Auf dem Heimweg von der letzten Hunderunde. Die Frau und ich sprechen über ihre Verwandtschaft, die zu großen Teilen aus begüterten Bourgeois besteht.
Neffen und Nichten meiner Frau blicken einer privilegierten Zukunft entgegen, in der sie als phänotypische Bourgeoiszöglinge bereits jetzt durch entsprechende Ausbildung, Förderung und Studiengänge auf die anspruchsvolle Aufgabe vorbereitet werden, später einmal nicht nur den Lebensstandard, sondern vor allem die Lebenseinstellung ihrer Eltern aufrecht zu halten und fortzuführen.
Es handelt sich dabei um Jugendliche und junge Erwachsene, die noch nie im Leben irgendeine Not oder Knappheit kannten; deren Sorgen vornehmlich darin bestehen, wo man Urlaub macht oder ob man sich die Louis-Vuitton-Tasche nicht doch zugunsten eines Chanel-Kleidchens verkneift und ob es nicht langsam Zeit ist, sich über die Vermehrung des in der Familie ohnehin vorhandenen Vermögens Gedanken zu machen.
„Das sind eben typische Vertreter ihr Klasse“, sinniere ich. „Die sind mit ihrem Lebensstil und ihrem Klassenbewusstsein groß geworden und kennen nichts anderes…“
„Die werden sich noch umgucken“, wirft die Frau ein.
Ich bin überrascht. Treten da etwa bislang unentdeckte sozialrevolutionäre Züge bei meiner Liebsten zutage? Ganz so meinte sie’s aber nicht:
„Na, mit der Klimaveränderung und der Kriegsgefahr… weiß doch keiner, ob die überhaupt noch Zeit haben, ihr Geld auszugeben. Geld werden die natürlich immer haben. Das ist alles schon eingetütet und in die Wege geleitet. Der P. (Jüngster Sohn ihrer Schwester) setzt sich ins gemachte Nest (die private Augenklinik seines Vaters), die beiden Mädchen studieren ja schon Medizin und werden niemals Mangel leiden, wenn sie sich nicht völlig dämlich anstellen…“
„Oder wenn sich die Mehrheit der Leute besinnt und beschließt, die Zustände zu beenden, in denen die Armut der einen den Reichtum der anderen bedingt…“, werfe ich ein.
Meine Herzdame ist aber noch am Kontemplieren: „Nimm mich zum Beispiel. Ich hab keine reichen Eltern, ich hab eine Lehre gemacht und dann studiert und hab’s trotzdem zu nichts gebracht, also kein Eigentum, kein Haus, kein Vermögen oder sowas…. Die haben von vornherein alles und müssen sich nie Gedanken über Geld machen…“
„Tja, du bist vielleicht einkommensmäßig in der unteren Mittelschicht angesiedelt, aber eben immer noch lohnabhängig, also auf Gedeih und Verderb von der Kalkulation anderer mit deiner Arbeitskraft abhängig“, ergänze ich. Ich komme langsam in Fahrt:
„Das Üble an dieser Gesellschaft ist ja, dass alle wissen, was für ein Elend ihrem bißchen Erfolg zugrunde liegt. Jeder weiß , dass nur ein paar Wenige auf Kosten der Mehrheit alles besitzen und sich bereichern. Aber selbst die Ärmsten wollen lieber zu den paar Reichen gehören, als dass sie sich dazu entschließen, ein anständiges Leben für ALLE herzustellen…“
„Ja“, ergänzt die Frau, „wie die Fettaugen auf der Suppe.“
„Genau. Die Suppe stinkt und ist ziemlich unbekömmlich, aber Demokratie-Insassen sind lieber Fettaugen auf einer fauligen Suppe als das sie die Brühe auskippen und eine nahrhafte Suppe kochen, von der alle satt werden…“
Kurzes Schweigen, ehe die Liebste zum Himmel schaut und sagt: „Also, ich hab heute Lust auf ein Glas Rotwein; was ist mit dir..?“
Angesichts dieses klaren Signals, dass die sozialpolitischen und allgemein ökonomischen Erörterungen jetzt beendet sind, nicke ich zustimmend und bestätige, dass auch ich ein Glas Rotwein durchaus zu schätzen wisse.
Auf den Klassenkampf!