„Die zunächst von Trotzki und später von Chruschtschow gelieferte karikaturistische Darstellung Stalins genießt im Ganzen keinen guten Ruf mehr.
Aus den Forschungen bedeutender Historiker, die nicht der Nachsicht mit dem “Personenkult” verdächtigt werden können, geht heute das Bild Stalins als eines Politikers hervor, der aufsteigt und sich an der Spitze der UdSSR durchsetzt, weil er “all seine Mitstreiter um ein Vielfaches überragte“, was die Einsicht in das Funktionieren des sowjetischen Systems betraf; ein Führer von „außergewöhnlichen politischem Talent“ und „enorm begabt“;
ein Staatsmann, der die russische Nation vor der Dezimierung und Versklavung rettete, zu der das Dritte Reich sie bestimmt hatte, und das nicht nur dank seiner umsichtigen militärischen Strategie, sondern auch dank seiner meisterhaften „Kriegsreden“, manchmal wirkliche „Bravourstücke“, die es in tragischen und entscheidenden Augenblicken fertig brachten, den nationalen Widerstand anzuspornen; eine Persönlichkeit, der es auch auf theoretischer Ebene nicht an Begabung fehlte, wie es unter anderem der „Scharfsinn“, mit der er die nationale Frage in der Abhandlung von 1913 behandelt und die „positive Wirkung“ seines „Beitrags“ über die Linguistik bewiesen.
Gewiss wird gleichzeitig und mit Recht betont, dass diese Anerkennung kein freisprechendes moralisches Urteil sei, doch es stellt sich heraus, dass die *Geheimrede* vollkommen unzuverlässig ist. Es gibt darin kein Detail, das heute nicht beanstandet würde. Man denke an den Bericht über den angeblichen psychologischen Zusammenbruch Stalins in den ersten Tagen nach dem Beginn des Unternehmens Barbarossa: nach der schon zitierten Analyse zweier russischer Historiker (eindeutig antistalinistischer Orientierung) handelt es sich um eine „Episode“, die „vollkommen erfunden“ sei und die – so hakt ein französischer Historiker nach – in vollem Widerspruch zu den Zeugnissen und Dokumenten stehe, die nach und nach auftauchen.
Auch was die so genannte Verschwörung der Ärzte betrifft: „Chruschtschow verdrehte grob und vorsätzlich die Tatsachen“.
Es stimmt, „mit der Wahrheit hat er sich nicht weniger Freiheiten heraus genommen“. Die gemachte Beobachtung hinsichtlich der „Kriegsführung Stalins“ hat allgemeinen Wert: „Um die Wahrheit zu begreifen, muß man sowohl über die westlichen Polemiken des Kalten Krieges als auch über die Umstände der Entstalinisierung in der Sowjetunion hinaus blicken“.“
(Domenico Losurdo: Stalin – Geschichte und Kritik einer schwarzen Legende. Kapitel 7: Das Stalinbild zwischen Geschichte und Mythologie)