Mitten auf der Arbeit, am späten Vormittag, ruft mich die völlig aufgelöste und konsternierte Frau an, um mir folgendes zu berichten: soeben hätte sie einen Anruf ihrer Bank erhalten, in dem ihr ohne weitere Umschweife mitgeteilt wurde, dass ihr Konto gesperrt und ihr Dispo innerhalb von drei Wochen zurückzuzahlen sei; der Grund wäre „ein negativer Schufa-Eintrag“.
Die Frau – Geschöpf und Produkt der bürgerlichen Mittelschicht, studiert, seit über 30 Jahren in Festanstellung bei einem Versicherungskonzern – kann die Welt nicht mehr verstehen und befindet sich im Zustand beginnender Hysterie. Der ganze Vorgang ist für sie umso unbegreiflicher, als sie beständig Anfragen ihrer und anderer Banken abwimmelt, die ihr alle möglichen Kredite und Finanzprodukte andrehen wollen – sie zählt mit ihrem soliden Mittelschichtseinkommen (etwa das dreieinhalbfache meines Jahressalärs) nämlich zur Zielgruppe „solide, seriöse Akademikerin mit unschlagbar krisenfester Festanstellung“, die noch niemals im Leben in irgendeiner Weise eine Rate, Miete oder sonstige Verpflichtung säumig geblieben ist.
Ich rate ihr zu zunächst mal drei Schritten.
Erstens feststellen, ob es sich um einen Fake-Anruf handelt oder nicht.
Zweitens – wenn echt – die Vorgesetzten der Anruferin oder wenigstens ihre persönliche Kumdenberaterin bei dem betreffenden Geldinstitut zu fragen, was es mit der Info auf sich hat.
Drittens herauszufinden, ob das Ganze etwas mit mir zu tun hat – was sofort meine Vermutung war.
Als ich selber vor einigen Jahren mich zum Heer der prekär beschäftigen Lohnarbeiter gesellen musste, war ich von jetzt auf gleich mit analogen Anliegen meiner damaligen Bank konfrontiert: Gleiche dein überzogenes Konto innerhalb von kürzester Zeit aus und trolle dich als Kunde! Den überaus großzügigen Überziehungsrahmen hatte die Bank mir in besseren Zeiten förmlich aufgedrängt, betrachtete mich aber offensichtlich nach einigen mageren Jahren als faules Ei im Portefeuille.
Natürlich konnte ich von einem Niedriglohn nicht mehrere Tausend Euro aufbringen, so dass ich mich auf einen Vergleich mit der Bank einlassen musste, der mir das Kainsmal des unzuverlässigen Schuldners einbrannte: Der negative Schufa-Eintrag!
Diese schöne Einrichtung demokratischer Herrschaft bewirkt für den Betroffenen den effektiven Ausschluss von der Teilnahme an sehr vielen Selbstverständlichkeiten modernen Lebens: keine Überziehung des Kontos mehr, nicht einmal um einen Euro; keinen Ratenkauf von irgendwas; keine Absicherung gegen allfällige Widrigkeiten des normalen Alltags wie Autoreparaturen oder defekte Waschmaschine usw.
Obwohl ich durch ein rigides, selbst auferlegtes Spar- und Austeritätsregime die Schulden bei der Bank im November 2017 zurückzahlen konnte, bleibt der Schufa-Eintrag für weiter drei Jahre bestehen – so lange geht die sorgsame Überwachungsinstanz des nationalen Kreditwesens davon aus, dass der kapitalistisch untaugliche Schuldner ein potentieller Störfaktor für die reibungslose Geldvermehrung bei den institutionellen Geldverleihern ist.
Im November dieses Jahres erlischt dann – angeblich – der Eintrag und ich könnte theoretisch wieder mein Konto überziehen oder Konsumentenkredite bekommen.
Zurück zu der in Panik versetzten Königin meines Herzens, die weit weniger armutsfest ist als ich und noch niemals einer solchen Situation ausgesetzt war. Wie konnte IHR das passieren?
Die Erklärung ist die, die ich erwartet hatte:
Mit unserer Heirat im vergangenen November nahm die Frau meinen Nachnamen an: das war ihr Verhängnis!
Nachdem sie letzte Woche endlich auch bei ihrer Bank die fällige Namensänderung auf Konto, EC- und Kreditkarten veranlasst hat, leuchteten offensichtlich alle roten Lampen der Scoring-Algorithmen der Bank auf und meine nichtsahnende arme Gattin fand sich von jetzt auf gleich in das Ghetto des finanziellen Lumpenproletariats der Konsumgesellschaft verbannt. In ihrer Vorstellung saßen wir bereits krank und obdachlos bei Fusel und Kerzenlicht unter der Oberkasseler Brücke.
Hier ist die Geschichte zum Glück nicht zu Ende; letzten Endes brachte ein Anruf bei der jahrelangen persönlichen Kundenbetreuerin dies ans Licht: eine übereifrige neue Mitarbeiterin hätte aufgrund der automatisierten Meldungen des Warnsystems der Bank den Anruf getätigt, alles sei „nur ein Missverständnis“ und selbstverständlich ändere sich nichts am Status meiner Frau als gute und willkommene Kundin.
Nachdem die Selektion an der Rampe der Kreditwürdigkeit auf diese Weise doch noch von „ab in die finanzielle Gaskammer“ zu „darf weiter arbeiten und konsumieren“ umgebogen wurde, gehen wir erst mal zur nahegelegenen Filiale der Bank, ziehen Bargeld und tauschen es beim Discounter unseres Vertrauens in Drogen um.