und morgen den verhassten Präsenzdienst, der mich körperlich und seelisch komplett auffrisst 😒
Ich kann in der Nacht davor kaum bzw nur ganz schlecht schlafen, laufe dann beim Dienst extrem Vollgas – fast jedesmal, seit Februar, hatte ich dann einen kurzen Kreislaufzusammenbruch, weil ich so angespannt und nervös bin – und nach dem Dienst habe ich nur noch Schmerzen, dass ich es kaum noch aushalte und nachts kann ich dann jedesmal wieder nicht schlafen, weil ich wie ein kleines Kind dann übermüdet bin. Ich brauche nach diesen Küchendiensten jedesmal 2 bis 3 Tage bis ich wieder “rund” laufe. 😵
Ich weiß, es ist mein persönliches Problem damit, es ist ja nix schlimmes, aber für mich ist es schlimm, weil ich mir so einen Stress mache.
Wenn ich Essen kochen wollte, wäre ich Köchin geworden.
Wenn ich Reinigungskraft hätte werden wollen, wäre ich Putzfrau geworden.
Wenn ich jemandem den Po abwischen wollte, wäre ich Pflegekraft geworden.
Ich bin eine sehr gute Betreuerin.
Ich mache auch die anderen Arbeiten sehr gut, aber zu welchem Preis 😒
Ich will das nicht tun.
Das Haus ist aber toll und die Leute nett und jetzt hab ich mich auch schon an alles gewöhnt und kenne mich aus. Ich hasse Veränderungen.
Ich will nicht wieder wechseln. Aber so ists halt auch Mist 🙄
Diese Präsenzdienste kann ich auch nicht ablehnen, die sind im Hauskonzept drin. Eigentlich sind diese Dienste von 10.30 bis 16.00 wo man dann mit den Bwohnern gemeinsam die anfallende Hauswirtschaft macht, wie kochen, Backen, Wäsche machen. Morgen aber bin ich rein als Hauswirtschafterin tätig.
Künstlerisch arbeite ich in diesem Haus gar nicht. Nicht weil ich nicht darf, sondern weil ich komplett blockiert bin, den Kopf nicht frei habe, weil ich versuche im Alltag zu überleben. Aber auch meine eigene künstlerisch en Arbeiten leiden sehr und Kurse bzw kunstgeragogisches Arbeiten bleibt eh auf der Strecke durch Schichtarbeit und zu kurzfristigen Planungen
😒
Sorry, dass ich mich mal wieder hier auskotze….
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Liebe B.,
volles Mitgefühl von meiner Seite. Bin auch grad wieder unterwegs zum Wochenend-Küchendienst (Frühstück und Mittagessen), dazwischen muss ich noch ein Angebot unterbringen.
Die Überlastung ist so groß, dass man nur noch für die scheisse bezahlte Lohnarbeit lebt und die Zeit in der man nicht arbeiten gehen muss, nur für die Regeneration braucht.
Ich kann gar nicht sagen wie mich dieser Kapitalismus ankotzt.
Ich hab keine Kraft mehr das noch zweieinhalb Jahre durchzuhalten und versuche jetzt, früher aus dem Lohnsklavendasein rauszukommen – das gibt dann zwar Abzüge, aber bei meiner Armutsrente ist das auch schon egal…
Trotzdem KOPF HOCH und unsere Schützlinge nichts davon spüren lassen
LEBBE GEHD WEIDER (Dragoslav Stepanovic)
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Liebe B., lieber K,,
auch ich bin am Limit. Und das schon eine Weile. Ich weiß nicht, was ich stattdessen machen will… Ich kann mich oft auf Arbeit selbst nicht leiden, weil ich so gefrustet und schnell gereizt bin. Ich versuche die Arbeit zu schaffen und dann kommt etwas dazwischen. Und ich weiß nicht, wo mir der Kopf steht.
Wir haben mehrere Bewohner, die sehr mobil sind: in anderen Betten liegen, aus dem Rollstuhl aufstehen, sich mit Stühlen fortbewegen und nach draußen verschwinden, wenn der Eingang offen ist. Dazwischen dann Personen, die nicht auf der Etage klingeln, auf die sie wollen, sondern zuerst winken, wenn sie mich sehen, dann an die Scheibe klopfen, wenn ich vorbeigehe… Wir sind immer Rezeption, wenn diese nicht besetzt ist…
Außerdem gibt es bei uns im Haus aufgrund von Kostenersparnissen eine Umstrukturierung und die Pflege muß wieder mehr hauswirtschaftliche Tätigkeiten übernehmen, war früher schon Mal so und kenne ich auch aus *****.
Am Mittwoch geht es los und die Pflegekräfte kotzen natürlich jetzt schon, weil sie generell unterbesetzt sind. Wir Betreuungskräfte unterstützen im Speisesaal, indem wir die Bewohner betreuen, Getränke einschenken etc. Für uns ist das freiwillig. Problem ist, das Urlaubszeit ist und nicht alle Kollegen da sind. Wir sind alle sehr gespannt…
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Nehmt nur mal diese drei Berichte von B., J. und mir.
Das ist die Situation in den Pflegeheimen, und mit jeder neuen Sparrunde und „Reform“ wird’s noch ein bißchen unerträglicher.
Selbst in konfessionellen Einrichtungen diktiert nicht der liebe Gott, sondern der allgegenwärtige Gott des Kapitalismus den Alltag: das Geld. Es muß „kosteneffizient gewirtschaftet“ werden, also wird gespart; nämlich vorrangig an den Personalkosten und z.b. an der Verpflegung für die Bewohner (in unserer Einrichtung unter 5,00 Euro am Tag pro Bewohner).
„Kann man nichts machen“, hört man von Kollegen und Chefs.
„Ist eben so“, sagen alle lebensklugen Zeitgenossen, die sich ganz realistisch mit den Sachzwängen der Marktwirtschaft auskennen.
JA, ist wirklich so – solange eine Mehrheit glaubt, dass kein anderes Leben möglich ist als eins, in dem die Mehrheit Dienst am Reichtum der Minderheit zu leisten hat.