Auf dem Weg zur Arbeit mittwochs morgens bemerke ich schon auf den ersten Metern Fahrt, dass das Auto nicht wie sonst fährt. Der Motor rumpelt und pumpelt in einer anderen Frequenz als sonst, so als führe er nur mit zwei Ventilen, Zylindern oder wie immer die entsprechenden Einzelteile der Maschinerie benannt sind, die in dem Motorblock verbaut sind. Fast wie ein Asthmatiker, der nur noch mit eingeschränkter Lungenfunktion atmet. Im Leerlauf vor jeder roten Ampel fürchte ich, dass das asthmatische Stottern des Motors in ein verendendes Röcheln übergeht und mir die Weiterfahrt unmöglich macht, beschleunigen kann ich nur noch auf maximal 60 km/h.
Kurzum, der vierrädrige Untersatz, das unerlässliche Transportgerät für Arbeitsweg, Hundetagesstätte und Einkäufe, schwächelt – und bedroht dadurch den ganzen geregelten Ablauf der Lohnarbeiterexistenz von gleich zwei Personen und einem Hund. Denn obwohl ich der alleinige Fahrer bin (die Frau benutzt öffentliche Verkehrsmittel für ihren 60 km langen Arbeitsweg), ist die gemeinsame werktägliche Routine so abgestimmt und austariert, dass ein Ausfall des Kfz sofort mit schwierigsten logistischen Problemen einhergeht.
Hinzu kommt, dass das Auto erst vor fünf Monaten im Rahmen einer aufwendigen Reparatur einen Betrag verschlungen hat, der zweien meiner Netto-Monatslöhne entspricht und nun mit exakt demselben Problem erneut auffällig wird. Es hilft aber alles nichts, ich muss laut Fehlermeldung im Display und Hinweis der Betriebsanleitung zügig die nächste Werkstatt des bayerischen Herstellers ansteuern. Da es weit und breit nur eine einzige gibt – eben die, welche uns vor kurzem noch 2.500 Euro abgeknöpft hat – bringe ich den Wagen dorthin; auch in der Annahme und Erwartung, dass ein identischer Fehler, der innerhalb eines halben Jahres nach Reparatur auftritt, ja wohl irgendwie unter „Gewährleistung“ oder wenigstens „Kulanz“ verbuchbar ist.
Zu irgendwelchen Preisverhandlungen komme ich aber gar nicht; die nette Dame am Empfang nimmt nur meine Autoschlüssel entgegen und sagt, man würde mich anrufen, wenn die Fahrzeugdaten ausgelesen worden seien. Nach zwei Tagen ohne Rückmeldung der Händlerwerkstatt rufe ich an, um den Stand der Dinge in Erfahrung zu bringen. Man vertröstet mich auf den Beginn kommender Woche und versichert mir, dass mein Fahrzeug nur eins von vielen defekten und Pannenfahrzeugen sei, die alle der Reihe nach abgearbeitet würden.
In der Zwischenzeit muss ich mit Bahn und Bus zur Arbeit fahren, die Frau sich einen Tag zur Hundebeaufsichtigung frei nehmen, ein Auto für Montag und Dienstag der kommenden Woche angemietet und eine Menge logistischer Überlegungen angestellt werden.
„Können wir nicht auch mal Glück haben?“ stöhnt die Frau entnervt. „Immer, wenn man grad mal denkt, es geht wieder, kommt der nächste Hammer!“
Außer „Heute ist Freitag der Dreizehnte…“ fällt mir dazu nichts ein.
Mich als armutsgewohnten Niedriglohnbezieher läßt die Situation kälter, da das Damoklesschwert plötzlicher, unerwarteter Ausgaben sowieso beständig über mir schwebte, bis ich vor zweieinhalb Jahren mein ostdeutsches Single-Leben aufgab und zur Frau ins westdeutsche Exil umzog. Trotzdem ist mir natürlich mulmig beim Gedanken an eine eventuelle weitere vierstellige Rechnung für eine Autoreparatur. Im Geiste durchdenke ich schon mal die Möglichkeiten eines Lebens ohne Auto: keine schönen Aussichten.
Wir stehen in der Küche vor der laufenden Geschirrspülmaschine und sind uns schnell darüber einig, dass KEIN Auto keine Option ist, als plötzlich aus dem Inneren des hochwertigen Haushaltshelfers ein knarzendes und schepperndes Geräusch ertönt. Die Frau, aufs Höchste alarmiert, unterbricht den Spülvorgang durch Öffnen der Gerätetür. Am Boden der Spülmaschine hat sich eine Menge Wasser angesammelt, von der wir nicht sicher sind, ob die da hingehört oder Anzeichen einer Fehlfunktion ist.
Die Frau schöpft das Wasser ab, wir räumen das Geschirr vorsichtshalber raus und starten den Spülvorgang neu. Es scheppert und klappert weiter. An dieser Stelle denken wir beide „Auch das noch!“ und sehen vor unserem inneren Auge Geldströme von substantieller Größe von unseren Konten in Richtung Händlerwerkstatt und Geschirrspüler-Kundendienst fließen .
„Ich geh erstmal einkaufen“, verkünde ich, um an der frischen Luft die Sachlage neu zu bewerten. „Ja, bring mir einen Weißwein mit!“ ruft die Frau mir hinterher. Ich lasse mir Zeit mit dem Einkauf und finde, als ich zurückkomme, eine bestens gestimmte Frau vor, die mir als erstes verkündet: „Ich weiß, was mit der Spülmaschine los ist!“. Sie hat nämlich in der Zwischenzeit – blond, aber nicht blöd – auf YouTube Erklärvideos zur Behebung von Verstopfungen des Rücklaufventils bei unserem Spülmaschinentyp gefunden.
Ich soll mir das jetzt auch angucken und nach den Anweisungen des Herstellerprofis im Video das Rücklaufventil säubern. Tatsächlich kriege ich das trotz zwei linker Hände auch hin, das dreckige Geschirr wird wieder eingeräumt, die Maschine gestartet und alsbald erklingt das vertraute leise Rumpeln des Spülvorganges durch die Küche.
Daraufhin die Frau so: „Boah, gieß‘ uns mal von dem Wein ein, darauf müssen wir anstoßen!“. Ich entspreche ihrem Wunsch und nach dem ersten Schluck schickt sie noch folgenden Stoßseufzer hinterher: „Also, wenn die jetzt auch noch kaputtgegangen wäre und Geld gekostet hätte, dann hätte ich mir die Pulle direkt an den Mund gesetzt und leer getrunken und gedacht ‘Nach mir die Sintflut!‘“