Geschichten aus dem Pflegeheim: Ost-/West-Vergleich Arbeitsumfeld Pflegeheim und allgemein

Inzwischen hab ich mehr Jahre in der Pflegeeinrichtung im Westen gearbeitet als in derjenigen im Osten, in der ich bis zu meinem Umzug von Weimar nach Düsseldorf beschäftigt war. Beides Senioren- und Pflegeheime der Diakonie, so dass ich mir glaube ich einen Vergleich erlauben kann.

Einen Vergleich nicht des diakonischen Arbeitgebers (das gibt und nimmt sich nichts), sondern des Arbeitsumfeldes, der Mentalität der Beschäftigten. Von den Bewohnern ganz zu schweigen, denn abgesehen davon, das sie alle alt bis hochbetagt sind (sonst wären sie nicht im Pflegeheim) liegen Welten zwischen Leuten, die ihr Erwachsenen- und Arbeitsleben im DDR-Sozialismus verbracht haben und solchen, die den BRD-Kapitalismus als natürliches Habitat erleben mussten.

Bei den Kollegen ist das recht ähnlich, jedenfalls bei den älteren. Und auch bei den jüngeren merkt man den Unterschied in der Sozialisation in einem Umfeld, in dem die 40 Jahre finanzieller Existenzsicherheit und gesellschaftlicher Fürsorge im Sozialismus noch nicht aus dem kollektiven Unterbewußtsein getilgt werden konnten.

Während hier im Westen lauter Einzelkämpfer unterwegs sind, lauter Überlebenskünstler der Konkurrenzgesellschaft, deren Muttermilch-Mantra „Sei Dir selbst der Nächste, sieh zu, dass du dich gegen die andern durchsetzt, keiner schenkt dir was“ lautet, spürt man im Osten so etwas wie ein Kollektiv (ein Wort, das im Westen verpönt ist, da es das Gegenprogramm zum heiligen Individulismus des marktwirtschaftlichen Individuums ist). Das Kollektiv des Arbeitsumfeldes, der Leute, die an der Arbeitsstelle miteinander zu tun haben. Zu DDR-Zeiten hieß das ja direkt so.

Für mich am besten beschreibbar mit den Worten Verbundenheit, Zusammenhalt, Freundschaft; außerdem mit dem Gefühl, dass sich die Lohnarbeitenden einige Jahrzehnte lang als Kollektiv empfinden und betätigen konnten – und zwar eins, auf das es tatsächlich ankam, weil die gesamte Gesellschaft, der gesamte Staat für sie gedacht und gemacht war.

Vor einiger Zeit sah ich ein Plakat einer kommunistischen Splittergruppe, das die Losung enthielt „Alle Macht dem Proletariat – Die DDR war unser Staat!“. Das gefiel mir, auch wenn ich weiß, dass das von großen Teilen der DDR-Bevölkerung gerade nicht so gesehen wurde – sonst hätten sie wohl kaum eine Konterrevolution begrüßt und unterstützt.

Mir ist klar, dass das vom Arbeiter- und Bauernstaat die Theorie war, und dass die bürokratischen Fehler und Mängel der realsozialistischen Staatsmacht nicht gerade der Quell allgemeiner Glückseligkeit für die Werktätigen war. Grundsätzlich konnten Lohnarbeiter jedoch im Sozialismus eine Aufgehobenheit und eine soziale Absicherung erleben, die im heutigen BRD-Kapitalismus nicht existiert und auch garnicht gewollt ist.

Ob die deutlich wahrnehmbaren Unterschiede zwischen Ost- und West gerade im Arbeitsleben, die Mentalitätsdifferenz zwischen Kollektivgedanke und Konkurrenzgehabe, zwischen Miteinander und Gegeneinander, immer auf der früheren begeisterten Zustimmung zum Sozialismus beruhen oder nicht oft auch auf dem damaligen untertanentypischen Sich-an-die-Verhältnisse-Anpassen will ich nicht beurteilen.

Nach genügend Zeit in identischen Arbeitssituationen in beiden Teilen des angeblich vereinigten Deutschlands ist jedenfalls mein Eindruck der eines gewaltigen Mentalitätsunterschiedes, der mir nebenbei erklärt, warum ich Weimar immer noch als meinem ideellen Wohnsitz und meiner dortigen Beschäftigung immer noch als der um Längen erträglicheren Arbeitsstelle nachtrauere.