Geschichten aus dem Pflegeheim: Tote Heilige

Feiertagsdienst für meinen allerchristlichsten Arbeitgeber. An Allerheiligen besteht mein Vormittagsangebot darin, im Rahmen einer „Geselligen Runde“ die Leute irgendwie zu beschäftigen und zu unterhalten.

Ich baue den Gymnastikraum zu einem Kaminzimmer um, indem ich per Beamer und YouTube ein prasselndes Kaminfeuer an die Wand projiziere, entspannte Musik spiele und – spontane Entscheidung – heute mal etwas über Heilige, Heiligkeit und überhaupt über das menschliche Streben nach Sinn, Außergewöhnlichkeit und Gottsuche zu erzählen.

Als Gedächtnisstütze habe ich mir ein paar Anekdoten und Lebensläufe besonders schräger Vögel unter den christlichen Heiligen ausgedruckt, wie den hl. Fiacrus. Namensgeber der Wiener Fiaker, oder den hl. Thoms von Aquin, der angeblich so gelehrt wie beleibt war und dem man deshalb einen halbkreisförmigen Ausschnitt in den Schreibtisch sägte, an dem er seine Schriften und Traktate verfaßte.

Unser Leiblingsheiliger an diesem Vormuttag ist allerdings eindeutig der hl. Arnulf von Metz. Dieser wackere Kirchenmann schwor auf den Gerstensaft als Allheilmittel; er heilte als Bischof die Gläubigen gleich reihenweise mit Bier und als er nach einem bier- und segensreichen Leben zu Grabe getragen wurde, sorgte er noch posthum für das „Humpen-Wunder“: 5000 Teilnehmer der Begräbnisprozession stillten ihren Bierdurst aus einem einzigen Humpen, der nicht leer wurde.

Sowas gefällt den Leuten – die ansonsten, trotz durchgängig christlicher und rheinlandtypisch überwiegend katholischer Konfession heiligenmäßig wenig bewandert sind und sich nur mit Nachhilfe wenigstens an St. Nikolaus und St. Martin erinnern.

Nun ist der Gymnastikraum ein Durchgangsraum zwischen zwei Flügeln eines Wohnbereiches, so dass gelegentlicher Durchgangsverkehr stattfindet. Irgendwann geht die Tür auf und der volldemente Herr W. kreuzt durch den Raum, auf dem Weg zu seinem Zimmer. Er blickt auf, registriert die gemütliche Atmosphäre und ich setze ihn kurz ins Bild, dass wir gerade über Heilige reden.

Da wir es gerade mit Vornamen und Namenstagen hatten, erwähne ich, dass es bestimmt auch einen Heiligen mit seinem Vornamen gibt.

Herr W. lacht und sagt: „Tote Heilige? Brauch ich nicht! Ich bin ja lebendig, das genügt mir…“.

Das Thema ist damit für ihn abgehakt und er schiebt seinen Rollator weiter in Richtung Zimmer.