Geschichten, die das Leben schrieb: Schwiegermuttertelefonate und die Sorgen der Reichen

In den obligatorischen Telefonaten mit ihrer Mutter informiert die Frau erstere über Neuigkeiten und spannende Details unseres Lebens, wie zum Beispiel was es zu essen gab, gibt und geben wird, oder wie es dem Hund geht.

Zu 90% allerdings besteht der Gesprächsinhalt aus dem aktuellen Tratsch und dem Mitteilungsbedürfnis der 81-Jährigen, deren mannigfaltige Sorgen und Gesundheitsprobleme von einer ausgeprägten Hypochondrie gespeist werden (wodurch meine Schwiegermutter allerlei Ärzten, Fachärzten, Alternativmedizinern und diversen Scharlatanen zu regelmäßigen Einkünften verhilft).

Heute aber sind ihre Betrachtungen von ganz anderen, viel schlimmeren Nöten bestimmt: ihrer sehr guten Freundin B. gehe es nämlich ganz schlecht, sie weine immer wieder und wisse überhaupt nicht mehr ein noch aus.

Die Schwiegermutter wird selber ganz aufgeregt, als sie über die furchtbare Last berichtet, die ihre Freundin bedrückt: „wegen Corona“ könne diese kaum noch schlafen, so bedrohlich finde sie die Situation. Allerdings nicht, weil sie befürchtet, an dem Virus zu erkranken. Nein, „die hat doch so viel Vermögen, und jetzt weiß die gar nicht, wie das alles weitergeht“, sie hätte doch ihr ganzes Leben so hart dafür gearbeitet, im Alter aus dem Vollen schöpfen zu können usw.

Meine Liebste, die mir anschließend von dem Gespräch berichtet, fügt als zusätzliche Information noch an, dass besagte B. sich ihr beträchtliches Vermögen mitnichten „hart erarbeitet“, sondern komfortabel ererbt hat.

Mein Mitgefühl hält sich in Grenzen, gegen die die Staatsgrenze West der DDR ein Kinderspiel war; irgendwie bin ich auch froh, mangels Vermögen gar nicht in die Lage zu kommen, von Verlustängsten heimgesucht zu werden. Jedenfalls scheint mir diese Anekdote bezeichnend zu sein für einen Geisteszustand, der bei vielen Angehörigen der (noch) wohlbestallten Mittel- und Oberschicht virulent (sic!) ist.

Die einzigen Fragen, die diese saturierten Demokraten sich stellen, sind: Wie lange geht das noch so? Wo soll das alles enden? Wann kehrt alles endlich wieder zu der Normalität zurück, die mir meine Revenuequelle garantiert?

Jedenfalls ganz klar ein potentielles Mitglied für „Widerstand 2020“, denn Schuld an diesem ganzen furchtbaren Schlamassel sind natürlich „die Politiker“, die leichtfertig „unsere Wirtschaft“ an den Rand des Abgrundes stoßen und anständige Bürger womöglich zwingen, von weniger als 10.000 Euro im Monat leben zu müssen