Frau H. aus der “Tagesgruppe Demenz” kommt beinahe jeden Tag mit einer neuen Hiobsbotschaft zu mir. Mal haben unbekannte Diebe ihr das Geld gestohlen, die Handtasche kaputt gemacht oder die Zigaretten versteckt, dann wieder haben “die Chefs” ihr angekündigt, dass sie evakuiert werden muss und ihr Zimmer im Heim verliert. Auch aus der eigenen Verwandtschaft droht ihr Ungemach: ein zusätzlicher Sohn, den sie bis gestern noch nicht hatte (sie hat zwei Töchter und einen Sohn, alle mir persönlich bekannt), hätte jetzt ihr Haus verkauft und sie auf die Straße geworfen. Die Schreckensnachrichten, die sie überbringt, sind Ausdrucksformen der großen Ungewissheit und Verunsicherung durch die dementielle Veränderung, die sich in ihrem Geist vollzieht.
Bei einer Rauchpause auf dem Balkon sieht sie mich an und fragt: “Bist du auch manchmal so isoliert? Ich kenn mich überhaupt nicht mehr aus…” Sie fasst sich an den Kopf. “Mein Kopf fühlt sich an, als ob der mit heißem Wasser übergossen wird…”
“Nicht wegen der Verbrennung, sondern wegen des Gefühls, dass sich alles zusammenzieht und zusammenschrumpft, oder?” frage ich nach.
“Ja, genau!”, erwidert sie, “Ich fühle mich so alleine und will dann nur noch den Kopf anlehnen und die Nähe von jemandem suchen… Ich fühl mich ganz verrückt… Wenn ich dich nicht hätte, würde ich nur noch verrückt sein…”
Wir rauchen schweigend unsere Zigaretten zu Ende und gehen wieder in die Gruppe zurück. Trotz der soeben mitgeteilten Gefühle – oder vielleicht WEIL sie sie mitgeteilt hat – wirkt Frau M. plötzlich munter und gutgelaunt.
Wir spielen ein paar alte Schlager, von denen sie jeden einzelnen mitsingen kann. Als “Ganz in weiß” von Roy Black erklingt, stimmt sie mit Inbrunst ein und wendet sich anschließend an den neben ihr sitzenden Herrn J. Sie streicht ihm über die Wange und fragt zärtlich: “Willst du meine Frau werden?”
Herr J. meint wohl, er hätte nicht recht gehört und fragt nach: “Wie bitte!?”
“Du hast schon richtig gehört, ich hab dich gefragt, ob du meine Frau werden willst!”
Herrn J. ist es scheinbar egal, dass er gar keine Frau ist; er beantwortet Frau M.s Ansinnen mit einem brummigen “M-m” und schüttelt kurz den Kopf. Damit ist die Sache für ihn erledigt. Frau M. nimmt’s ihm nicht übel; sie hat trotz Demenz ordentlich den Schalk im Nacken und hat die Anfrage ohnehin wahrscheinlich als Scherz gemeint. Da steckt die Friseurin den Kopf zur Tür herein und ruft Frau M. in den Friseursalon, und dieser Termin ist wichtiger als Hochzeitspläne und mysteriöse Diebe.